Interview mit Charlotte Melber und Eva Payer von VinziShop, Wien
C.Melber: Ich bin Charlotte Melber und ich arbeite für den VinziShop seit ich in Pension bin, das sind gut zehn Jahre. Ich habe es damals gern gemacht und es war spannend und ich mache es auch heute noch gern.
E.Payer: Ich bin Eva Payer, ich arbeite ein bisschen kürzer hier als Charlotte. Ich glaube, ich habe ein halbes Jahr später angefangen. Ich bin also seit neuneinhalb Jahre hier, zweimal die Woche, vorwiegend im Lager. Und ich bin im Vorstand der Vinzenzgemeinschaft St. Martin.
M.Boyle: Wie lange gibt es den VinziShop schon?
E.Payer: Etwas mehr als zehn Jahre.
M.Boyle: Welche Motivation gab es für die Gründung des Shops?
C.Melber: Na ja, damit Geld eingenommen wird, um die Miete für das VinziBett zu bezahlen.
E.Payer: Das ist nach wie vor so. Das sehen wir als unserer Aufgabe. Wir verkaufen die Sachen, die uns die Leute bringen und der Erlös kommt dem VinziBett zugute – den Menschen, die da drüben schlafen, essen und duschen.
E.Payer: Das geht sich super für die Miete aus. Wir nehmen Kleidungsspenden entgegen, sortieren sie, suchen nach Mängeln und lagern saisonal nicht passende Ware im Lager, alles andere kommt direkt in den Shop. Jetzt z.b. ist Winterware gefragt und die Sommerware wird in Kisten verstaut.
M.Boyle: Ihr seid also seit 10 Jahren hier in diesem Laden, ich denke, da habt ihr schon einiges gesehen und erlebt. Habt ihr vielleicht interessante Geschichten zu erzählen?
E.Payer: Naja, ich bin im Lager, so interessant ist es da nicht.
C.Melber: Es ist sehr abwechslungsreich. Das ist Arbeit mit Menschen und da ist mal was Lustiges dabei, dann ist es wieder ein bisschen zum Ärgern. Die Arbeit ist anstrengend und ich bin immer sehr müde, wenn ich nach Hause komme. Aber es macht sehr viel Spaß!
M.Boyle: Es muss auf jeden Fall zufriedenstellend sein, sonst wärt Ihr nicht so lange dabei?
C.Melber: Ja! Auch die Kolleg_innen, die an meinem Tag kommen, also am Mittwoch, kenne ich schon sehr lange und ich mag sie gerne.
E.Payer: Es ist eine sehr gute Gemeinschaft. Wir kommen unter anderem auch wegen der anderen ehrenamtlichen Mitarbeiter_innen gerne her.
M.Boyle: Also das heißt, ihr seid eine Mannschaft oder?
E.Payer& C.Melber (lachen zustimmend)
M.Boyle: Das klingt auf jeden Fall sehr erfreulich. Habt ihr über die letzten zehn Jahre Änderungen bemerkt, was die Kleidung betrifft, die tatsächlich gekauft wird, beziehungsweise die Mode oder die Kund_innen?
C.Melber: Am Anfang gab es sehr viel weniger Menschen, die uns gekannt haben und auch viel weniger, die Spenden gebracht haben. Heute, nach so vielen Jahren, können wir uns darüber nicht mehr beklagen.
E.Payer: Wir hatten die ersten drei Jahre lang kein Lager. Früher hatten wir die ganze Ware im Geschäft und es hat gereicht. Jetzt würden wir ohne das Lager nicht mehr auskommen.
M.Boyle: Das heißt, ihr hattet eine Expansion?
C.Melber: Ja, die Bekanntheit ist ganz einfach gestiegen. Es hat eine gewisse Zeit gedauert, bis die Leute wussten, dass es uns gibt und dass es bei uns wirklich sehr günstig ist. Viele kommen jeden Tag und kaufen immer eine Kleinigkeit. Es wird sehr viel verkauft, die Preise sind niedrig. Sehr viel Ware geht jeden Tag über den Tisch – hinaus und auch wieder herein.
M.Boyle: Ich finde das sehr spannend, es gibt Leute, die jeden Tag kommen?
E.Payer: Ja, manche kommen jeden Tag vorbei, weil es jeden Tag neue Ware gibt. Die wohnen wahrscheinlich in der Gegend, die kommen auch um ein bisschen zu tratschen.
M.Boyle: Wie stark ist eure Beziehung zum VinziBett, beziehungsweise seid ihr in direktem Kontakt mit dem Vinzibett?
E.Payer: Ja, wir sind in direktem Kontakt. Heute waren zwei Bewohner vom VinziBett hier. Sie haben geholfen die Winterware herunter zu holen. Dafür braucht man eine ziemlich lange Leiter.
E.Payer: Die Männer vom VinziBett sind halt doch ein bisschen größer und stärker. Für uns ist die kleine Stahlleiter okay, die geht bis zur zweiten Etage, aber dann …
M.Boyle: … dann ist es aus!
(E.Payer & C.Melber lachen zustimmend)
M.Boyle: Das verstehe ich nur zu gut!
C.Melber: Da ist dann noch ein Herr vom VinziBett, der bei uns putzt.
C.Melber: Und es gibt Feste, die wir gemeinsam feiern und es gibt drüben (im VinziBett) einen Flohmarkt, da kann man natürlich auch rüber gehen und mit den Leuten plaudern, die dort wohnen oder arbeiten. Es gibt auch Ehrenamtliche, die dort (im VinziBett) und da (im VinziShop) arbeiten.
M.Boyle: Gibt es Kooperationen mit den anderen Vinzis, wie z.B. mit dem VinziShop in Erdberg?
C.Melber: Die Chefin von drüben war lange bei uns und hat geschaut, wie das alles so läuft. Sie hat auch Kleidung mitgenommen. Für den Start haben wir für Sie gesammelt, ansonsten hätte sie keine Ware gehabt. Ich glaube schon, dass die Chefinnen miteinander kommunizieren und sich austauschen.
C.Melber: Ins VinziDorf sind wir immer wieder eingeladen, wenn es Veranstaltungen gibt. Im Sommer gab es ein kleines Festchen.
M.Boyle: Es gibt also viele Menschen, die ehrenamtlich für den VinziVerein arbeiten, stimmts?
E.Payer: Ja natürlich.
C.Melber: Wir sind ca. 35 Ehrenamtliche im Shop. Es wechselt immer wieder, wenn jemand dazukommt oder weggeht …
M.Boyle: Wie stark ist dieser Wechsel?
E.Payer: Unsere ehrenamtliche Mannschaft ist recht stabil. Eine gewisse Fluktuation gibt es überall.
M.Boyle: Habt ihr schon überlegt, das ist nicht das Gelbe vom Ei hier zu arbeiten?
E.Payer: Ich mache manchmal noch zusätzlich andere Sachen.
C.Melber: Ich muss sagen, dass wir immer wieder einen anderen Chef hatten, also Chefinnen natürlich. Auch ein Mann war dabei. Es gab eine sehr unruhige und schlechte Zeit. Das hat sich Gott sei Dank wieder gelegt. Es ist ruhig geworden und jetzt funktioniert es sehr gut. Es ist sehr beständig und verlässlich geworden. Das war nicht immer so. Ja, das hat sich erst einspielen müssen.
M.Boyle: Das ist eigentlich ganz normal, wenn Menschen zusammen sind, dass es nicht immer reibungslos ist.
E.Payer: Ja, die Vorstellungen sind manchmal verschieden. Manche kommen und wissen noch gar nicht, was auf sie zukommt. Ich könnte mir vorstellen, dass manche ihr Leben lang einen Chef oder eine Chefin über sich gehabt haben, die ihnen gesagt haben, was sie tun sollen und die das nicht mehr wollen. Manchmal muss man sich für die Gemeinschaft unterordnen. Ich habe schon miterlebt, dass manche damit Probleme haben oder es nicht mögen. Das ist auch in Ordnung.
M.Boyle: Ist es, über die letzten 10 Jahre betrachtet, notwendig einen solchen Laden hier in der Stadt zu haben?
E.Payer: Es ist jedenfalls sehr nachhaltig, weil man nicht ununterbrochen in Läden rennt und neue Sachen kauft, sondern das Alte und noch Gute wiederverwendet. Wir brauchen ihn auf alle Fälle für die Miete fürs Vinzibett.
C.Melber: Bedürftige Menschen hat es vor zehn Jahren gegeben und es gibt sie heute noch genauso. Die Öffentlichkeit verlässt sich voll drauf, dass Organisationen sich dieser Menschen annehmen. Irgendwie wird es schon funktionieren.
M.Boyle: Abgesehen davon habe ich eine Statistik gesehen, dass 72 Millionen Stück Kleidung unverwendet in Österreichs Schränken hängen.
E.Payer: Ich habe unlängst zwei große Säcke mit wirklich fast neue Sachen ausgepackt. Vielleicht hat diese Dame, die relativ klein und zart war, ein Kind gekriegt und jetzt passt ihr nichts mehr. Kann passieren.
C.Melber: Das wissen wir natürlich nicht so genau. Wir können nur mutmaßen. Aus meiner Familie will, außer meinem Mann, leider niemand secondhand Sachen kaufen. Sie sagen, nicht böse sein, aber ich mag das nicht anziehen. Ich kann’s gar nicht nachvollziehen, was daran so schlimm sein soll. Die geben, obwohl sie finanziell nicht so gut dastehen, lieber Geld aus, um etwas Neues zu kaufen.
M.Boyle: Kann es sein, dass es den Leuten zu gut geht?
E.Payer: Viele Leute gehen gerne einkaufen. Bei uns gibt es natürlich nur eine beschränkte Auswahl.
E.Payer: Und es gefällt dir etwas aber es ist halt nicht in deiner Größe vorhanden. In einem anderen Geschäft hast Du alle Größen. Ich glaube das Einkaufen ist ein Hobby, ein Sport geworden. Wenn man in Geschäften schaut, kann ich mir nicht vorstellen, dass alle so viel brauchen.
C.Melber: Kurze Geschichte: Ich habe eine Bekannte, die in der Wiener City arbeitet. Sie hat erzählt, dass sie und ihre Kollegin sich vorgenommen haben für einen Monat nichts einzukaufen, wenn sie von der Arbeit nach Hause gehen. Ich war ganz überrascht und habe gefragt wie sie das meint: „Kauft ihr etwa jeden Tag Schuhe, Taschen oder Kleidung?“ Und sie hat es bejaht. Nach einem Arbeitstag ist sie und ihre Kollegin müde und ein gewisser Frust hat sich angesammelt. Deshalb gehen sie jeden Tag auf dem Heimweg in ein Geschäft und kaufen irgend etwas. Viele dieser Sachen haben sie noch nie verwendet. Da war ich wirklich baff, auf so eine Idee wäre ich nie im Leben gekommen.
M.Boyle: Und wie kommen die auf solche Ideen?
C.Melber: Naja, die Versuchung in der City, wo sie ihren Arbeitsplatz haben, ist groß. Ich bin dort äußerst selten. Die Verlockung der Auslagen ist nun einmal da und dann ist da noch ein gewisser Frust: mein Gott wie anstrengend war das heute und wie tüchtig musste ich sein. Kurzfristig ist es vielleicht wirklich möglich diesen Frust zu tilgen, indem man sich jeden Tag irgendein Stück zum Anziehen oder ein Parfum kauft.
M.Boyle: Das heißt, Einkaufen ist zugleich Befriedigung, …
C.Melber: Ja aber nur für kurze Zeit! Wenn sie zu Hause ist, sagt sie, ist die Freude nur mehr sehr klein und sie denkt sich: Huch, mein Kasten ist eh schon so voll und jetzt habe ich das auch noch gekauft. Aber in dem Moment, in dem sie es kauft, hat sie wirklich Befriedigung und freut sich, dass sie das neue Stück hat.
E.Payer: Hat sie denn diesen einen Monat durchgehalten?
C.Melber: Als sie es mir erzählt hat, waren sie am Anfang dieses Experiments und sie waren sehr stolz, dass sie überhaupt auf die Idee gekommen sind. Sie hoffen, dass sie es durchhalten.
M.Boyle: Ihr habt einen anderen Weg gewählt, um diese Befriedigung zu erreichen, oder?
C.Melber: Ja, schon!
E.Payer: Ich kaufe eigentlich fast nichts, außer Schuhe. Vielleicht Unterwäsche manchmal. Mein Mann genauso. Ansonsten sind wir sehr zufrieden mit dem, was wir hier an Angeboten haben, wir müssen nicht immer die neueste Mode, Farbe oder den neuesten Schnitt haben.
C.Melber: Ich weiß in meinem Alter, was zu mir passt, was mir gefällt und was zu meinem Typ passt und das finde ich hier in Hülle und Fülle. Ob die Farbe oder der Schnitt derzeit modisch ist, ist mir wirklich ganz unwichtig.
M.Boyle: Wobei, ich muss sagen: Rot passt wunderbar!
(E.Payer & C.Melber lachen beide)
E.Payer: Sie hat ja gern rot und schwarz.
M.Boyle: Ist eine super Kombination, muss man echt gestehen.
E.Payer: Und wenn man mal durch ein Geschäft geht, ist es ein Wahnsinn, was die Sachen kosten und was die Leute kaufen. Abgesehen von Billigmarken, die ja noch ärger sind, weil ein T-Shirt 2,99 oder so kostet – nach dreimal tragen wird es wahrscheinlich weggeworfen. Da es nur 2,99 gekostet hat, macht es nichts und man kauft sich eben etwas Neues.
M.Boyle: Aber heutzutage reden wir ständig von der Klimaerwärmung und an und für sich spielt Kleidung dabei eine ungeheuer wichtige Rolle. Da könnten wir alle selber etwas tun, oder?
E.Payer: Sie meinen, dass weniger produziert werden soll? Ja, aber die Industrie will auch von etwas leben und auch der Handel.
C.Melber: Zumal sie wachsen, wachsen, wachsen, wachsen wollen. Man kriegt nie genug. Es muss immer mehr sein.
M.Boyle: Und warum?
C.Melber: Ich weiß es nicht, ich verstehe es auch nicht.
M.Boyle: Ihr seht auch die hintere Seite von diesem Wachstum [die Konsequenzen] für die Menschen, die in Not sind. Die haben sich das ja auch nicht selber ausgesucht, oder?
E.Payer: Meistens nicht oder sie haben eben Fehler gemacht, wie jeder Fehler macht. Die Fehler derjenigen, die in Not sind, hatten eben gravierendere Auswirkungen.
M.Boyle: Gibt es einen Menschen, der keine Fehler macht? Letztendlich gibt es Situationen wo ich sehr oft denke, dass mir das genauso passieren hätte können.
E.Payer: Ja sicher ohne weiteres! Der eine hat Glück und der andere nicht, ohne dass er etwas dafür kann …
C.Melber: So manches passiert, bei dem man nichts dazu beitragen kann…
E.Payer: … oder man wird krank.
C.Melber: Ja genau, eine Krankheit kann jeden von uns zu jeder Zeit zurückwerfen. Dann geht die Spirale recht schnell los, dass die Partnerin vielleicht sagt: Naja, du bist krank und Geld verdienst du auch keines mehr. Die Wohnung kann man sich vielleicht nicht mehr leisten. Die Partnerin ist fort, die Kinder sind fort und die Depression ist da. Dann ist man schnell ganz unten und man kann nur mehr schwer Fuß fassen.
E.Payer: Oder man hat gar nicht mehr den Willen …
M.Boyle: Welche Verpflichtungen haben wir eigentlich diesen Leute gegenüber?
E.Payer: Naja, man sollte, wenn es einem gut geht, schon etwas für diejenigen tun, denen es nicht so gut geht. Wir sollten dankbar sein und aus diesem Gefühl heraus motiviert sein, etwas für die anderen zu tun, egal, ob das eine ehrenamtliche Arbeit ist oder Geldspenden.
C.Melber: Es geht um die Gemeinschaft: Miteinander kann man viel mehr schaffen, als wenn man alleine irgendwo herumgurkt.
M.Boyle: Wie ist eure Kundschaft zusammen gesetzt? Sind es weniger Jugendliche oder ist es bunt gemischt?
E.Payer: Ein Drittel Jüngere, ein Drittel Mittelalter und ein Drittel Ältere ungefähr.
C.Melber: Am Monatsende und wenn es regnet kommen weniger Leute. Wenn wieder Geld am Konto ist, kommen die Leute und kleiden sich ein, kaufen sich etwas Warmes zum Anziehen.
M.Boyle: Gibt es eine Botschaft, die ihr übermitteln wollt?
E.Payer: Ja, dass die Leute bei uns einkaufen und an die Nachhaltigkeit denken sollen. Bei uns brauchen sie nicht nachzudenken, ob sie ein Teil brauchen, weil sie durch jeden Einkauf das VinziBett unterstützen.
C.Melber: Hast du sehr gut gesagt!
M.Boyle: Damit habe auch ich nichts mehr beizutragen und sage Euch herzlichen Dank! Ich wünsche euch auf jeden Fall viel Erfolg und viele gesunde Jahre noch in diesem wunderschönen Laden!