A – Z: 98 Jazz vom Feinsten mit Stéphane Grappelli
Als er am 1.Dezember 1997 starb, legte er nicht nur seine über doppelt so alten Meistergeigen für immer aus den Händen. Er hinterlässt mehr auf Tonträgern dokumentierte Töne als irgendein Jazzgeiger, ja vielleicht als überhaupt ein Violinist der Musikgeschichte. Das umfangreiche Material zu sichten bleibt uns selbst überlassen; wir können hier nur die Spitze des Eisberges berühren. Das sagt Marcus Woelfle über ihn. Über Stephane Grappelli. Von ihm hören sie heute einen live Mitschnitt aus dem Jahre 1992.
Stéphane Grappelli war ein französischer Jazz-Violinist. Er brachte sich als Jugendlicher selbst das Violin- und Klavierspiel bei und bestand, ohne jemals einen Lehrer gehabt zu haben, die Aufnahmeprüfung für die Pariser Musikhochschule. Hier studierte er zwischen 1924 und 1928. Das ist schon eine Zeit her, oder? Während dieser Zeit und noch nach seinem Studium verdingte er sich als Musiker in Kinos und in Tanzbands, bis er 1933 Django Reinhardt traf.
Grappelli war keineswegs, wie einige übereifrige Nachrufe wollten, der erste Jazzgeiger. Als er in den frühen 30ern anfing, die Geige zu bezwingen (zunächst als Altsaxophonist, der für Tango-Einlagen zur Geige griff) hatte er schon viele illustre Vorgänger. Mit allen sollte er später freundschaftlich um die Wette geigen, und immer wurden es spannende Ohrenblicke der Violingeschichte.
Grappelli gründete gemeinsam mit Reinhardt das Quintette du Hot Club de France, sie nahmen gemeinsam zahlreiche Schallplatten, u.a. für das Label Swing, bis 1939 auf und feierten Konzerterfolge. Als am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, befand sich die Band auf Konzerttournee in London. Reinhardt ging gleich nach Paris zurück, doch Grappelli blieb in England.
In England gründete Grappelli eine neue Band mit dem jungen Pianisten George Shearing. Mit Reinhardt arbeitete er erst nach dem Krieg wieder zusammen, ohne jedoch Bandmitglied zu werden.
Kein anderer Jazzmusiker hat mit so vielen Vertretern seines eigenen Instruments aufgenommen, als der Grandseigneur der Geige, der Rivalitätsdenken „absolut lächerlich“ fand: „Wäre mir diese Seite nicht gerissen, wäre es vielleicht nie passiert“: Um eine neue Saite aufzuziehen, musste Grappelli 1933 einmal hinter einen Theater-Vorhang. Dahinter saß Django gemütlich mit seiner Gitarre auf einem Lehnstuhl. Grappelli stimmte – und bald stimmte sich halb Europa auf den neuen Sound ein. Gitarristen und Geiger von Dänemark bis Deutschland, United Kingdom bis Ungarn zogen nun nach dem Vorbild der beiden neue Saiten auf, denn trotz amerikanischer Anregungen, die sich nicht zuletzt im Swing-Repertoire niederschlugen, hatten sie den ersten eigenständigen Beitrag zum europäischen Jazz geleistet.
Was heute unter dem Etikett „Sinti-Jazz“ läuft, findet hier sein Wurzeln. Django, dessen geniale Improvisationen ihrer Zeit weit voraus waren und der mit seinem „Dreifingerblitz“ das Gitarrenspiel revolutionierte, beeinflusste als erster Europäer auch den amerikanischen Jazz. Daher sehen viele in Grappelli nur den ehemaligen Geiger von Django Reinhardt. Grappelli sah es anders: „Django war mein Gitarrist.“ Tatsächlich war ihre gemeinsame Gruppe weder nach dem großen Gitarristen, noch nach dem Geiger benannt. Sie hieß schlicht „Quintette du Hot-Club de France“.
Stéphane Grappelli entwickelte sich in den 1950er und 1960er Jahren zu dem einflussreichsten Violinisten der Jazzszene und machte sein Instrument im Jazz hoffähig. Grappelli nahm von da an mit allen großen Jazzmusikern weltweit Schallplatten auf oder ging mit ihnen auf Tournee. Am 30. September 1966 brachte Duke Ellington die damals vier bekanntesten Violinisten auf die Bühne.
Grappelli ging von Mitte der 1970er bis in die 1990er Jahre häufig auf Konzerttourneen. Ich erinnere mich noch ziemlich genau an seinen Auftritt beim Jazzfest Wien in der Wiener Staatsoper, wo er für die Zugabe mit einem Sessel hereingetragen wurde. Er feierte seinen 86. Geburtstag mit Gary Burton, Earl Hines und Jean-Luc Ponty. Er spielte bis kurz vor seinem Tod Studioaufnahmen auch mit jüngeren Musikern ein. Seine letzte 1997 kurz vor seinem Tode eingespielte CD erschien postum.
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