A – Z: 73 Jazz vom Feinsten mit Leon Thomas
Es war in Montreux 1970: der überaus rührige Initiator und Leiter des alljährlichen Jazzfestivals am Genfer See hatte einen Mann engagiert, der Montreux unter dem Jubel des Pubikums verließ: Leon Thomas. Als die Jazzprogrammgestalter der europäischen Radiostationen wieder nach Hause kamen, lag auf ihren Schreibtischen das erste eigene Plattenalbum von Leon Thomas, SPIRITS KNOWN AND UNKNOWN. Einige Stücke aus diesem Album werden Sie heute auf Radio B138 hören.
Im Herbst des Jahres 1970 kam Leon Thomas noch einmal nach Europa. J. E. Berendt hatte ihn zu den Berliner Jazztagen eingeladen. Sein heute schon legendärer Auftritt in Berlin erschien auch auf Schallplatte. Auch aus dieser Platte spiele ich heute ein Stück. Leon flog zurück nach Amerika als „gemachter Mann“ – den frenetischen Jubel des durchaus nicht leicht zufriedenzustellen¬den Berliner Publikums im Ohr und die überschwänglichen Rezensionen der internationalen Fachpresse im Gepäck.
Auszüge aus einem Interview aus dem Jahre 1970:
Ich bin geboren in St. Louis, am 4. Oktober 1937. Zugang zur Musik fand ich zu Hause. Meine Eltern waren zwar keine Musiker, aber sie sangen beide im Kirchenchor, und sie sammelten Schallplatten, auch ganz alte, bis zurück zu Blind Lemon Jefferson …
Ich liebte die Musik von klein auf, aber ich wollte Sportler werden. Ich war sehr gut in Baseball und Basketball, und ich sah mich als Professio¬nal. Gesungen habe ich immer gerne: im Schulchor, mit Freunden oder ganz für mich allein, aber ich habe nie viel dabei gedacht – bis ich eines Nachts in diese Jam-Session geriet, mehr oder weniger zufällig. Da waren einige prominente Musiker: Der Tenorsaxophonist Jimmy Fönest der Gitarrist Grant Green und der große Percussionist Armande Peraza. Mit denen durfte ich singen – und unter den Zuhörern war ein Typ von unserer lokalen Radiostation; der engagierte mich sofort.
16 war ich damals als mich der Typ vom lokalen Radio engagierte. Ich musste nun hart an mir arbeiten, nachdem ich jede Woche im Radio singen sollte. Auch ein Club-Engagement war dazugekommen. Jede Woche lernte ich mindestens eine neue Nummer neben meinen Schulaufgaben.
B. B. King war einer meiner frühen Einflüsse – meine Mutter war sein Fan und sammelte alle Platten von ihm; auch Billy Eckstine und Arthur Prysock mochte ich gerne. Dann brachte mein Bruder ein paar Dizzy-Gillespie-Platten nach Hause, und auf denen sang der phantastische Joe Carroll. Ich versuchte ihn nachzumachen – und ich merkte, dass es mir einigermaßen gelang, dass sich dabei aber noch anderes entwickelt hatte in mir, etwas, das von mir allein kam und das ich zunächst nicht näher definieren konnte.
Schließlich kam jene unvergessliche Woche, in der Miles Davis bei uns in St Louis spielte (es ist ja auch seine Heimatstadt!). Und unsere ganze Clique war natürlich dort. Miles hatte einen neuen Tenorspieler namens John Coltrane. Niemand konnte zunächst viel mit ihm an¬fangen, aber mein Bruder sagte plötzlich zu mir: „He, der macht auf seinem Hörn die Dinge, die Du mit Deiner Stimme versuchst.“ Und er hatte recht – nur war Trane schon viel, viel weiter als ich. Aber er hatte ähnliche harmonische Vorstellungen, auch er war auf der Suche nach etwas Neuem, nach neuen Möglichkeiten, mehr auszudrücken mit Hilfe von Klängen. Jede Nacht war ich dort, und ich konnte fast nicht glau¬ben, was ich hörte. Nie werde ich das vergessen. Das war es!!!“
Leon Thomas war nun auf einmal nicht mehr ganz so sicher, dass er wirklich Berufssportler werden wollte. Er betrieb weiterhin gerne Sport, aber als er dann auf die staatliche Universität nach Tennessee ging, belegte er dort die Fächer Musik und dramatischen Unterricht. Aber… „.. .eine Menge alter Kumpels von mir war auch da. Wir musizierten zusammen, so oft es ging, wir nahmen eine Menge Jobs an, und die Jobs wurden immer mehr. In unserem zweiten Jahr an der Universität tingelten wir mehr, als wir studierten.
Ich kam viel herum, ich hatte viel Erfolg, und alle, die Musi¬ker und die Zuhörer, sagten immer wieder zu mir: Das hat keinen Sinn, Leon, so wird das nichts, Du gehörst nach New York!“
Und schließlich ging Leon Thomas nach New York, Ende der fünfziger Jahre. Er hatte die üblichen Anfangsschwierigkeiten, die üblichen (manchmal miesen) Gelegenheitsjobs, aber dann sang er mit Art Blakey, und schließlich engagierte ihn kein geringerer als Count Basie als Nachfolger für Joe Williams.
Der Blues, den er bei Basie hauptsächlich zu singen hatte, war ihm wohl vertraut – nicht umsonst war mit den B.-B.-King-Platten seiner Mutter aufgewachsen. Wann immer er konnte, ging Leon Thomas zu den Sessions, wo sich die jungen Revolutionäre des eben entstandenen „Free Jazz“ trafen und austobten. Bald jammte er mit Archie Shepp, mit Rahsaan Roland Kirk und mit Pharoah Sanders – mit diesem machte er auch seine ersten Plattenaufnahmen.
„Ich verlor alle meine Vorurteile über die Begrenzungen der mensch¬lichen Stimme, ich lernte, mich in alle Richtungen zu bewegen, und be¬gann, alle Möglichkeiten zu hören. Am Beginn von aller Musik, stand die menschliche Stimme – lange, bevor es noch irgendein Instrument gab. Für das, was ich tue, gibt es eigentlich keine Bezeichnung.
Ich nenne es „ego-less music“, denn es kommt aus den Tiefen meines Unterbewusstseins. Ein Stöhnen, ein Seufzen, ein schriller Schrei – das kann alles ausdrücken, was Menschen imstande sind, zu empfinden. Was aus meinem Unterbewusstsein kommt, darf mein Bewusstsein auf keinen Fall einengen oder begrenzen – nur kontrollieren!
Ich habe auf archaische Dinge zurückgegriffen habe: Musik aus dem Himalaya, indische Ragas, Gesänge der Pygmäen in Zentralafrika – UMBO VETI etwa ist ein uraltes Jagdlied; die Pygmäen singen es, bevor sie auf Elefantenjagd gehen.
Viele Weiße sagen, diese Musik sei primitiv. Aber das ist nicht wahr, sie ist sehr komplex und subtil – und zugleich gibt sie der menschlichen Stimme ungeahnte Freiheiten des Ausdrucks. Es ist die Aufgabe des Künstlers, dem Zuhörer eine neue Perspektive von dem zu vermitteln, was um ihn her geschieht, es kommentieren – und damit ordnen. Die Leute hören einem Sänger zu, wenn er es versteht, sie In ihrem Unterbewusstsein zu treffen: das kann er aber nur, wenn er sein eigenes Unterbewusstsein weit öffnet…“
Genau das tut Leon Thomas zweifellos, in jeder Note, die er singt, auf jeder Aufnahme, die er gemacht hat.
Thomas trat u.a. mit Art Blakey, Count Basie, Rahsaan Roland Kirk und Archie Shepp,Oliver Nelson. Er arbeitete auch mit Carlos Santana, Freddie Hubbard, Joe Henderson, nahm auch Platten mit Louis Armstrong. Er spielte mit David Liebman ebenso, wie mit Jamaaladeen Tacuma, den ich im Vorjahr in Steyr live erleben durfte.
Leon Thomas starb 1999 an Herzversagen.
Die Titel: The Creator Has A Master Plan, One, Echoes, Malcolm´s Gone, Um Um Um,
What Are We Gonna Do, Love, China Doll-Blues & The Soulful Truth, Umbo Veti und Balance of Life
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