Zeitgeschichte: Die FPÖ und ihr „Naheverhältnis zur NSDAP“

24.08.2022

Ein Beitrag zur Zeitgeschichte:
Die FPÖ und ihr „Naheverhältnis zur NSDAP“

Über die FPÖ sind derzeit verschiedene Begebenheiten in der öffentlichen Diskussion. Die Partei hat etwa angekündigt, den Fußballverein Werder Bremen zu verklagen – was ist denn da los? Ein Ex-Abgeordneter hat die Intrigenwirtschaft der Partei – unter seiner engagierten Beteiligung, Abhöraktionen unter Parteifreunden eingeschlossen – nicht mehr ausgehalten und wollte sich nicht nur aus seiner Gesinnungsgemeinschaft, sondern gleich aus der Welt verabschieden. Und schließlich hat die Partei doch einen Kandidaten für die Wahl des Bundespräsidenten gefunden, der als seinen wesentlichen Programmpunkt die Entlassung der Bundesregierung vorstellt – böse Zungen unterstellen ihm und der Partei, über dieses abgekürzte Verfahren „Persönlichkeiten“ aus dem „dritten Lager“ an die Macht bringen zu wollen. Im anstehenden Wahlkampf wird er sicher wieder über einige Skandälchen befragt, die sog „Einzelfälle“, gemeint sind antisemitische bzw. rassistische Ausritte seiner Parteifreunde – der aktuelle „Einzelfall“ spielt gerade in Tirol angesichts der bevorstehenden Landtagswahl. Aber wenigstens diesbezüglich ist der Kandidat hervorragend präpariert, denn ihm steht ein Kleinod der zeitgeschichtlichen Forschung zur Verfügung: Ein „BERICHT DER HISTORIKERKOMMISSION. Analysen und Materialien zur Geschichte des Dritten Lagers und der FPÖ“, herausgegeben im Jahr 2019 vom Freiheitlichen Bildungsinstitut. Das Forschungsprojekt wurde von Beteiligten so begründet:

„Anfang 2018 wurde auf Initiative des damaligen FPÖ-Bundesparteiobmanns und Vizekanzlers Heinz-Christian Strache eine Historikerkommission eingerichtet, die sich kritisch mit der Vergangenheit der FPÖ auseinandersetzen sollte. In den Medien und vom politischen Gegner wurde dieses Unterfangen mit dem Aufspüren sogenannter ‘brauner Flecken’ der FPÖ verglichen. Konkret ist damit gemeint, dass der FPÖ ein historisches Naheverhältnis zur NSDAP unterstellt wird, weshalb es angeblich auch bis heute immer wieder zu Äußerungen von FPÖ-Funktionären kommt – den sogenannten ‘Einzelfällen’ –, die dieses zu bestätigen scheinen.“ (BERICHT, S. 643)

Anlass dieses Berichts war einer der „immer wieder“ aufbrechenden parteitypischen „Einzelfälle“ – damals ging es um antisemitische Texte in einem Liederbuch der schlagenden Burschenschaft „Germania“. Nachdem die FPÖ damals mit der ÖVP die türkis-blaue Bundesregierung stellte, und nachdem nicht zuletzt der türkise Koalitionspartner es sich nicht nehmen ließ, auch diese Affäre auszuschlachten und irgendwelche „Konsequenzen“ anzumahnen, um klarzustellen, wer hier der Chef und wer der Juniorpartner ist – deswegen also wollte Strache die übliche Abwicklung dieser „Einzelfälle“: Distanzieren, Dementieren, Kleinreden, die Beschuldigung der Medien, zeitverzögerte Bekräftigungen, das normale jämmerliche Hin und Her eben –, das wollte er auf ein höheres Niveau heben. Durch seine Initiative sollte die Partei endlich die Deutungshoheit über ihre „braunen Flecken“ und „Einzelfälle“ erlangen, indem die Partei in Eigenregie eine „kritische“ Darstellung vorlegt, und so ihren Kritikern den Wind aus den Segeln nimmt. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Ergebnisses war Strache allerdings nicht mehr Parteiobmann und die Regierungsbeteiligung der FPÖ war Geschichte; in der Zwischenzeit war das „Ibiza“-Video präsentiert worden. Insofern war das Interesse der Öffentlichkeit am Ergebnis der Forschungstätigkeit sehr endenwollend – und der BERICHT wird durch diese Ignoranz weit unter seinem Wert gehandelt. Mit Ende der Regierungsbeteiligung hat sich die Ausgangslage und das ursprüngliche Bedürfnis offenbar wieder erledigt:

„FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz will sich wieder den rechtsextremen Identitären annähern. Man habe während der Regierungszeit den Fehler gemacht zu glauben, ‘wir müssen in ein Rückzugsgefecht gehen und uns auf Zuruf von (ÖVP-Bundeskanzler, Anm.) Sebastian Kurz distanzieren’, sagte er in einem Interview mit dem einschlägigen Magazin ‘Info Direkt’, und: ‘Mit dieser Distanziererei ist es jetzt aber definitiv vorbei.’“ (Standard 30.11.2020) Dem war aber dann doch nicht ganz so, denn Schnedlitz hat sich von dieser Distanzierung von den vorherigen Distanzierungen kurz darauf wieder – distanziert. (ebd.) (Zur Erinnerung: Kurz hatte damals einen Akt der distanzierenden Heuchelei der FPÖ von den „Identitären“ verlangt und bekommen.)

Wenn es die ursprüngliche Intention gewesen sein sollte, das historische Naheverhältnis der FPÖ zur NSDAP als eine „Unterstellung“ und die „Einzelfälle“ als bloß „scheinhafte“ Bestätigung dieser „Unterstellung“ darzulegen – dann ist dem BERICHT ein gewaltiges Eigentor gelungen. Die Langfassung meiner Rezension unter cba.media, Podcast „Kein Kommentar“ hochgeladen, Rubrik „Dokumente“. Nun eine Kurzfassung zu einigen Stichworten:

Der Streit um den „Nationsbegriff“

Die Republik Österreich war aus Sicht der FPÖ ein grindiger Staat ohne ordentliches Volk. In der FPÖ und vorher im VdU (Verband der Unabhängigen) hat sich nach 1945 ein wuchtiger Vorbehalt gegen die Nachkriegsordnung organisiert, und zwar durch die Problematisierung der „österreichischen Nation“. Aus dieser Sicht existierte zwar der österreichische Staat, aber kein österreichisches Volk – das vielleicht bis heute nicht –, weil die Österreicher eigentlich Teil des deutschen Volkes seien. Dieser Vorwurf hatte und hat es in sich – er bestreitet sehr prinzipiell der Republik Österreich ihre Legitimität, als ein Staat gewordener Verstoß gegen das „Selbstbestimmungsrecht“ des deutschen Volkes. Das ganz grundsätzliche Verhältnis von Herrschaft und Volk wird da thematisiert; worauf sich dieses Verhältnis gründet, und worauf es sich demzufolge in Österreich nicht gründet – und was „Österreich“ dennoch und trotzdem war bzw. vielleicht nach wie vor ist: Keine „richtige“ Nation auf Basis eines eigenen, von anderen unterschiedenen österreichischen Menschenschlags mit einer ganz eigenen nationalen „Identität“, sondern ein politisches „Gebilde“ ähnlich der früheren DDR – schon mit Marktwirtschaft und Demokratie –, aber dennoch ein bloßes Diktat der Siegermächte, also ein fremdbestimmtes Oktroi, in der zweiten Auflage. Das gilt auch und erst recht, wenn einheimische Kollaborateure als von den Siegern zugelassene „Lizenzparteien“ diese Fremdherrschaft exekutieren und es auch noch schaffen, durch „demokratische“ Wahlen die Zustimmung der Bevölkerung zu diesem alternativlosen Projekt zu organisieren. „Freie Wahlen“ – unter einem Regime von Besatzungsmächten? Bei denen außerdem bis 1949 einem Teil der Bevölkerung, nämlich den NSDAP-Mitgliedern, das Wahlrecht verweigert wurde? Die Sicherheit, zweifelhafte Parteien hätten sich vom siegreichen Feind mit dem Regieren beauftragen lassen, bildet den erkenntnisleitenden Gesichtspunkt der sog. „Ehemaligen“ bei der Begutachtung der Zweiten Republik. Die lange Herrschaft dieser „Altparteien“ ist ein Ergebnis der damaligen Fremdbestimmung nach der Niederlage; die Regierungen von ÖVP und SPÖ waren also die Fortsetzung der Besatzung unter geänderten Umständen:

„Die Herrschaft der Altparteien … wurde begründet, als es noch kein freies Österreich gab. Mit Lizenz der Besatzungsmächte wurde der Auftrag an die Parteien erteilt, sich des Landes ‘anzunehmen’. Diesen Auftrag haben die Altparteien sehr ernst genommen. Bis heute ist Österreich ein Beutestück dieser Parteien.“ (Jörg Haider, Die Freiheit, die ich meine. Frankfurt/Main – Berlin 1993, S. 126)

Die mit dieser Diagnose – „Staat ohne Volk, Teil des deutschen Volkes im aufgezwungenen Unrechtsstaat“ – eigentlich zwingend fällige Forderung nach dem „Anschluss“ hat die FPÖ nicht erhoben; diese Forderung hätte das Parteiverbot nach sich gezogen. Ohnehin gab es von Seiten der Bundesrepublik Deutschland – im Unterschied zur DDR – kein Bedürfnis nach dieser „Wiedervereinigung“, da wäre die FPÖ allein gestanden. Aber immerhin! Das Offenhalten der „nationalen Frage“ war angesagt, als die genuine Aufgabe der Partei. In den Worten des späteren Obmannes und damaligen Nachwuchstalents Jörg Haider:

„Erst die Niederlage des ‘Großdeutschen Reiches’ führte zur Geburt des sogenannten volksösterreichischen Gedankens. Damit steht Österreich vor einer Wahl, die seine Entwicklung auf unabsehbare Zeit entscheidet, das deutsche Volk vor der Gefahr, weitere 7 Millionen Menschen zu verlieren. … Die vornehmste dieser Aufgaben ist die Abwehr aller Bestrebungen, die auf eine Loslösung Österreichs vom Deutschtum gerichtet sind. Wir haben daher in den Deutschen Österreichs das Bewusstsein wachzuhalten, ein Teil des deutschen Volkes mit allen sich aus dieser Zugehörigkeit ergebenden Rechten und Pflichten zu sein. … Als 1945 das deutsche Volk nach einem verlorenen Krieg ohnmächtig am Boden lag und nur der Kampf um das nackte Überleben im Alltag herrschte, schien für gewisse Kreise der Zeitpunkt gekommen zu sein, die Zugehörigkeit der Österreicher zum deutschen Volk endgültig zu verleugnen.“ (National-Zeitung und Soldaten-Zeitung 29.7.66, zitiert nach BailerGalanda, Haider wörtlich. Führer in die dritte Republik. Wien 1995, S. 47.)

Jung-Jörg erinnert also einerseits durchaus daran, was ein Volk zusammenzwingt und zusammenhält, wenn er die „Rechte und Pflichten“ erwähnt, die eine Herrschaft ihrem Volk auferlegt; und den „verlorenen Krieg“ als Grund der „Loslösung Österreichs“ ins Treffen führt, identisch mit dem „Verlust“ von 7 Millionen Volksdeutschen. Andererseits fingiert er die durch den Krieg entschiedene Gewaltfrage als bloß zweitrangigen, geradezu vordergründigen Effekt, der die Sache eben nicht entschieden, sondern bloß eine diesbezügliche „Gefahr“ heraufbeschworen habe, der mit konsequenter Bewusstseinsarbeit zu begegnen sei. Er besteht darauf, dass ein Volk mehr und Höheres sei als bloß die Ansammlung von Untertanen, die von einer höchsten Gewalt als ihre Bürger anerkannt und deswegen mit Rechten und Pflichten ausgestattet werden – vielmehr eine ganz eigene Menschensorte, die sich durch vor- und unpolitische Merkmale von anderen solchen Kollektiven unterscheide, deswegen und dadurch eine Gemeinschaft bilde, und die sich eine höhere Gewalt als ihr dienstbares, ausführendes Organ einrichte. Damit befindet sich die FPÖ in bester Gesellschaft – dieses Bild der unpolitischen „Übereinstimmung“ von Volk und Führung gilt nicht nur in dezidiert völkischen Kreisen als Nation und insofern als Garantie gegen die Unterdrückung der Unteren durch eine Fremd-Herrschaft – und das durchaus gegen die und jenseits der Frage, was die Herrschaft ihren Leuten als Rechte und Pflichten auferlegt, also ob etwa die berühmten Menschenrechte gelten oder nicht.

Es ging dem VdU und der FPÖ also nicht darum, der Wiederbetätigung in einem praktisch-politisch-nationalsozialistischen Sinn zu frönen; das waren keine militanten Widerstands- oder Befreiungsbewegungen der „unterdrückten“ Deutschen in Österreich. Das „Offenhalten der nationalen Frage“ als „theoretische“ Position durch geradezu akademische Problematisierungen des „Begriffs“ der „Nation“ war das Anliegen, und nicht der nationale Befreiungskampf. Die Schutzbefohlenen von VdU und FPÖ im politischen Alltag waren folgerichtig die Aktivisten des Deutschtums in Österreich, eben die Nationalsozialisten, denen durch das Verbot und die Auflösung der NSDAP die politische Heimat abhanden gekommen war, und die – in unterschiedlichen Graden – von der Entnazifizierung betroffen waren. Die organisierten sich als Interessengruppe im Dienst ihrer materiellen und moralischen Bedürfnisse, also gegen die Entnazifizierung und gegen „einseitige“ Wiedergutmachung.

Entnazifizierung und Wiedergutmachung:
Für den „Gleichheitsgrundsatz“ für Nationalsozialisten!

Ein Bericht über eine Parlamentsdebatte des Jahres 1951, aus den erwähnten „Materialien“ zur Geschichte des „Dritten Lagers“:

„Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch, dass Personen, die sich schon vor 1938 zur NSDAP bekannt hatten, unter keinerlei Umständen mit Gnade rechnen durften, weil sie dadurch ihre Österreich-Feindschaft überdeutlich klar gemacht hätten. Pfeifer sah jedoch in der gesamten Nationalsozialistengesetzgebung einen Widerspruch zum bereits im Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger von 1867 festgelegten Prinzip der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz. … so nahm Pfeifer den Begriff der Illegalität selbst ins Visier, denn ‘Illegale wurden alle genannt, die sich gegen etwas gestellt haben, was sie selbst mit Recht als illegal betrachtet haben’. Der wahre ‘Illegale jener Zeit’ jedoch sei der gewesen, ‘der die Verfassung gebrochen hat, und nicht der, der den Verfassungsbruch nicht anerkennen wollte’.“ (BERICHT S. 237f. Bzw. S. 244)

Geht um folgendes: Üblicherweise fällt ein Kampf wie derjenige der „Illegalen“ (Nationalsozialisten) gegen die Souveränität des österreichischen Staates (vor 1938) unter das Verdikt „Hochverrat“. Der gleichheitsfanatische Abgeordnete Pfeifer hat nun die „Nationalsozialistengesetzgebung“ (die „Entnazifizierung“) mit dem köstlichen „Argument“ der „Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz“ aufs Korn genommen! Es hat schon etwas Putziges an sich, wenn da die Mitglieder einer staatsfeindlichen, verbotenen und behördlich aufgelösten Organisation als ordentliche Bürger gelten sollen, ausgerechnet wg. staatsbürgerlicher Gleichheit! Der damalige staatliche Zweifel an der „Pflicht und Treue“ von nationalsozialistischen Beamten (Gegenstand der Debatte war ein „Beamten-Überleitungsgesetz“) gegenüber Österreich verstößt gegen einen Gleichheitsgrundsatz? Die leidenschaftlichen Gleichmacher von VdU bzw. FPÖ möchten so den Unterschied zwischen Feinden der österreichischen Souveränität und braven Bürgern tilgen?

Mit dem „Verfassungsbruch“ ist die Aussperrung der österreichischen Parlamentarier aller Parteien vom März 1933 gemeint; der damalige Bundeskanzler Dollfuß regierte sodann auf Basis des “Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes“ durch Verordnungen. Die NSDAP in Österreich wurde im Juni 1933 verboten, nach einem „Anschlag mit Handgranaten in Krems. Der NS-Terror nahm in den folgenden Monaten ab, jedoch waren bis Jahresende immer noch fünf Tote und 52 Verletzte zu beklagen.“ (wikipedia) Schon vorher fand eine „Terrorwelle von NS-Anhängern ihren Höhepunkt, als in den ersten Wochen des Juni 1933 bei Anschlägen vier Menschen getötet und 48 verletzt wurden.“ (ebd.) Der erfolglose „Juliputsch“ österreichischer Nationalsozialisten ein Jahr später kostete den Bundeskanzler Dollfuß das Leben. Bemerkenswert am zitierten Beitrag ist die Distanzlosigkeit, mit der für den Abg. Pfeifer die damaligen „Illegalen“ im Recht waren, indem sie als die selbst zuständige höchste Instanz in Fragen von Recht und Unrecht referiert werden: Sie sind, wie alle Terroristen das tun, ihrem eigenen Verständnis von Legalität gefolgt – und waren deswegen „mit Recht“ Staatsfeinde; spätestens durch das Parteiverbot war die verbotene Partei im Recht! Bemerkenswert. In dem Fall gilt auch, dass das eine „Unrecht“, nämlich der sog. „Verfassungsbruch“, das andere „Unrecht“ der Illegalen allemal rechtfertigt; im Unterschied zum „Unrecht“ der Entnazifizierung, das durch das vorherige „Unrecht“ des Nationalsozialismus keineswegs gedeckt sei! (So etwa der Abgeordnete Gredler 1951, BERICHT S. 234)

In Fragen der Wiedergutmachung hat sich die FPÖ (bzw. der VdU) vor allem durch die Vorstellung eines „breiten Opferbegriffs“ profiliert, sodass durch die radikale freiheitliche Gleichmacherei nicht nur die Opfer des Nationalsozialismus, sondern auch Nationalsozialisten, als Opfer der Siegermächte und der Entnazifizierung, mit Entschädigungen hätten bedacht werden müssen, weswegen die Partei einigen diesbezüglichen Gesetzen dann doch nicht zustimmen konnte:

„Das erste Gesetz, zu dem sich auch freiheitliche Abgeordnete (damals noch im VdU) äußerten, war das am 18. Jänner 1956 behandelte Hilfsfondsgesetz, das 550 Millionen Schilling für jüdische Emigranten bereitstellte. Der Redner des VdU, Wilfried Gredler, formulierte in der Ablehnung des Gesetzes für seine Fraktion einige Grundsätze, die wir bereits aus früheren Debatten kennen bzw. auch für die Stellungnahmen von freiheitlichen Abgeordneten zu späteren Gesetzen kennzeichnend sein werden. … So sei es im Sinne der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und internationaler Menschenrechtskonventionen untragbar, dass sämtliche Wiedergutmachungsgesetze seit 1945 eine Ausnahme für sogenannte ‘illegale’ Nationalsozialisten vor 1938 oder für nach 1945 erlittenes Unrecht von Nationalsozialisten gemacht hätten. … Gredlers letztes Argument, nämlich dass durch die Bevorzugung von bestimmten Opfergruppen ‘eine gewisse negative Stimmung, die wir alle gemeinsam nicht sehen wollen’, entstehen könne, kann man für subtilen Antisemitismus oder zumindest Verständnis für das Aufkommen antisemitischer Reaktion halten.“ (BERICHT S. 259)

Der „breite Opferbegriff“ gilt also speziell den Nationalsozialisten, die vom erwähnten Gesetz zugunsten „politisch Verfolgter“ ausdrücklich ausgenommen wurden, was deren freiheitliche Anwälte einfach nicht goutieren konnten, wo die Nazis doch – nach 1945 – selber aus politischen Gründen „verfolgt“ wurden. Keine Wiedergutmachung an Juden ohne Wiedergutmachung an „illegalen“ Nationalsozialisten – schöner kann man die Parteilinie nicht vortragen. „Rechtsgleichheit“ für alle: Gehetzte Juden und illegale Nationalsozialisten sind Opfer, ihnen allen stehen wegen dieses erhabenen Grundsatzes Entschädigungen zu. Die vielen Opfer der Erfolge des Nationalsozialismus (im KZ und Vernichtungslager) finden sich mit den Opfern der Niederlage des Nationalsozialismus vereint, im großen egalitären freiheitlichen Opfereinheitsbrei.

*

Zwei Zeitzeugen der damaligen Debatten vermerken dazu:

„Rückblickend auf diese Debatte meinte Friedrich Hillegeist (SPÖ) am Tag darauf, dass ein neutraler Beobachter hier den Eindruck hätte gewinnen können, dass nur Nationalsozialisten jemals unschuldig Verfolgte gewesen wären …“ (BERICHT, S. 242) „Fritz Polcar von der ÖVP … nach Ihnen, Herr Abgeordneter Pfeifer, wird es wahrscheinlich immer ein NS-Problem geben, solange die Nationalsozialisten in unserem Lande nicht eine nach Ihrem Willen geleistete Wiedergutmachung erhalten“. (BERICHT S. 245)

Gegen den Gleichheitsgrundsatz für Deserteure!

Gegenüber anderen Opfern des Dritten Reiches muss die FPÖ auch im Jahr 2009 auf einem ganz „engen“ Begriff bestehen, wenn es nämlich um Deserteure aus der Wehrmacht geht: Der für Nationalsozialisten gültige erhabene freiheitliche Grundsatz „Opfer ist Opfer“ gilt für die Opfer der NS-Militärjustiz definitiv nicht, so „breit“ kann der freiheitliche „Opferbegriff“ gar nicht sein. In dem Fall bevorzugt die Definitionskunst der Partei eine „engere Auslegung des Widerstandsbegriffes“, weil ihr jede „pauschale Rehabilitierung“ „problematisch“ ist, da nicht jeder Deserteur ein aktiver Widerständler gegen das Dritte Reich gewesen sei. Da ist der Partei die Gleichmacherei zuwider. Als ob die „Prüfung der Einzelfälle“ nicht schon von der Militärjustiz der Wehrmacht erledigt worden wäre! Echte hochkarätige Widerstandskämpfer hätte die FPÖ nach sorgfältiger Einzelfallprüfung natürlich sofort rehabilitiert, nicht aber ordinäre Deserteure, die bloß die eigene Haut retten wollten?! Diese Darstellung ist von geradezu erbärmlicher Unverschämtheit, sogar für freiheitliche Verhältnisse, angesichts der im „Milieu“ üblichen „Diffamierung des Widerstandes“!

Deserteure, die erwiesenermaßen diesem „Regime des Terrors“ geschadet hatten, können es der FPÖ einerseits nicht recht machen. Wenn sie wirksam etwas gegen die Kriegsmaschinerie des Dritten Reichs unternahmen, dann verraten oder ermorden sie ihre „Kameraden“, die im Dienst dieses Terrorinstruments tätig sind; wenn sie es nicht tun, dann sind sie andererseits gar keine echten Widerständler und fallen dem „engen Widerstandsbegriff“ der FPÖ zum Opfer. Bei Deserteuren ist natürlich auch nicht deren eigenes Verständnis von Recht und Unrecht für die FPÖ maßgeblich, wie bei den „illegalen“ Nationalsozialisten der 30er Jahre, die für die FPÖ im Recht waren.

Einer der Autoren des BERICHT hat sich jedenfalls ein recht klares Bild vom Stellenwert „freiheitlicher Prinzipien“ erarbeitet:

„An diesem Punkt könnte man die ‘Henne oder Ei’ Frage stellen, ob nun die freiheitlichen Prinzipen von sich aus die Intervention zugunsten der unschuldigen Nazis bedingt hätten oder ob diese nur zum Schein aufgestellt worden wären, um aufgrund der ideologischen Nähe, aber auf ‘unverdächtige’ Weise, den Nazis helfen zu können.“ (BERICHT S. 276)

„Henne oder Ei“ – gemeint ist damit die Frage nach dem eigentlichen Anliegen? Geht es der FPÖ um die „freiheitlichen Prinzipien“ oder um deren interessierte, gezielte Anwendung zugunsten der „Nazis“ aufgrund „ideologischer Nähe“? Die Frage ist beantwortet: Dem Autor ist aufgefallen, dass die freiheitlichen Prinzipien dann gelten, wenn es dem materiellen oder moralischen Nutzen der „Nazis“ dient. Sie werden natürlich nicht „zum Schein“ aufgestellt, sie werden selektiv zur Geltung gebracht: Die Geilheit der freiheitlichen Fürsprecher auf eine „Opferrolle“ für Nationalsozialisten und das Pochen auf „Rechtsgleichheit“ erfolgt in der Manier von Winkeladvokaten. Und das durchaus auf sehr moderne Art, nämlich wissenschaftlich-methodisch-pluralistisch – als eine Frage der „Enge“ oder „Breite“ von „Begriffen“, die deren Anwender nach seinen Bedürfnissen wählt.

Literatur:

Herbert Auinger: Anmerkungen zum freiheitlichen BERICHT DER HISTORIKERKOMMISSION, 2020, zu finden auf cba.media, Podcast „Kein Kommentar“, „Dokumente“.

„BERICHT DER HISTORIKERKOMMISSION. Analysen und Materialien zur Geschichte des Dritten Lagers und der FPÖ“, herausgegeben vom Freiheitlichen Bildungsinstitut 2019. Durch die ausführliche Dokumentation der einschlägigen Passagen in den „Anmerkungen“ erspart sich hoffentlich der geneigte Leser die Lektüre; falls das Bedürfnis geweckt wurde, hier der link: https://www.fpoe.at/fileadmin/user_upload/www.fpoe.at/dokumente/2019/PDFs/Buch-Historikerkommission-Web.pdf

 

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