Was ist hier mit der Wahl am 15. Oktober ausgebrütet worden?
ÖVP-Chauvinismus zusammengeschweißt mit der geistigen Wurzel der FPÖ, d.h. dem Deutschnationalismus des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts sowie dem Nationalsozialismus
In der Sprache der sogenannten “klaren Mehrheit” der Österreicher, die bis jetzt der FPÖ immer eine Absage erteilt hat, hieß es, dass diese nicht regierungsfähig sei. Tatssächlich kann man beobachten, dass es seit 1983 immer wieder ein Intervall von ca. 15 Jahren gab, dass die FPÖ versuchte, vom Keller an die Oberfläche, aus dem Ei an die Luft, zu kommen und ihre Realpolitik zu “atmen”. Zwei Fragen, die wir uns in diesem Zusammenhang stellen müssen, lauten folgendermaßen:
Wenn 25 Prozent der Wähler die FPÖ gewählt haben, ist dies dann nur die Spitze des Eisbergs oder subsummieren sie in einem Mehrheitsparteiensystem Österreich durch das Regieren von ÖVP/FPÖ die “klare Mehrheit”?
Ist Sebastian Kurz bloß ein Königsmacher der FPÖ oder ist er selbst seit Jörg Haider der neue Prinz und die Wurzel, die am besten diese Mehrheit – diesen Humus – zum Blühen führt?
Betreffend die “berühmte” Regierungsunfähigkeit der FPÖ sind alle der Meinung, dass die geistige Wurzel der FPÖ im Deutschnationalismus im späten 18. und frühen 20. Jahrhundert liegen sowie im Nationalsozialismus. Die Spekulation, wie lange die FPÖ diesmal regierungsfähig bleibt, hängt zusammen mit der Frage hinsichtlich ihrer Bindung an diese geistige Wurzeln und mit der ungenügenden Regierungsqualität ihrer Politiker zusammen. Diese Optik der Unfähigkeit galt bei den Mehrheitsverhältnissen von 1983, als ein schwerkranker Bruno Kreisky mit seiner SPÖ die absolute Mehrheit verloren hatte und seine Partei in eine Koalition mit der FPÖ (damals 5%) trieb. Das dauerte knapp drei Jahre, ehe Franz Vranitzky 1986 angesichts der Übernahme der FPÖ durch Jörg Haider ein “Danke, das reicht”, aussprach. Dann war Ruhe bis 2000, bis zur Schüssel/Haider-Koalition.
Diese Optik ist heute trügerisch und falsch – wir sind im Jahr 2017. Die heutige Vergesellschaftung und Vergemeinschaftung sowie die politische Landschaft Europas ist nicht die von gestern. Was in Großbritannien mit dem Brexit lief und läuft, hat in Europa vieles verändert. Was in Frankreich durch Marine le Pen (Front National) oder in Holland durch Geert Wilders (Partij voor de Vrijheid) nicht erreicht wurde, findet nun seine Gegenkraft in Österreich. Abgesehen von dem ungarischen und polnischen Kurs in Europa wird vieles von der Kehrseite der Dynamik der Globalisierung, von den offenen EU-Innengrenzen sowie von der Immigration bestimmt. Dass die damals bestehende politische Ordnung ausgelöscht und durch eine EU-Supranationalitätsstruktur ersetzt wurde, ist ein Faktum. Es geht vielmehr darum, die Kraftquelle der Nationen zu erhalten, ja sie zu noch lebendigerer Wirkung zu bringen.
Die Pioniere der westeuropäischen Einigung haben aus den Erfahrungen der beiden Weltkriege den Schluss gezogen, dass es den Nationalismus zu überwinden galt, der Europa an den Rand der Selbstzerstörung getrieben hatte. Der klassische, isolierte, uneingeschränkt souveräne Nationalstaat hatte aus ihrer wohlbegründeten Sicht zumindest in Europa keine Zukunft mehr. Die Mitglieder des Staatenbunds, den sie schufen, sind denn auch postklassische Nationalstaaten, die Teile ihrer Hoheitsrechte gemeinsam ausüben und andere Teile auf supranationale Einrichtungen übertragen haben. Die Wurzeln der meisten europäischen Nationen reichen bis tief ins Mittelalter zurück und die der älteren Nationalstaaten ebenfalls. Dessen sind sich viele Europäer bewusst. Hierzu der Historiker Heinrich August Winkler: “Wer die Nationen und die Nationalstaaten abschaffen will, zerstört Europa und fördert den Nationalismus”. Die Konsequenzen der Globalisierung, der offenen EU-Innengrenzen und der globalen Immigration waren in Österreich die Stunde der Schreibtischtäter à la Feschist und somit ist die FPÖ mehrheitlich regierungsfähig geworden.
Aber:
Die Abschaffung der Nation ist die europäische Idee.
Das Ziel des europäischen Einigungsprozesses ist die Überwindung der Nationalstaaten.
Ziel ist und bleibt die Überwindung der Nation und die Organisation eines nachnationalen Europa.
Man muss im Auge behalten, dass Regionalismus und Nationalismus keine Gegensätze sein müssen. Die Schotten betrachten sich ebenso wie die Katalanen als Nation und dafür gibt es gute historische Gründe. Beim aktuellen Konflikt um die Unabhängigkeit Kataloniens prallen zwei Nationalismen aufeinander, der spanische und der katalanische. Die Gegenüberstellung von friedlicher Region und kriegerischer Nation ist ein Produkt ahistorischen Wunschdenkens. Die Dekonstruktion der Nationalstaaten, sei es bei den Separatisten, den Katalanen, Flamen oder Norditalienern der Lega Nord, ist von Wohlstandschauvinismus geprägt. Die dortigen Sezessionsbewegungen wehren sich gegen die Zumutung, Solidarität gegenüber den sozial schwächeren Regionen des jeweiligen Landes üben zu müssen.
Bezogen auf Österreich schweißt Sebastian Kurz den neuen ÖVP-Chauvinismus mit den Gewürzen bzw. geistigen Wurzeln der FPÖ zusammen. Wir warten, was aus dieser Amalgamierung, zugeschnitten auf die Person Kurz, herauskommen wird.
Frage: Was ist tatsächlich geschehen, was ist hier mit der Wahl am 15. Oktober ausgebrütet worden?