Velvet Goldmine (Perlentaucher LXXX)
Auf den Spuren des Kultfilms Velvet Goldmine würdigen wir die sexuelle Ambivalenz in der Popkultur – und würgen am heteronormativen Durchschnitt einer bumsdummen Gesellschaft aus Massenblödien, Quasselödien und Kassenschmähdien. Diese Wortschöpfung von Uwe Dick aus den “goldenen” 70er Jahren bringt ja nicht nur die Medienindustrie auf den Punkt, sie verdeutlicht geradezu das gesamte Unwesen unserer Zivilisation. Doch den Nachthasen ist kein roter Faden zu dünn, um aus ihm nicht doch noch ein mutmachendes Hurra aufs Überleben zu destillieren: “Sexuell benutzerdefiniert” im Gegensatz zu den “empfohlenen Einstellungen” eines ohnehin unklaren Anbieters, es könnte so einfach sein, wenn man sich nur ließe. Auf jeden Fall empfehlen wir uns.
Oder Oscar Wilde, den verwegenen Vorkämpfer für das Menschenrecht auf sexuelle Selbstbestimmung im viktorianisch verklemmten England. Der ging für sein stures Beharren auf gleichgeschlechtlicher Liebe als einer möglichen Lebensform nicht nur ins Gefängnis, sondern an den Folgen dieser Unmenschlichkeit zudem auch tatsächlich zugrunde. Was allerdings keineswegs verhinderte, dass er seine Mit- und Nachwelt (also uns) mit einer Überfülle an zeitlos klugen Zitaten beschenkte. Viele davon finden sich dann im Script von Velvet Goldmine wieder, als einer von vielen roten Fäden, die diesen Film so wunderbar unblöd und wertvoll machen. Und ihn über die Jahre zu einem Kultfilm, vor allem für jugendliches Publikum, werden ließen, wiewohl er an den Kinokassen gefloppt war. “Oh mein Gott, Hollywood verhungert, sammelt Steckrüben!” So eine statistische Betrachtung von Verkaufserlösen beweist einfach nur, wie unmaßgeblich kommerzielle Überlegungen für den persönlichen Wert eines Kunstwerks sind. Und wie unerheblich die Mehrheitsmeinung im Hinblick auf individuelles Berührtwerden ist. Massengeschmack kann niemals ein Maßstab für die eigene Wahrhaftigkeit sein.
So beginnt Velvet Goldmine folgerichtig mit Oscar Wildes Kindheit (als Vorgeschichte), um sich dann jener kurzen Ära des Glam Rock der 70er Jahre hinzugeben, als zum ersten Mal in der Geschichte männliche Musiker als sexuell ambivalent auftraten und öffentlich mit eventueller Bisexualität spielten. Der überaus vielschichtige, teils symbolistisch und surreal in Stimmungsbildern erzählte Film fokussiert schließlich auf die beiden Rockstars Brian Slade alias Maxwell Demon (dessen Rolle David Bowie alias Ziggy Stardust nachempfunden ist) und Curt Wild (dessen Rolle von Iggy Pop sowie Lou Reed inspiriert wurde) und erzählt von deren Begegnung, Verliebtheit – und schlussendlichem Verfall. Als ob das nicht genug wäre, an Opulenz, Dimensionalität und Vertracktheit, gibt es dazu noch die Rahmenhandlung des Erzählers Arthur Stuart, eines Musikjournalisten, dessen investigative Recherchen mittels diverser Rückblenden in die ohnehin schon überbordende Erzählung hinein verwoben wurden. Insgesamt also ein Spielfilm, der nicht durch nüchternes Frontalbewusstsein begriffen, sondern vielmehr vermittels des entgrenzten Gefühlsverstands erlebt werden möchte. Und nicht “interpretiert”.
Was mit Sicherheit auch auf die Homepage von Michael Stipe zutrifft, der Velvet Goldmine als Herzensanliegen produziert hat. Bitte halten sie mich fest! Oder sonstwas. Wie dem auch immer nicht sei, wir zwei gewinnen dieser unendlich schönen Herausforderung aller Sinne naturgemäß einiges an Gefühlen und Bezügen ab. Darob werden wir hiernachts zu schwelgen haben, dem Erzählstrang sowie dem Soundtrack dieses musikalischen Ausnahmefilms folgend. Sontstwo erschienene Rezensionen halten wir allesamt für hochgradig verschnöselt und daher nichtssagend. Statt dass etwa die Ergriffenen schrieben, denen “das etwas gibt”, verzapfen da irgendwelche dafür “Zuständige” ihre öde Maßstabsmeinung, die keinerlei authentisches Erleben wiederspiegelt, sondern den Behelfsblah des allüblichen Gesumses aus dem Eintupf sachzwänglichen Durchschnitts. Was sexuell neugierige Welpentiere interessiern darf und was nicht, das wird von abgestanden normifizierten Pudernudeln festgelegt und in den “neuen” Untenhaltungsmedien reichweitigst verbetoniert. Es hat sich nichts geändert. Was normal ist, entscheiden die Angepassten. Und die spinnen mit Sicherheit!
“Gleich am Tag nach meinem Tod setz ich mich hin und schreib meine Memoiren. Davor bin ich viel zu sehr mit meinem Leben beschäftigt.”
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