Stadtumbau zwischen Utopie und Dystopie – Bedeutungskämpfe rund um die Umgestaltung der Wiener Mariahilfer Straße
Selten hat ein stadtplanerischer Eingriff in Wien so polarisiert wie die Neugestaltung der Inneren Mariahilfer Straße. Auf Basis des rot-grünen Regierungsabkommens von 2010 sollte der hochfrequentierte Einkaufsboulevard in eine Fußgängerzone mit zwei Begegnungszonen, die dem Gedanken des Shared Space entspringen, umgebaut werden. Doch die Pläne für den 1,6 Kilometer langen Straßenabschnitt, der sich zwischen Mariahilf und Neubau erstreckt, hat weit über die Bezirksgrenzen hinaus für bewegte Gemüter gesorgt.
Das politische Ringen um die Verkehrsberuhigung der „Mahü“, wie die Straße im Volksmund genannt wird, wurde von einem Bedeutungskampf um ein bestimmtes Narrativ geprägt und von einer mächtigen medialen Berichterstattung begleitet. Während das Planungsleitbild ein „aufgeräumteres“ Erscheinungsbild, Ruhe und Entschleunigung versprach, mutierte die geplante Fussgängerzone in der Öffentlichkeit zum „Boulevard der Empörung“. GegnerInnen trommelten gegen die Verdrängung des Autoverkehrs, befürchteten ein „Exodus der Kaufleute“ und prangerten die Kosten für Umbau und Öffentlichkeitsarbeit an. In der hitzigen Kontroverse prallten verschiedene Konzepte und Codierungen des Städtischen aufeinander und urbane Idealvorstellungen divergierten.
Im Frühjahr 2014, als das neue Verkehrskonzept bereits probeweise umgesetzt war, band die Stadtregierung knapp 49’000 AnwohnerInnen in Form einer BürgerInnenumfrage bei der Entscheidung über die Zukunft des zentralen Straßenraums ein. Nachdem 53 Prozent einer Verkehrsberuhigung zustimmten, wurde die Durchzugsroute des motorisierten Individualverkehrs abschnittsweise in einen fußgänger- und fahrradfreundlichen Freiraum umgewandelt.
Radio dérive hat sich im ersten Sommer nach der Neugestaltung der „Mahü“ auf heißes Pflaster begeben, um eine kritische Bestandsaufnahme der aktuellen Narrationen rund um die umstrittene Flaniermeile zu präsentieren. Unterschiedliche NutzerInnen der längsten Einkaufsstraße Österreichs erzählen, inwiefern die Verkehrsberuhigung ihren Alltag tangiert, wie sie den Planungsprozess im Nachhinein bewerten und ob sich die Bilder im Kopf – die Visionen und Hoffnungen auf der einen Seite und die apokalyptischen Zukunftsszenarien auf der anderen Seite – realisiert und materialisiert haben. Denn was passiert, wenn mediatisierte Darstellungsweisen und Erzählmuster auf die subjektive Erfahrung des Realraums treffen? Wie wirkmächtig bestimmen öffentliche Diskurse unser Denken und Sprechen in Momenten der Stadtreflexion? Und was bedeutet dies für die Planung?
Redaktion und Sendegestaltung: Sandra Voser
Moderation: Bianca Harnisch
Mitarbeit: Philipp Brugner, Marcus Fassl, Wolfgang Ganglberger, Klara Löffler, Michael Franz Woels
Sendungsverantwortung: Sandra Voser
Signation: Bernhard Gal
Erstausstrahlung: Dienstag, 1. September 2015, 17:30 auf Radio Orange 94.0 (Wien) oder als Livestream
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