Sigi Maron lebt weiter
2016 habe ich nach Sigi Marons Tod für das frozine einen Text verfasst, der auch heute noch Gültigkeit hat.
Erich Klinger
Sigi Maron lebt weiter (für Sigi Maron, 1944 – 2016, posthum) – geschrieben 22. bis 25.7.2016)
Sigi Maron war sich darüber im Klaren, dass es auf dieser Welt nur selten gerecht zugeht. Maron war gleichermaßen Wütender, der auf Umschreibungen verzichtete, wenn es beispielsweise darauf ankam, Arschlöcher als Arschlöcher zu benennen, wie auch zu großer Präzision in der Sprache fähig, was nicht nur darin zum Ausdruck kam, dass er mit wenigen Worten Zu- und Umstände beschreiben konnte, die ihm gegen den Strich gingen. Diese Präzision befähigte ihn auch, „Szenen aus dem wirklichen Leben“ abzubilden, Sehnsüchte, Verletzungen, sich gefangen fühlen in beengten Verhältnissen, Ausbruchsversuche aus dem Blickwinkel derjenigen, die es sich nicht richten können.
Der Autor Erwin Riess bezeichnete Maron in seinem 1992 erschienenen Essay „Vom Nachhall des Zorns. Sigi Marons Abschiedsalbum“ als „Lyriker von Rang, der sich die Freiheit erstritten hat, seine Gedichte in eine musikalische Form zu kleiden, die seit Bob Dylan sogar in Österreich heimisch geworden ist“.
Es blieb nicht beim Abschied nach dem Album „liib haimadland adee“, zwei Jahre später erschien „hoizweg“, ein Buch inklusive CD mit 20 Balladen*.
1996 folgte das Album „Raps und Rübsen“*, 2009 ein Konzertmitschnitt vom „Festival des politischen Liedes“ am Attersee, 2009 das Buch „fahrrad gegen mercedes. gedichte und so“ mit beigeschlossener CD, 2010 das Doppelalbum „Es gibt kan Gott“, bestehend aus einem Liederalbum 1976-1996 und einem Tonträger mit neuen Liedern, aufgenommen mit den Rocksteady Allstars.
Im Jahr 2012 erschien „Es is net ollas ans“, ein Live-Mitschnitt aus dem Ö1 Radiokulturhaus, und als letztes Album 2014 Dynamit und Edelschrott, mit den Rocksteady Allstars, die Sigi Maron auch bei seinem Abschiedskonzert in der Linzer Stadtwerkstatt am 13. Dezember 2014 begleiteten. Maron komponierte/verfasste auch Musik für Theaterstücke bzw. Filme und wirkte in Kinofilmen, , beispielsweise in Lebenslinien von Käthe Kratz bzw. in der Fernsehserie „TOHUWABOHU“ unter der Regie von Helmut Zenker mit. Bezüglich umfassenderer Informationen verweise ich u.a. auf den Wikipedia-Eintrag zu Sigi Maron, auf Marons Homepage bzw. auf Robert Rotifers Betrachtungen zum musikalischen Werk Marons. Oder auf ein von Sebastian Fasthuber geführtes Interview mit Maron, veröffentlicht anlässlich des Erscheinens von „Dynamit und Edelschrott“, nachzulesen im Archiv von music austria – die Links zu meinen Hinweisen finden sich am Ende dieses Textes. Als Musiker war Sigi Maron trotz häufiger Solo-Auftritte alles andere als ein Einzelgänger, seine Qualitäten als Musiker zeigten sich im Zusammenspiel mit verschiedenen Bands, zuletzt den Rocksteady Allstars, aber auch mit Fritz Nußböck, ebenfalls ein bemerkenswerter Musiker und Texter. Maron, dessen Alben zwar großteils, doch nicht nur in Österreich, sondern auch in London bzw. nahe München produziert wurden, arbeitete auch mit Kevin Coyne, Bob Ward oder Konstantin Wecker zusammen, übersetzte beispielsweise auch Lieder von Kevin Coyne, einem gleichwertigen und ebenfalls in seiner Bedeutung oft unterschätzten Musiker. Unbestritten war der in jungen Jahren über die Sozialistische Jugend geprägte Maron bis zuletzt als Künstler und Mensch politisch aktiv, ein Linker, der sich auch trotz seines Engagements für die KPÖ als zweimaliger Kandidat bei Landtagswahlen bzw. als Kandidat auf der NÖ. Landesliste bei der Nationalratswahl 2013 sehr direkt über für ihn Unliebsames in der KPÖ äußerte. Für die Sozialdemokratie und ihre Repräsentanten hatte Maron aufgrund deren Konturlosigkeit, Verkommenheit und auch aufs eigene Wohl bedachter Angepasstheit in erster Linie Verachtung, Wut und auch beissenden Spott übrig, ausgenommen davon blieben einige wenige SozialdemokratInnen, denen Maron noch politisches Rückgrat attestierte, wie Andreas Babler, Bürgermeister von Traiskirchen. Dass Sigi Maron, in dessen Biografie zu lesen ist: 1997 Einstellung aller Liveauftritte aus gesundheitlichen Gründen, alle seither folgenden, oft lebensbedrohlichen Widrigkeiten bis vor wenigen Tagen überstand, war vermutlich auch für ihn erstaunlich. 2014 sagte Maron im Gespräch mit Sebastian Fasthuber, dass er nach einem bevorstehenden weiteren Eingriff „eigentlich ein Humanoid sein“ werde. Oder dass er eine Operation 2007 wahrscheinlich nicht überlebt hätte, wenn nicht die Sorge um seinen Enkel gewesen wäre. Es war nicht nur die Arbeit medizinischer Fachkräfte, die Sigi Maron immer wieder am Leben hielt. Sein eigener Anteil – wie sehr ihm dabei sein Humor, auch seine Fähigkeit zur Selbstironie zugute kam, vermag ich nicht zu sagen – muss ziemlich groß gewesen sein, der Wille, weiterzuleben bzw. nochmals und wiederholt die Kraft aufzubringen, dem Tod von der Schaufel zu hüpfen oder besser gesagt, zu rollen, denn mit dem Hüpfen war es bei ihm, dem Rollstuhlfahrer seit seinem 12. Lebensjahr, ja zumindest körperlich nicht so weit her. Sigi Maron war sicher kein Mensch, dem man mit „Er sei an den Rollstuhl gefesselt“ kommen konnte, ohne heftige Erwiderung zu ernten. Er konnte ziemlich laut werden, wenn es um Behinderungen ging, die ihm als Rollstuhlfahrer zu schaffen machten, er forderte Rechte ein, anstatt als um Verständnis heischender Bittsteller aufzutreten. Bei „Licht ins Dunkel“, der im Umgang mit „Behinderten“ zynisch und menschenverachtend agierenden Wohltätigkeitsmaschinerie, hätten sie mit Sigi Maron sicher keine Freude gehabt. Maron war auch kulturpolitisch durchaus konfliktfreudig, nicht nur bei der Besetzung des Arena-Geländes in Wien, sondern auch beim provinziellen Linzer Theater um die am westlichen Brückenkopfgebäude angebrachte Nachbildung der NIKE in den zu Ende gehenden 1970ern, später dann u.a. beim – vom Liedermacherkollegen Charly Kriechbaum in Gang gebrachten – Protest gegen den weitgehenden Boykott kritischer LiedermacherInnen durch Ö3 vor dem Wiener Funkhaus, der für Maron damals mit einer Nacht in der Psychiatrie endete, ausgelöst dadurch, dass er mangels barrierefreien Zugangs zu Funkhaus und Toiletten vors Funkhaus hinbrunzte. Und die politischen, kultur- und gesellschaftspolitischen Entwicklungen und vor allem Rückschritte der Jahrzehnte seither, boten für einen wie Sigi Maron, der, ohne sich dabei auch nur im Geringsten lächerlich zu machen, aufmüpfig blieb, widerspenstig und der stets aufs Neue wütend wurde ob der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit, des Zulaufs zur FPÖ, der schrittweisen Demontage des Sozialstaats, der Entsolidarisierung der Menschen und der geistigen Provinzialisierung des Landes, der Feindseligkeit gegenüber Flüchtlingen, der Bettelverbote und natürlich auch der immer dreister werdenden politischen „Elite“, deren auch kriminelle Machenschaften weitgehend ohne Folgen blieben und bleiben, im überreichlichen Ausmaß Stoff und Anlass, „die Goschn aufzureissn“. Sigi Maron, kämpferischer und solidarischer Mensch und Künstler, hat uns am 18. Juli 2016 verlassen. Auch wenn es diesen Menschen nicht ersetzen kann: uns bleibt vieles von ihm. Links zu den erwähnten Artikeln/Seiten: Wikipedia-Eintrag zu Sigi Maron: https://de.wikipedia.org/wiki/Sigi_Maron Sigi Marons Homepage www.maron.at Robert Rotifers Betrachtungen zum musikalischen Werk Marons: http://fm4.orf.at/stories/1772098/. Ein von Sebastian Fasthuber geführtes Interview mit Maron, veröffentlicht anlässlich des Erscheinens von „Dynamit und Edelschrott“, nachzulesen im Archiv von music austria: http://www.musicaustria.at/ich-habe-die-alterswut-sigi-maron-im-mica-interview/.Martin Blumenau, zu Maron http://fm4v2.orf.at/blumenau/208234/main
Spielräume Ö1, 22. Juli 2017, gestaltet von Astrid Schwarz, Spielräume Spezial „Das Leben des Sigi Maron“, 18.08.2024, gestaltet von Irene Suchy, https://oe1.orf.at/player/20240818/766500
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