Sein und Zeit in der Foto-Kunst
Keine Foto-Dokumentation bei Anna Breit, sondern ästhetische Übersetzung von vertrauten Beziehungen in Muster. Bei Marius Glauer wird die vergangene Zeit zum Phänomen der Oberfläche. Die Ausstellungen „Wait A Minute“ (Glauer) & „These Days I Think a Lot About the Days that I Forgot“ (Breit) sind im FC eröffnet.
Eine Muschel, gefunden am Strand…
…Wasserspritzer zwischen ihr und unserem Blick. An der Oberfläche der Muschel, an ihren Rillen, lässt sich Ihr Alter ablesen. Die vergangene Zeit wird zu einem Phänomen der Oberfläche. Im Werk von Marius Glauer (*1983 Oslo) ist es dieses resonante Verhältnis zwischen Oberfläche, Materialität und Zeitlichkeit, das als zentrales Interesse des Künstlers benannt werden kann.
Das Medium, in dem der Künstler arbeitet, die Fotografie, steht dabei seit jeher in einer besonders vielschichtigen Beziehung zum Konzept von Oberfläche. War sie in der Ära des Analogfilms noch der lichtempfindliche Ort, an dem sich Bilder aufzeichneten, so ist die zeitgenössische Medienlandschaft von unzähligen neuen digital surfaces geprägt, auf denen sich uns Bilder zeigen und in Kontakt zueinander treten. Wait a Minute, Glauers erste institutionelle Ausstellung in Österreich, fordert uns vor dem Hintergrund dieser schwindelerregenden Bildwelten dazu auf, kurz innezuhalten und die Kamera scharf zu stellen. Welches Bild von Zeitlichkeit kann die Fotografie heute schaffen? Marius Glauer zeigt uns, auf diese Frage antwortend, glänzend-opulente Oberflächen, in denen sich Bilder aus der Kunstgeschichte und der Popkultur reflektieren. Er zeigt sinnliche Lebendigkeit in leblosen Dingen, visuelle Spannungen von Materialitäten aus ‚high‘ und ‚low‘-Ästhetiken, doch vor allem zeigt er die mannigfachen Erscheinungsformen, die die Fotografie gegenwärtig annehmen kann. In unterschiedlichsten Displaysituationen lässt er Fotografie in Resonanz treten mit Ideen von Skulptur, Installation und Mode. Der Stoff, aus demGlauers Fotografien gemacht sind, ist ein durchlässiger – künstlerische Handschriften, Epochen, Formen, und Datierungen überlagern sich, passen sich ihrer Umgebung an und erzählen von den pluralen Perspektiven, die die Fotografie gegenüber der Wirklichkeit einnehmen kann. Fragen nach der Darstellung von Zeitlichkeit im fotografischen Bild tritt Glauer mit fusionierender und entgrenzender Attitüde entgegen. Prozessualität wird wichtiger als Finalität. Aber vielleicht ist eine finale Form auch nur eine blitzartige Momentaufnahme?
THESE DAYS I THINK A LOT ABOUT THE DAYS THAT I FORGOT
Für die Ausstellung kombiniert Anna Breit Archivfotos aus Familienalben mit neu entstandenen, analogen Aufnahmen und verwischt so die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Ihre Arbeit wird zu einem berührenden fotografischen Liebesbrief an ihre Mutter und Großmutter, der Fragen nach Vergänglichkeit, Sterblichkeit und der Bedeutung von Erinnerungen aufwirft. Es entsteht eine intime Hommage, in der sich Gegenwart und Vergangenheit, Archivmaterial und neue Fotografien untrennbar miteinander verweben – ein poetisches Echo, das sowohl im gelebten Moment als auch in den Bildern nachhallt.
Anna Breit (*1991 in Wien) ist eine Fotografin, deren Arbeiten sich an der Schnittstelle von dokumentarischer, angewandter und künstlerischer Fotografie bewegen. Ihre Arbeitsweise zeichnet sich durch eine tiefgehende Auseinandersetzung mit zwischenmenschlichen Beziehungen aus, die sie mit präzisem Blick und großer Sensibilität einfängt. Häufig rückt sie Personen aus ihrem unmittelbaren Umfeld ins Zentrum ihrer Werke, wodurch eine intime Reflexion über Nähe, Identität und Verbundenheit entsteht. Im Rahmen ihrer umfangreichen Ausstellung im Francisco Carolinum präsentiert Anna Breit eine vielschichtige fotografische Arbeit, die als Porträt dreier Frauen und Generationen gelesen werden kann: ihrer Großmutter, ihrer Mutter und von ihr selbst. Ausgehend von ihrer eigenen Kindheit erforscht die Künstlerin die bewusste Gestaltung und Reflexion von Erinnerungen. Mit den Mitteln der Fotografie schafft sie neue Momente mit ihrer Mutter, die nicht nur gelebt, sondern als Bilder scheinbar für die Ewigkeit bewahrt werden. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Gesten und Textilien – diese spielen in ihrer Familie eine zentrale Rolle. Textilien finden sich sowohl im Leben ihrer Großmutter als auch bei ihrer Mutter, die als Schneiderin tätig war und in ihrer eigenen Werkstatt Kleidung anfertigte.
In der Sendung zu hören sind zwei Ausstellungsrundgänge mit den Kuratorinnen Dr. Susanne Watzenböck (Magnus Glauer) und Mag. Maria Ventl (Anna Breit).
Außerdem im FC noch zu sehen ist die Ausstellung YOU, WHO CAN FLY – ŠEJLA KAMERIĆ inszeniert dabei verschiedene Werkgruppen aus den letzten Jahrzehnten mit aktuellen für die Präsentation in Linz entwickelten Installationen.
Fotocredit: Francisco Carolinum & Michael Maritsch