Schallmooser Gespräche #259: Terror!
Von Thomas Hobbes über Robespierre und Lenin bis zu EU, USA und UNO unserer Tage – oder: Vom deklarierten Herrschaftsprinzip zum Vorwurf gegen nichtstaatliche Akteure. Statt einer Einleitung drei längere Zitate:
In drei Hauptpunkten nahm der Bolschewismus den Kampf auf gegen die Partei, die am meisten die Tendenzen des kleinbürgerlichen Revolutionarismus verkörperte, nämlich gegen die Partei der „Sozialrevolutionäre“, und setzte diesen Kampf fort. Erstens wollte (oder richtiger wohl: konnte) diese Partei, die den Marxismus ablehnte, durchaus nicht begreifen, daß es notwendig ist, vor jeder politischen Aktion die Klassenkräfte und ihre Wechselbeziehungen streng objektiv abzuwägen. Zweitens hielt sich diese Partei für besonders „revolutionär“ oder „linksradikal“, weil sie für den individuellen Terror, für Attentate war, was wir Marxisten entschieden ablehnten. Selbstverständlich lehnten wir den individuellen Terror nur aus Gründen der Zweckmäßigkeit ab; Leute aber, die es fertigbrächten, den Terror der Großen Französischen Revolution oder überhaupt den Terror einer siegreichen und von der Bourgeoisie der ganzen Welt bedrängten revolutionären Partei „prinzipiell“ zu verurteilen, solche Leute hat bereits Plechanow in den Jahren 1900-1903, als er Marxist und Revolutionär war, dem Spott und der Verachtung preisgegeben. Drittens glaubten die „Sozialrevolutionäre“, „linksradikal“ zu sein, weil sie über verhältnismäßig geringfügige opportunistische Sünden der deutschen Sozialdemokratie kicherten, während sie gleichzeitig die extremen Opportunisten dieser selben Partei, z.B. in der Agrarfrage oder in der Frage der Diktatur des Proletariats, nachahmten.
(Lenin, Der „Linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus, 1920 https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1920/linksrad/kap04.html)
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Das Wort „Terror“ (aus dem Lateinischen für „Schrecken“) hat eine seltsame Karriere hinter sich. Zum einen bezeichnet es mittlerweile recht zivile Vorkommnisse oder Umstände, wie etwa, daß ein Kind von Mitschülern terrorisiert wird. Zum Anderen ist es das Schreckgespenst, daß militante Gruppierungen beispielsweise irgendwo Bomben legen. Von „Oben“, gar vom Staat, kommt der Terror aber nie. Im Gegenteil: Damit man dem „Islamischen Staat“ dieses Selbstverständnis als Staat aberkennen kann, ist der Ausdruck „Terrororganisation Islamischer Staat“ zur stehenden Wendung geworden — Staaten üben ja schließlich keinen Terror aus sondern sie führen nur Kriege und machen Polizeieinsätze. Sollte es ein Staat (der natürlich nicht im selben Militärbündnis wie der eigene Staat ist) einmal wirklich zu bunt treiben, dann gibt es auch von offizieller Seite noch den Begriff des „Staatsterrors“, der aber immer so etwas wie Verwunderung impliziert, daß ein richtiger Staat so etwas wie Terror überhaupt ausüben könne.
Das war aber nicht immer so: „Terror ist nichts anderes als rasche, strenge und unbeugsame Gerechtigkeit. Er ist eine Offenbarung der Tugend. Der Terror ist nicht ein besonderes Prinzip der Demokratie, sondern er ergibt sich aus ihren Grundsätzen, welche dem Vaterland als dringendste Sorge am Herzen liegen müssen.“ Das hat Robespierre gesagt. Und wenn auch schon andere vor ihm diesen Begriff in Staatstheorien einfliessen ließen, so prägte doch die als „La Grande Terreur“ bekannte Politik des französischen Wohlfahrtsausschusses diesen Begriff nachhaltig.
Doch der Begriff wandelte sich über zwei Jahrhunderte ins genaue Gegenteil: Nicht der Staat wendet nun Terror an, sondern Terror ist etwas, daß sich gegen den Staat richtet. 2004 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1566, in der Terrorismus als bestimmte Straftaten definiert werden, gegen die alle Staaten die Pflicht hätten, vorzugehen. Seither ist Terror qua völkerrechtlich verbindlicher Definition etwas, das ein Staat gar nicht ausüben kann. Aus dem früheren Pleonasmus „Staatsterror“ wurde so ein Oxymoron, also ein ganz denkunmögliches Ding.
Wobei man sagen muß, daß die Wirkungsweise des Terrors, egal von welcher Seite er ausgeht, doch immer den selben Effekt hat, nämlich die effizientere Machtausübung durch den Staat. Wenn sich Untertanen vor dem Staat fürchten, parieren sie. Wenn sich Untertanen vor jemandem anderen fürchten, verlangen sie vom Staat Schutz — und parieren auch, wenn der Staat dann die Polizeibefugnisse verschärft. Wenn man dann noch an die bekannten Gladio-Operationen (u.a. Bologna 1980) denkt, verschwimmt der Begriff des Begriffs „Terrors“ völlig. Und auch die militärische Strategie des „Shock and Awe“ heißt ja nichts Anderes als „Schrecken und Furcht“ — komischerweise wird das in der veröffentlichten Meinung aber nie als „Terror“ übersetzt. Aber das liegt wahrscheinlich an der UN-Resolution.
Natürlich: Der „Terror“ geht nicht immer von der Obrigkeit aus. Aber er nützt ihr immer. Denn nur ein wohlterrorisierter Untertan ist auch ein guter Untertan. Denn die Terroristen sind immer die Anderen.
(Bernhard Redl; VERWORTET: Terror; Zeitschrift akin 20/2016, https://akinmagazin.at/2016/20wort.htm )
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Die Frauen, mit denen ich sprach, gehören den verschiedensten Gruppen an, die man oft als »terroristisch« bezeichnet. Man hält die Mitglieder solcher Organisationen für verrückt, verderbt, grundböse und gnadenlos. Sie seien Tiere, Untermenschen, Feiglinge, nicht einmal der Verachtung würdig. Sie jagen Kneipen und vollbesetzte Flugzeuge in die Luft oder legen Bomben bei Trauerfeiern am Totensonntag. Niemand ist vor ihnen sicher, und nichts kann uns vor ihnen schützen, denn diesen Killern ist es egal, wer ihre Opfer sind. Sie stören unser Alltagsleben, indem sie einen Schatten der Angst auf unsere Zukunftspläne werfen. Menschenleben sind ihnen völlig gleichgültig. Ihre Taten entziehen sich jeglichen Verständnisses; man macht uns sogar glauben, daß rechtschaffene Leute ihre Zeit nicht damit verschwenden sollen, indem sie versuchen, sie zu verstehen. Das verdienten sie nicht. Unsere Reaktion auf den Begriff »Terrorist« ist pawlowsch. Wir wissen, um was für brutale Typen es sich dabei handelt, und deshalb braucht man kein Wort weiter darüber zu verfielen. Das ist einer der Gründe, warum ich versucht habe, den Begriff zu vermeiden. Er ist zu emotional befrachtet, zu aufgeladen für ein Buch, das eher zu verstehen versucht, statt zu verdammen.
Damit habe ich nicht vor, eine bestimmte Gruppe oder Aktion anzuprangern oder zu entschuldigen; ich will nur zeigen, daß mit solchen Dingen Werturteile verbunden sind und daß der Gebrauch des Wortes »Tenorist« allein mit seiner normalen Fracht von Haß, Angst und Verdammung ein angemessenes Urteil über dieses besonders komplexe Thema ausschließt. Es ist ein zu vages Wort, um allgemein auf eine so große Vielfalt von Menschen und Gründen angewendet zu werden. Es gibt nationalistische Bewegungen, die für Freiheit kämpfen: die Irisch-Republikanische Armee, die Palästinenser der Intifada, die ETA, die für eine baskische Heimat kämpft.
Dann gibt es die politischen Revolutionäre Europas: die Rote Armee Fraktion, Nachfolger der Baader-Meinhof-Gruppe, die französische Action Directe, die italienischen Roten Brigaden — die alle für den Sturz von Gesellschaften eintreten, die sie für korrupt und kapitalistisch halten, egal, ob die Mehrheit ihrer Landsleute mit diesen Gesellschaften zufrieden ist. Abgesehen von diesen zwei Hauptkategorien ‚gibt es Menschen, die auf Anordnung des Staates Massenmord verüben: Regierungsagenten wie Kim Hyon Hui, die auf Anweisung des nordkoreanischen Regimes ein vollbesetztes Flugzeug in die Luft jagte. Warum sollte jemand, der sich für eine nationalistische Sache einsetzt, mit dem gleichen Pinsel geschwärzt werden wie jemand, der eine Gesellschaft schaffen will, die die meisten seiner Mitbürger nicht wünschen? Unsere Antwort lautet, weil sie die gleiche Waffe benutzen — Terror –, um ihr Ziel zu erreichen. Nationalistische Bewegungen bezeichnen ihre Aktionen jedoch nicht als terroristisch, sondern als Kriegs-handlung. Selbst Europas am besten organisierte Antiterrorismus-Abteilung sagt recht kategorisch, es gebe fundamentale Unterschiede. Der Leiter dieser Abteilung, die in Wiesbaden ihren Sitz hat, widersprach der Behauptung, nationalistische Bewegungen seien terroristisch: »Die IRA und ETA und ähnliche Gruppen kämpfen für ihre Heimat. Sie führen einen Bürgerkrieg«, sagte er. Man könne sie nur als Terroristen bezeichnen, fuhr er fort, wenn die Guerrilas dieser Bewegungen Unschuldige töteten und darnit »terroristische Handlungen« begingen.
Diese Unterscheidung scheint recht spitzfindig, aber sie deutet an, daß jene, die tagtäglich mit Terrorismus zu tun haben, sich des Problems der Terminologie schärfstens bewußt sind. Manchmal wenden Regierungen Terror an. Die französische Widerstandsbewegung war terroristisch, bis Frankreich befreit wurde und ihre Mitglieder zu Helden wurden. Nur die Geschichte kann offenbar entscheiden, wer ein Terrorist ist und wer nicht.
(Eileen MacDonald: „Erschießt zuerst die Frauen“, Englisches Original 1991 London, Deutsch 1992 München)
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