Most wanted wg. Kidnapping: Wladimir Wladimirowitsch Putin
Most wanted wg. Kidnapping: Wladimir Wladimirowitsch Putin
Jetzt haben sie ihn. Fast. Schon lange sind sie hinter ihm her, aber jetzt geht etwas weiter. Es existiert ein internationaler Haftbefehl! Wladimir Wladimirowitsch Putin steht auf der Fahndungsliste. Ebenso Maria Lwowa-Belowa, Russlands Kinderschutzbeauftragte. Der Vorwurf an den aktuellen Hitler in Moskau lautet: Kidnapping! Das ist kein Witz! Frau Lwowa-Belowa fungiert hier offenbar wesentlich als winkeladvokatisches Vehikel, um darüber an Putin ranzukommen.
Ausgestellt hat den Haftbefehl am 17. März 2023 der „Internationale Strafgerichtshof“ (IstGH) mit Sitz in Den Haag. Der beruht auf einem „Römischen Statut“ aus dem Jahr 1998, das derzeit 123 Staaten unterzeichnet haben. Die Zuständigkeit: „Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Aggression und Kriegsverbrechen. … Länder wie China, Indien, die Vereinigten Staaten, Russland, die Türkei und Israel haben das Römische Statut entweder gar nicht unterzeichnet, das Abkommen nach der Unterzeichnung nicht ratifiziert oder ihre Unterschrift zurückgezogen.“ Weitere Staaten, die das Statut nicht ratifiziert haben: Irak, Iran, Kuba, Nordkorea, Pakistan, Syrien, Saudi-Arabien, Sudan.
(https://de.wikipedia.org/wiki/Internationaler_Strafgerichtshof)
Ein Interview im „profil“ vom 14. Mai, mit einem ukrainischen Menschenrechtsbeauftragten: „Die Ukraine hat die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (IstGH) zwar anerkannt, ist ihm aber noch nicht beigetreten. Wieso nicht?“ Die Antwort, eher inkonsistent: „Vor allem, weil wir sehen, dass das internationale System nicht funktioniert. Zudem könnte Russland das ausnutzen. Wir wollen keine Strafverfolgung des ukrainischen Militärs. Die Ukraine ist bereit, Mitglied des IstGH zu werden, sobald Putin strafrechtlich verfolgt wird.“ Was denn nun?
https://www.profil.at/was-macht-ein-ombudsmann-in-zeiten-des-krieges/402449865
Was bedeutet der Haftbefehl? „Käme Putin nach Österreich, würde er verhaftet werden“, so die Ministerin Edtstadler am 11. 4. 2023 in allen Medien. Dann aber bitte konsequent. Wie bei anderen verdächtigen Politikern, nicht nur aus der ÖVP, möchte man schon darauf pochen, dass auch für Putin die Unschuldsvermutung gilt, worauf alle der Rechtsstaatlichkeit verpflichteten Politiker so viel Wert legen, wenn es um sie selber geht. Und wenn „wir“ schon so tun, als handle es sich um ein Gerichtsverfahren, dann stellt sich schon die Frage, ob denn Putin nach jahrelanger politisch-medialer „Vorverurteilung“ überhaupt mit einem „fairen Verfahren“ rechnen könnte – was der Ministerin bei anderen Gelegenheiten so am Herzen liegt. Genug gescherzt.
Der Kriegsverbrecherprozess – vor dem Sieg bzw. der Niederlage!
Die Sache, um die es geht, ist der Kriegsverbrecherprozess. Nach dem Ersten Weltkrieg konnten die Kaiser der Verliererstaaten Deutschland und Österreich-Ungarn, Wilhelm und Karl, flüchten, und als erfolgreiche Asylwerber in den Niederlanden bzw. auf Madeira den (bei Karl von Habsburg sehr kurzen) Lebensabend verbringen. Bis dahin galt das Recht zum Krieg als „naturgegebenes“ Recht des politischen Souveräns. Seit dem Zweiten Weltkrieg machen die Sieger den Verlierern bzw. deren Oberbefehlshabern und politischen Repräsentanten den Kriegsverbrecherprozess, erklären also den Feind sozusagen zur kriminellen Vereinigung, die in Gestalt der Staatsspitze abgeurteilt wird. Das ist angebracht und sehr passend. Es geht im Krieg schließlich genau darum: Welches Recht gilt bzw. wessen Recht gilt wo, welcher Staat bzw. welches Bündnis übt daher mit Recht Gewalt, auch militärische Gewalt – und welche Gewalt ist illegitim, also ein Verbrechen. Wo Recht gegen Recht steht, entscheidet eben die Gewalt. Das ist keine rhetorische Spitzfindigkeit, das ist eine harte Tatsache namens Souveränität: Staaten definieren ihre Interessen als ihre Rechte, als ihren unveräußerlichen, nicht kompromissfähigen, absolut gültigen Besitzstand, auch außerhalb des eigenen Territoriums, erst recht im Fall der „nationalen Sicherheit“. Sobald der Streit entschieden ist, folgt dann das Recht der erfolgreichen Gewalt; damit belehrt der Kriegsverbrecherprozess Gott und die Welt und vor allem die Untertanen des Verlierers – die in der Regel bis zum bitteren Ende „alles mitgemacht haben“ –, dass nun ein neue Zeit anbricht.
Der „Internationale Strafgerichtshof“ (IStGH) fußt nun auf der originellen Idee, das Siegerrecht der Verabreichung legitimer Gewalt von hinten aufzuzäumen, und den Kriegsverbrecherprozess vor dem Sieg zu veranstalten bzw. wenigstens zu beginnen. Der IStGH setzt damit einen zusätzlichen Schritt, über die geläufigen, alltäglichen moralischen Verurteilungen unbequemer Auslande hinaus, mit denen alle Staaten einander ständig traktieren, eben die rechtsförmliche Anzeige, den Haftbefehl und die Verhandlung. Das Projekt beruht damit übrigens auf einer bemerkenswerten Unterstellung, dass nämlich der Weltfriede von einem permanenten Kriegszustand nicht zu unterscheiden ist, weswegen es eine Kriegsverbrecherverfolgungseinrichtung als nachhaltige Institution braucht.
Die westliche Wertegemeinschaft hat sich im Zuge der Gründung des IstGH einen handfesten Krach geleistet, weil die USA als die Protagonisten einer „Neuen Weltordnung“ nach dem Kalten Krieg – diese neue hat sehr passend durch den Krieg gegen den Irak Anfang der 90er Jahre das Licht der Welt erblickt – weil also die USA entschieden den Standpunkt vertraten, sie und niemand sonst sei nun allein zuständig für alle Fragen von Recht und Gewalt im Rahmen dieser Neuen Weltordnung. Genau besehen besteht diese „Neue Weltordnung“ in nichts anderem als in dieser Zuständigkeit der USA; also in der globalen Aufsicht der USA über die Rechtmäßigkeit der staatlichen Gewaltakte aller anderen, innen wie außen. Ob eine Tötung eine ordentliche Kriegshandlung oder ein Kriegsverbrechen ist; ob ein Waffengang „berechtigten nationalen und supranationalen Interessen“ dient oder eine verbrecherische „Aggression“ darstellt; ob „Angriffe auf die Zivilbevölkerung“ ein Irrtum, ein Kollateralschaden oder „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ sind – die Entscheidung darüber fällt in Washington.
Genau diese Unterscheidung des korrekten staatlichen Gewaltgebrauchs im Unterschied zum verbrecherischen würde der Internationale Strafgerichtshof gern selbst treffen. Damit handelt es sich aus amerikanischer Sicht also erstens um eine überflüssige Zusatzveranstaltung, weil doch die globale Recht-Unrecht-Kompetenz klar amerikanisch geregelt ist; und zweitens und schlimmer handelt es sich womöglich um einen potentiellen Anschlag auf diese amerikanische Kompetenz, weil da Hinz und Kunz auf die Idee kommen könnten, dem Gericht die Frage nach „Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Aggression und Kriegsverbrechen“ vorzulegen, und zwar glatt in Bezug auf amerikanische Glanzleistungen. Das geht doch nicht: Dass irgendwelche „Befreiten“ nach der „Befreiung“ hergehen und ihren „Befreiern“ Kriegsverbrechen anhängen.
Diese Gefahr immerhin konnte zufriedenstellend gebannt werden, international und national:
„Angesichts immer neuer Folterbilder aus dem Irak wirkt es absurd, dass US-Soldaten ein exklusives Recht auf Straffreiheit vor dem Internationalen Strafgerichtshof besitzen. Damit diese Sonderregelung bestehen bleibt, setzt Washington auf Erpressung.“ (Der Spiegel 21.5.2004) Nein, das ist nicht absurd, das ist geradezu zwingend. „Der Irak will nach den Worten seiner Ministerin für Menschenrechte, Wigdan Michael, die Vereinten Nationen bitten, die juristische Immunität der US-Truppen im Irak aufzuheben. … Bevor die USA 2004 die staatliche Souveränität an die irakische Regierung übergeben hatten, erließen die Besatzungsbehörden ein Dekret, wonach die US-Soldaten nicht der irakischen Rechtsprechung unterliegen.“ (Wiener Zeitung 12.7.2006)
Der IstGH ist ein vornehmlich europäisches Projekt, man würde auch gern in Sachen weltweiter Gerichtsbarkeit tätig werden, also Aufsicht über die beschränkte Souveränität anderer Staaten ausüben: Die Siegerjustiz, die Unterwerfung staatlicher Machthaber unter ein auswärtiges Strafrecht, soll unabhängig vom Krieg bzw. schon vor der Niederlage zur festen Einrichtung werden. Der Haken dabei: Die vom Gericht anvisierten Objekte müssten glatt ihrer eigenen Verurteilung zustimmen.
Es ist also kein Zufall, dass wikipedia (abgesehen von Putin und Lwowa-Belowa) nur afrikanische Warlords und Potentaten als „Fälle und Beschuldigte“ des IstGH auflistet. Da besteht immerhin die Chance, dass nach einem erfolgreichen Putsch der Nachfolger seinen Vorgänger an das Gericht ausliefert, für ein paar Euro Entwicklungshilfe: „Die Afrikanische Union warf dem IStGH im Jahr 2013 eine einseitige Verfolgung von Verbrechern nach Rassekriterien, ‘eine Art von Rassenhetze’ vor.“ (wikipwdia) Allerdings handelt es sich wirklich nicht um Rassismus – es sind bloß die globalen Machtverhältnisse am Werk. Aber wenn ohnehin klar ist, wer das Subjekt des Völkerrechts ist, und dass von einem antiamerikanischen Missbrauch dieses IStGH keine Rede sein kann, dann lassen sich die USA schon dazu herab, von anderen Staaten die Unterwerfung unter dieses Gericht zu verlangen, die sie für sich selber natürlich entrüstet ablehnen. Amerikanischer Pragmatismus eben – wenn das Ding nützlich ist …
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/weltpolitik-strafgericht
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/streit-um-den-internationalen-strafgerichtshof
Ein origineller Haftbefehl, oder:
Why the fuck ausgerechnet – Kidnapping??
Da kommandiert einer eine Armee, startet einen Angriff auf das Nachbarland mit all dem Terror und den Gräueltaten, die einen Krieg ausmachen, er wird als der Hitler unserer Tage verdammt, und dann lautet die Anklage auf – Kindesentführung? Was ist da los? Das fragt man sich auch auf einem Onlinemagazin namens „Legal Tribune Online – Aktuelles aus Recht und Justiz“:
„Putin und Lwowa-Belowa sollen für das Kriegsverbrechen der rechtswidrigen Vertreibung bzw. Überführung der Bevölkerung aus den besetzten Gebieten der Ukraine in die Russische Föderation verantwortlich sein, Art. 8 Abs. 2 lit. a Ziff. vii sowie Art. 8 Abs. 2 lit. b Ziff. viii Rom-Statut. Die Taten sollen zum Nachteil ukrainischer Kinder begangen worden sein.“
https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/internationaler-strafgerichtshof-russland-ukraine-krieg-haftbefehl-gegen-putin-erlassen-kriegsverbrechen/
https://www.icc-cpi.int/news/situation-ukraine-icc-judges-issue-arrest-warrants-against-vladimir-vladimirovich-putin-and
„Warum stützen sich die Haftbefehle ausgerechnet auf den Verschleppungsvorwurf? ‘Der Verschleppungsvorwurf ist scheinbar aus Sicht des Chefanklägers bereits handfest beweisbar’, ordnet Safferling ein. (Universität Erlangen-Nürnberg, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht) … ‘Der IStGH schafft mit den Haftbefehlen Fakten in der Diskussion um ein Sondertribunal für das Verbrechen des Aggressionskriegs, das der IStGH nicht in seiner Zuständigkeit verfolgen kann.’ Mit den Haftbefehlen habe sich der Gerichtshof nun eine Position gesichert und fordere Kompetenzen ein. … Zuletzt war zu vernehmen, dass der Druck nach einem Jahr ohne Haftbefehle oder Maßnahmen aus Den Haag auf den Chefankläger beim IStGH, den britischen Juristen Karim Khan, zugenommen habe. … Auf der Konferenz in London will Khan wohl um frisches Geld und Unterstützung für die Ermittlungen werben. Eine Ladung ausgefertigter Haftbefehle gegen prominente Personen der russischen Führung in der Tasche sind dann möglicherweise als Arbeitsnachweis ein Argument.“ (ebd.)
Es geht einigermaßen weltlich zu, wenn der höheren Gerechtigkeit gedient wird; da will das Gericht einmal Duftmarken setzen, sein Terrain abstecken, und auch einen Leistungsnachweis für seine Geldgeber erbringen. Was die „handfeste Beweisbarkeit“ des Kidnapping-Vorwurfs betrifft, da hat der Jurist recht, denn von Lwowa-Belowa liegt ein umfassendes Geständnis vor:
Kinder-Evakuierung aus dem Kriegsgebiet:
Ein Kriegsverbrechen!
„Die Frau, die im Moskauer Außenministerium ans Rednerpult tritt, sieht so gar nicht wie eine mit internationalem Haftbefehl gesuchte Kriegsverbrecherin aus: Sie wirkt charmant, offen, selbstbewusst. Maria Lwowa-Belowa, die russische Kinderrechtsbeauftragte, berichtet auf der Pressekonferenz davon, dass Russland seit Beginn der ‘Spezialoperation’ rund 730.000 Kinder aus dem Osten der Ukraine aufgenommen habe. Kiew spricht hingegen von rund 20.000 ‘verschleppten’ Kindern. … Es ist eine Frage der Perspektive. Aus Kiewer Sicht seien diese Kinder aus besetzten Gebieten nach Russland entführt worden und würden dort russisch indoktriniert. Dies sei ein Genozid, ein Kriegsverbrechen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beklagt, die Kinder würden ihrer ukrainischen Identität beraubt und zwangsweise russifiziert. Lwowa-Belowa weist dies als ‘Lüge’ zurück und fordert Beweise. Der Westen hat sich der ukrainischen Perspektive angeschlossen: Der Internationale Strafgerichtshof, den weder Russland noch die USA anerkennen, erließ einen Haftbefehl nicht nur gegen Russlands Präsident Wladimir Putin, sondern auch gegen Lwowa-Belowa. …
Die zweite, die andere Perspektive ist die russische: Die besetzten Gebiete seien in der Zwischenzeit russisches Staatsgebiet. Und Lwowa-Belowa mache nur ihren Job, für den sie zuständig sei: Sie kümmere sich um Kinder, die in Gefahr seien. Die russische Kinderbeauftragte spricht von ‘Evakuierung’. Und es gibt eine dritte Perspektive – die vielleicht wichtigste: jene der Kinder selbst, die mitten im Kampfgebiet in Waisenhäusern leben oder deren Eltern während der Kämpfe starben. Täglich Bomben und Granaten, Eroberung durch russische Truppen, Rückeroberung durch die Ukrainer, täglich Lebensgefahr. Diese Kinder würden in Russland in Sicherheit gebracht und betreut, wenn es keine Eltern oder Verwandte gebe, so Lwowa-Belowa.
Seit einer Gesetzesänderung vom Mai 2022 können die Behörden diesen Kindern die russische Staatsbürgerschaft verleihen, was eine Adoption erleichtert. Sollten sie aber in der Ukraine doch noch Eltern oder Verwandte haben, hätten diese – wenn sie ihre Kinder vermissen – mit einer Suchanzeige die Möglichkeit, sich an die russische Kinderbeauftragte zu wenden. … In Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz seien mit Stand 29. März 16 Buben und Mädchen aus neun Familien zu ihren ukrainischen Eltern zurückgekehrt. Aus den Gebieten Luhansk und Donezk seien 380 Kinder aktuell in Betreuung russischer Familien. ‘Wir tun alles, um die Familien zusammenzubringen’, versichert Lwowa-Belowa. Die Kinderbeauftragte weist auch Vorwürfe der Ukraine und westlicher Staaten zurück, dass es ‘geheime Lager zur Umerziehung’ der Kinder gebe. Es seien vielmehr Ferienlager, die der Erholung von Kindern aus dem Kampfgebiet dienten. Die Kinder würden nach ihrem Aufenthalt dort wieder zu ihren Familien zurückkehren. Lwowa-Belowa lädt die westlichen Korrespondenten und Korrespondentinnen ein, diese Camps zu besuchen und sich selbst ein Bild zu machen. …
Einen besonderen Fall hat derweil die deutsche ARD recherchiert: Ihor und seine Mutter Natalja Lysewitsch leben im Dorf Antoniwka nahe Cherson im Süden der Ukraine. Zu Beginn der Invasion erobern russische Truppen die Region. Ihor kommt in ein Ferienlager im russischen Anapa. Kurz vor Ende seines Aufenthalts erobert die ukrainische Armee die Region zurück. Ihor kann nicht zurück in sein Heimatdorf, Monate später darf seine Mutter ihn in Russland abholen. In Anapa angekommen, sei die Mutter gefragt worden, ob sie in Russland bleiben wolle, berichtet die ARD. Auch andere Mütter, die in Russland waren, bestätigen solche ‘Angebote’. Nachdem sie einige Dokumente unterschrieben habe, habe sie aber Ihor problemlos mit nach Hause nehmen können.“ (Standard, Jo Angerer aus Moskau, 12.4.2023)
https://www.derstandard.at/story/2000145381517/wie-russland-die-verschleppung-ukrainischer-kinder-rechtfertigt
Die übliche Floskel im Rahmen der Kriegs-Berichterstattung lautet, eine „unabhängige Überprüfung“ von Stellungnahmen sei nicht möglich gewesen – in dem Fall hat die ARD überprüft, und die Darstellung von Lwowa-Belowa bestätigt.
Deportation und Genozid
Noch in den Abkommen von Minsk war unterstellt, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung im Osten der Ukraine nicht west-orientiert ist, sondern sich als Teil einer russischen Bevölkerung versteht, so wie die Ukraine vor nicht allzu langer Zeit als bi- oder sogar multi-nationales Gebilde galt. Dem sollte eine in „Minsk“ anvisierte Föderalisierung Rechnung tragen, die von der Ukraine nie umgesetzt wurde. Die schon vorher forcierte „Ukrainisierung“ – Sprachgesetz! – hat den Separatismus damals ordentlich befeuert. Zum territorialen Anspruch der Ukraine auf die Separatistengebiete im Osten gehört natürlich auch der Anspruch auf die Menschen: Raum und Volk! Insofern sind die erwähnten Kinder aus ukrainischer Sicht ukrainisches Nationaleigentum, als Träger einer ihnen zugewiesenen ukrainischen Identität, die durch exklusiv ukrainische „Indoktrination“ herzustellen sei. Ihre Evakuierung ist daher mindestens Besitzstörung oder gleich Diebstahl bzw. Entführung. Und zwar völlig egal, ob oder wie die Kinder bzw. deren Eltern sich selber völkisch zuordnen oder auch nicht – in ihnen steckt das von Kiew verordnete Ukrainertum. Der „Genozid“, der Völkermord besteht dann darin, dass sie diese ihre Volksnatur nicht unter ukrainischer Herrschaft gleich Indoktrination ausleben – egal ob sie das wollen oder nicht –, womit dieses ihr Ukrainertum abgetötet wird und damit das, was sie im Innersten ausmacht, ihre nationale Identität. Das ist der „Völkermord“, auch wenn den Individuen dabei nichts passiert! Gestört wird der Anspruch der Ukraine auf ihr Menschenmaterial, und damit wird die höhere Bestimmung dieses Menschenmaterials getötet, und damit dieses selbst bzw. dessen von der Ukraine beanspruchte Volks-Seele. Russland erhebt übrigens den spiegelbildlichen Vorwurf: Den Leuten im Osten der Ukraine würde das Ausleben ihres Russentums verweigert, der Krieg diene also ihrem Schutz vor diesem „Genozid“ andersherum.
Noch eine kleine Anekdote, der ORF berichtet am 21.3.2023:
„Junge Ukrainer nach Moskau: Kein Verfahren. Anfang des Jahres hat ein Landesbediensteter zwei ukrainische Jugendliche aus einer Einrichtung in Kematen (Bezirk Innsbruck-Land) abgeholt und zu ihren Müttern nach Moskau gebracht. Da die Reise auch auf Wunsch der Jugendlichen erfolgte, leitet die Staatsanwaltschaft kein Ermittlungsverfahren ein. Wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Hansjörg Mayr, erklärte, sei die Reise einvernehmlich und auf Wunsch der Mütter und der Jugendlichen erfolgt. Das Justizministerium sah das nach einer Prüfung genauso. …
Der Vorfall hatte auch zu diplomatischen Spannungen zwischen Österreich und der Ukraine geführt. Der ukrainische Botschafter Wasyl Chymynez bezeichnete die Vorgänge als ernsthaft und drängte auf Aufklärung.“ (https://tirol.orf.at/stories/3199708/)
Siehe auch: (https://tirol.orf.at/stories/3191084/)
Familienzusammenführung – für Russen? Eltern- und Kinderrechte – für Russen? Heutzutage möglicherweise ein Verbrechen.