Migrationsforschung als Kritik? 04 – Panel A2
Tagung des Instituts für Erziehungswissenschaft der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck ‚Migrationsforschung als Kritik? Ansprüche, Praxen, Reflexionen‘ am 9. und 10.12.2010 im Congress Innsbruck.
Audio-Dokumentation: Freies Radio Innsbruck – FREIRAD 105.9. (Sorry für die z. T. schlechte Qualität. Die Ursache ist das Mikro, nicht die Aufnahme)
Was heißt Kritik (in der kritischen Migrationsforschung)?
Teil 04 – Panel A2: Urmila Goel, Radostin Kaloianov, Andrea Ploder
Moderation: Oscar Thomas-Olalde
Urmila Goel: Ein Plädoyer für Ambivalenzen
Imaginierte Eindeutigkeiten werden durch Migration irritiert. Grenzen überschreitende Mobilität kann aufzeigen, wie kontextspezifisch Selbstverständlichkeiten sind. Eindeutigkeiten sind nicht selbstverständlich, sie müssen mit viel Aufwand immer wieder hergestellt werden. Rassismus basiert auf dieser Herstellung von Eindeutigkeiten, indem er klar zwischen den Zugehörigen und Nicht-Zugehörigen unterscheidet. Rassismuskritisches Forschen muss daher die Suche nach Eindeutigkeiten – sowohl in Theorie wie Praxis – kritisch hinterfragen. Anstelle des Ansatzes Ambivalenzen aufzulösen, sollte die Beschäftigung mit Ambivalenzen Grundlage der Analyse sein. Im empirischen Material zeigen Ambivalenzen die Komplexitäten von Lebensrealitäten und bieten Alternativentwürfe zur rassistischen Logik. Bei theoretischen Ansätzen ermöglicht die Auseinandersetzung mit Ambivalenzen genauer zu analysieren, was sie erklären wollen und können und wo sie an Grenzen stoßen. Das Anerkennen von Ambivalenzen unterstützt rassismuskritisches Denken.
Ab ca. 27:55
Radostin Kaloianov: Sind MigrantInnen die besseren MigrationsfoscherInnen? Zum Verhältnis zwischen Kritik und Migrationseigenschaft.
Der run auf die „Kritik“-Eigenschaft visiert theoretische Kritik als eine Frage der denkerischen Exzellenz an. Kritik in Verbindung mit Migration ist keine Frage von Exzellenz, sondern von personaler Existenz. MigratInnen sind nicht die besseren MigrationsforscherInnen, sondern notwenig kritisch Migrationsforschende, insofern sie am Forschungsgegenstand partizipieren. Im „normalwissenschaftlichen“ methodologischen Rahmen, in dem auf Neutralität, Unbetroffenheit, Objektivität geachtet, Selbsterkenntnis als Wissensquelle herabgestuft und der Zugang zum Forschungsgegenstand über Methode gesichert wird, kann die Migrationseigenschaft keine Anwendung finden. Kritik als Wissensform und Migration als soziale Erfahrung sind strukturell verzahnt, insofern nur im Kontext theoretische Gesellschaftskritik als Wissensform, die auf Betroffenheit und Selbsterkenntnis setzt, die Migrationseigenschaft als privilegierte Erkenntnisposition produktiv eingelöst werden kann. Die Migrationseigenschaft ist diejenige, die in den Augen von Aufnahmegesellschaft und auch von MigrantInnen die soziale Existenz von MigrantInnen problematisiert. Die theoretische Stimme der Migration ist vor dem Hintergrund des sozialwissenschaftlichen Episteme der Gegenwart notwendig als Gesellschaftskritik organisiert.
Ab ca. 54:50
Andrea Ploder: Research participants talk back. Zur Relevanz widerständiger Positionierungen aus dem Feld für kritische Migrationsforschung
In den letzten Jahren wird postkoloniale Theorie in der deutschsprachigen Migrationsforschung verstärkt rezipiert. Einer der Effekte dieser Rezeption ist eine Re-Sensibilisierung der empirischen Forschungspraxis für das Problem der Festschreibung kultureller Identität im Forschungsprozess. Eine fruchtbare Strategie im Umgang mit Festschreibungseffekten ist der Versuch, den Forschungsprozess für widerständige Artikulationen und Irritationen aus dem Feld durchlässig zu machen. Homi Bhabhas Konzept der creative intervention (bisher vor allem in den Literaturwissenschaften im Rahmen der writing-back-Debatte rezipiert) bietet dafür eine fruchtbare theoretische Grundlage: Nach Bhabha birgt die hybride Grenzlage migrantischer Identifikationen das Potenzial, den sie beherrschenden Diskurs produktiv zu irritieren. Dieses Potenzial, so die These des geplanten Statements, ist der Schlüssel zur Überwindung diskursiver Festschreibung migrantischer Identität im Forschungsprozess.
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Die Tagung ‚Migrationsforschung als Kritik? Ansprüche, Praxen, Reflexionen‘ fragt nach Möglichkeiten und Grenzen kritischer Migrationsforschung, nach Methoden und Methodologie, nach dem Verhältnis von Migrationsforschung und Politik sowie nach dem politischen und epistemischen Anspruch kritischer Migrationsforschung. Die Tagung thematisiert die unterschiedlichen Spannungsfelder, in denen sich Migrationsforschung bewegt. Welches Verhältnis hat Migrationsforschung zum Ansatz und der Idee von Kritik? Welche Ansprüche, Praxen und Reflexionen sind bei einer sich kritisch verstehenden Migrationsforschung sinnvoll, üblich und angemessen?
Die durch Plenarvorträge sukzessiv eröffneten Diskussionen zu den Themenfeldern werden anschließend jeweils durch Sessions mit thematischen Kurzstatements von TeilnehmerInnen bereichert, fokussiert und ergänzt.
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