Ludwig Wittgenstein, Teil 2
Wittgenstein und der Wiener Kreis: Gegen die Verhexung des Verstandes durch die Mittel der Sprache
Die Mitglieder des Wiener Kreises haben sich sehr gestritten darüber, wie denn diese Protokollsätze, auf die die ganzen anderen Sätze aufbauen sollen, denn lauten müßten.
Sätze, Bilder, Namen (unmittelbare Urzeichen) – was ist was bei Wittgenstein?
Die Vorstellung Wittgensteins von wissenschaftlichem Denken sieht so aus, daß der Verstand eine Art von Apparatur ist, die in einem fort Fotos macht und die dann in Karteien einordnet.
Nach dem Tractatus meinte Wittgenstein, eigentlich alles gesagt zu haben und ließ die Philosophie bzw. die Wissenschaft für eine Zeitlang bleiben.
Als ihm dann eine Professur in Cambridge angeboten wurde und er die auch annahm, setzte er seine Betrachtungen zu Sprache und Wissenschaft fort.
Wissenschaft dürfe nur beschreiben und keine Hypothesen enthalten. Zweifel sollen ausgeschlossen werden. Gedanken im Sinne von Inhalten, Theorien gelten ihm schon als unwissenschaftlich, weil sie über die reine Abbildung der Wissenschaft hinausgehen.
Damit kehrt er sich sogar von seinen vorherigen Aussassungen ab: Der „Tractatus“ ist noch viel zu theoretisch und damit „hypothetisch“.
Dabei ist die Forderung Wittgensteins, daß die Sprache kritischer zu sein hätte, nicht ganz von der Hand zu weisen. Da liegt ja wirklich einiges im Argen.
Aber beim Wittgensteinschen Ansatz ist die Sprache einfach ein Sammelsurium von Fehlerquellen, die sich gar nicht eliminieren lassen, sodaß sich jegliche Wissenschaftstheorie auf Fehlersuche in der Sprache reduziert – weil man dieses untaugliche Werkzeug des Denkens andererseits auch nicht entbehren kann.
Die wittgensteinsche Sprachkritik ist also ein fortwährender Kampf gegen „die Verhexung des Verstandes durch die Mittel der Sprache“.
Sprache ist letztlich immer etwas Ideelles, etwas Gedachtes – damit kann sie diese unmittelbare Wiedergabe der Wirklichkeit nicht leisten, da sie selbige durch Beigabe von Gedanken sozusagen verunreinigt.
Der Umstand, daß Sprache gedankliche Tätigkeit ist und nicht bloße Widergabe, fällt Wittgenstein nur als Störung, als Unvollkommenheit der Sprache auf.
Die Bedeutung eines Wortes wird so von dessen Inhalt getrennt, und letzterer in die Subjektivität des Sprechers hineinverlegt, wodurch ein Gegensatz geschaffen wird, der wiederum die Sprache zu einem untauglichen Mittel der Abbildung der Wirklichkeit erklärt: Sie kann so die Wirklichkeit ja gar nicht „abbilden“!
Die Sprache wird somit zu einer Ausdrucksform des Subjekts, des Sprechers erklärt, der mit seinen Aussagen die Wirklichkeit nur interpretiert, aber niemals korrekt wiedergeben kann.
Dadurch, daß das Subjekt SICH SELBST beim Sprechen ja nicht aus dem Sprechakt herausnehmen kann, ist also die Sprache als Mittel der Abbildung unbrauchbar.
Aber: Es gibt kein anderes Medium, also gibt es hier einen scheinbar unüberbrückbaren Gegensatz.
Der Versuch, ihn zu überbrücken, sieht so aus: Die Sprache als eine Technik, ein Regelwerk definiert.
Der Wissenschaftler wird zu einer Art Techniker erklärt, der dieses Regelwerk von seinen subjektiven Beifügungen reinigen soll, um sie zu einem brauchbaren Werkzeug der Abbildung der Wirklichkeit zu machen.
Das Erlernen dieser Regeln nennt Wittgenstein dann „Sprachspiel“.
Sprache wird zu einem Regelwerk als eine Art Mensch-Ärgere-dich-nicht-Spiel eingeführt, wo man nur die Regeln lernen und korrekt anwenden muß.
Also geht es als nächstes darum, die Regeln zu entwerfen und gegen Irrtümer sicher zu machen.
Das Problem ist, daß in verschiedenen Sprachen die gleichen Erscheinungen verschiedene Namen haben.
Die Sprachen, als verschiedene, sind also nicht ident, sondern die verschiedenen Bezeichnungen sind „nur“ miteinander „verwandt“.
„Verwandtschaft“ unterstellt jedoch eine Identität, die andererseits gerade ärgerlicherweise nicht besteht, weil die gleichen Dinge in verschiedenen Sprachen unterschiedlich bezeichnet werden.
Die Sprache wird also von Wittgenstein zu einem immer untauglicheren Mittel der Abbildung der Wirklichkeit erklärt: Nicht nur, daß sie für sich dem Anspruch, ein Abbild der Wirklichkeit zu liefern, nicht genügt, sondern es gibt auch noch dazu eine Unzahl von Sprachen, alle mit der gleichen Unzulänglichkeit.
Die ganze Theorie des logischen Urteils im klassischen Sinn (von den Griechen bis Kant und Hegel) – Identitäten und Unterschiede werden hier festgehalten – ist Wittgenstein fremd.
Die Identität wird durchgestrichen, es bleibt nur die Ungewißheit, was da überhaupt bestimmt wird.
In seiner Spätphase meint Wittgenstein – im Sinne seiner Auffassung der Welt sehr konsequent – das Beste sei, nicht zu denken. Es kommt eh nix dabei heraus.
Man sollte mit der Welt keine Probleme haben, meinte Wittgenstein. Klarheit über die Welt, das war sein Anliegen. Wenn das nicht möglich ist, so ist das Nachdenken überflüssig, weil es führt zu nix.
Selbst wenn man einen richtigen und wichtigen Gedanken hätte, so kann man ihn nicht ausdrücken, weil die Sprache mangelhaft ist. „Meinen“ und „Sagen“ klafft auseinander.
So daß er am Schluß zu dem eigentlich für einen Denker vernichtenden Standpunkt kommt, man könne sich eigentlich nur auf den lieben Gott verlassen, alles andere Denken und Sprechen – ist vom Standpunkt des Wissens, der „Gewißheit“, sowieso zum Scheitern verurteilt.
Das Lob, er sei einer der wichtigsten Denker des 20. Jahrhunderts gewesen, ist zwar fragwürdig, kann aber auch genau diese Leistung würdigen, daß jemand sich soviel Mühe gemacht hat, um am Schluß erst wieder zu der Aussage zu kommen: Ich weiß, daß ich nix weiß.
Fortsetzung von Ludwig Wittgenstein, Teil 1
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