Klaus Thaller (Bruder der ehemaligen Nationalratspräsidentin Barbara Prammer) in Vordergründig-Hintergründig

02.08.2019

„Meine Eltern zerbrachen an Barbaras Schicksal“
Sechs Jahre nach dem Tod von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) erinnert sich Bruder Klaus Thaller an seine berühmte Schwester

 

VON PETER POHN

 

Es war eine Schockmeldung für ganz Österreich, aber auch über die Grenzen hinaus, als am 2. August 2014 bekannt wurde, dass die damalige Nationalratspräsidentin Mag.a Barbara Prammer (SPÖ) den Kampf gegen ihre Krebserkrankung verloren hatte. Nicht zuletzt ihr steiniger Weg vom Arbeiterkind an die Spitze des Parlaments, ihre humane Leitung von Parlamentsdebatten aber auch die von ihr initiierte Demokratiewerkstatt für Kinder machten sie bei der Bevölkerung beliebt. Kenner der Politikszene trauten ihr deshalb auch als erste Frau den Sprung ins Bundespräsidentenamt zu. Trotz großer politischer Erfolge habe Prammer nie die Bodenhaftung und den Bezug zu ihrer Heimat und Familie verloren, erinnert sich Bruder Klaus Thaller (59). Im Interview spricht er über die letzten Stunden seiner berühmten Schwester, Familienleben und wie es dazu kam, dass Prammer nicht in Oberösterreich sondern in Wien begraben wurde.

 

Herr Thaller, wie geht es Ihnen fünf Jahre nach dem Tod Ihrer Schwester Barbara Prammer?

Klaus Thaller: Das Thema „Barbara“ ist nach wie vor schwierig. Wir sprechen natürlich im familiären Kreis über sie, stellen dann aber fest, dass ihr Tod noch nicht überwunden ist und wohl kaum überwunden werden kann.

 

Mit dem Bekanntwerden der Diagnose Krebs standen Ihre Schwester Barbara und Ihre Familie plötzlich vor einer harten Prüfung.

Ja, in Linz hat sie Mitte September 2013 die Diagnose bekommen und ich war mit meiner zweiten Schwester Sylvia, Büroleiter Helfried Carl und Pressesprecher Gerhard Marschall dabei. Carl und Marschall rieten Barbara in die Presse zu gehen, was sie aber zu diesem Zeitpunkt noch ablehnte. Das war der erste und einzige Moment, in dem bei Barbara sichtlich Angst aufkam. Sie wollte nicht, dass ihre schlimme Situation ausgenutzt und negativ über sie berichtet wird. Mit der Diagnose Krebs in die Presse zu gehen, bedeutete für sie sicher eine große Überwindung.

 

Welche Rolle spielten Sie während der Krankheit?

Ab der Diagnose hat sich die Familie bemüht, Barbara bei allen Behandlungen zu begleiten und auch an freien Wochenenden bei ihr zu sein. Ich habe vor allem die Aufgabe gehabt, meine Eltern zu informieren. Mein Vater hat stets nachgefragt, als er die Diagnose erfuhr, weil er die Situation nicht wahrhaben wollte. Nach und nach zerbrach er an Barbaras Schicksal. Die Übermittlung war der erste Stoß.

 

Wie ging es weiter?

Bis Weihnachten 2013 war Barbaras Zustand stabil. Am Heiligen Abend bekam noch jeder von uns Geschwister ein spezielles Geschenk. Es wirkte wie ein Abschied. Ab Jänner ist es mit ihrer Gesundheit dann leider bergab gegangen.

Welche Erinnerungen haben Sie an das Wochenende, als Ihre Schwester im Sterben lag?

Einen Tag bevor sie gestorben ist, also am Freitag, den 1. August 2014, sind wir alle nach Wien gefahren, da wir wussten, dass sie dieses Wochenende nicht mehr überleben wird. Ich wurde dann von meinen weiteren Schwestern und Pressesprecher Marschall gebeten, heimzufahren, damit jemand zuhause ist, um gleich die Eltern von Barbaras Ableben zu informieren. Schließlich sollten sie Barbaras Tod nicht aus der Presse erfahren. Am nächsten Tag um drei Uhr habe ich dann von ihrem Tod erfahren.

 

Wie erlebten Sie Barbara Prammers Todestag am Samstag, 2. August 2014?

Ich habe gewartet. Um 15 Uhr kam dann die schreckliche Nachricht. Ich fuhr zu meinen Eltern nach Ottnang, habe sie umarmt und gesagt, dass Barbara nun gestorben sei. Es hat lange gedauert, bis meine Eltern Barbaras Tod realisieren konnten. Dann sind sie aber relativ schnell mental und körperlich gebrochen.

 

Konnten Ihre Eltern zum Begräbnis auf den Wiener Zentralfriedhof kommen?

Ja, sie waren bei der Urnenbeisetzung im engsten Kreis mit Familie und Freunden dabei. Aufgrund ihres gesundheitlichen und mentalen Zustandes wollten sie jedoch am offiziellen Staatsakt nicht teilnehmen.

 

Barbara Prammer galt als stark verbunden mit ihrem Heimatort Ottnang am Hausruck. War es Ihr persönlicher Wunsch in Wien begraben zu sein?

Wir konnten uns zum Glück an ein makabres aber sehr lustiges Gespräch mit Barbara erinnern. Dabei hat sie uns „gestanden“, dass sie sich in vielen Jahren schon über ein Ehrengrab für ihr politisches Engagement freuen würde. Die Stadt Wien hat uns ein Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof angeboten und wir durften dort einen schönen Platz für die Grabstätte aussuchen.

 

Wie sehr fehlt Ihnen Ihre Schwester?

Sehr, besonders bei Familientreffen, die Barbara sehr gerne hatte und zum Abschalten brauchte.

 

Hatte Ihre Schwester neben Ihrer Karriere als Politikerin denn Zeit für regelmäßige Familientreffen?

Das war relativ einfach: Sie hat gesagt, wann sie Zeit hat und wir haben uns danach gerichtet. Es gab kein Weihnachten, kein Ostern, keinen Geburtstag, wo sie nicht dabei war. Im Schnitt sahen wir sie alle drei Monate.

 

Zu welchen aktuellen Themen würden Sie Ihre Schwester heute am liebsten befragen?

Es wäre eine gute Frage, wie sie das Flüchtlingsthema anpacken würde. Grenzen zudrehen, Leute sterben lassen, und die Einstellung „Hauptsache uns geht es gut“ hätte ihr mit Sicherheit nicht gefallen. Sie fehlt in der österreichischen Innen-Politik aber vor allem unserer Familie.

 

Was denken Sie, wie wäre Barbara Prammers politische Laufbahn weitergegangen?

Ich glaube nicht, dass sie noch einmal ein Ministeramt in der Bundesregierung angestrebt hätte. Als erste weibliche Bundespräsidentin wäre sie mit Sicherheit zu den großen SPÖ-Politikern neben Bruno Kreisky, Hannes Androsch und Heinz Fischer aufgestiegen. Das hätte ich ihr vergönnt.

 

Was hat ihre Schwester politisch und gesellschaftlich geprägt?

Insgesamt sind wir sehr politisch aufgewachsen. Wir wurden mit Kreisky groß und mein Vater war Ende der 1970er Jahre auch Bürgermeister. Seine Erfahrungen aus 40 Jahren Gemeindepolitik hat er Barbara vermittelt. Was die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau anbelangt, haben uns die Eltern viel mitgegeben. Vor allem unsere Mutter, die von Kleidung bis zu Kleiderkästen alles herstellen konnte, war Barbara ein sehr großes Vorbild.

Beschreiben Sie Ihre Lebensbedingungen?

Wir stammen aus einer Arbeiterfamilie, wo Geld immer knapp war. Dennoch schafften es meine Eltern mit viel Fleiß, uns Kindern gute Lebensbedingungen und Bildungsmöglichkeiten zu schaffen. Leben und Bildung konnten also nur mit Müh und Not finanziert werden und das hat Barbara nie vergessen. Deshalb lebte sie den sozialen Gedanken und setzte ihn in ihrer Politik um. Ich bin sehr stolz auf sie.

 

Gab es einen Zeitpunkt, ab dem Sie realisiert haben, dass Ihre Schwester in der Innenpolitik angekommen ist?

Die Anfänge von Barbaras politischer Tätigkeit habe ich nicht mitbekommen. Zum Beobachter ihrer Karriere wurde ich, als sie in den Landtag gewählt wurde. Von da an habe ich begonnen, mit zu zittern.

 

Wie war Ihr Gefühl, als Ihre Schwester regelmäßig in den Medien vertreten war?

Wenn ich sie im Fernsehen gesehen oder im Radio gehört habe, konnte ich es kaum glauben, dass meine Schwester zu hören oder sehen ist. Das war ein komisches Gefühl. Was ihre Rhetorik betrifft, hat sie sich über die Jahre stark verbessert.

 

Gab es auch Momente, wo sie mit der Berichterstattung nicht zufrieden waren?

Mit der medialen Berichterstattung war ich grundsätzlich zufrieden, obwohl ich schon erwähnen muss, dass die Medien sie zu Beginn ihrer politischen Karriere nicht ganz ernst nahmen. Ich kann mich erinnern, sie war gerade Landtagspräsidentin geworden und es wurde berichtet, dass sie Schuhe einkaufen war. Da dachte ich mir schon, wen soll das interessieren. Ich denke, durch ihre gute politische Arbeit hat sie sich aber die Anerkennung der Medien verdient und auch gut mit ihnen zusammengearbeitet. Auch während der Zeit ihrer schweren Erkrankung habe ich die Berichte sehr fair gefunden. Generell finde ich, dass sie in den Medien gut abgeschnitten hat.

ZUR PERSON:

Klaus Thaller ist der jüngere Bruder der verstorbenen Nationalratspräsidentin Barbara Prammer.  Bis zu ihrem Tod stand er in engem Kontakt mit seiner um sechs Jahre älteren Schwester. Bereits sein Vater Leopold Thaller (SPÖ) war Ende der 1970er Jahre als Bürgermeister von Ottnang am Hausruck politisch tätig. Dadurch wurden Klaus Thaller, Barbara Prammer und zwei weitere jüngere Schwestern schon früh politisch geprägt. Heute lebt der 59-Jährige in Ried im Innkreis und ist im Vertrieb tätig.

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Thema:Society Radiomacher_in:Peter Pohn
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