Im Dschungel der westlichen Werte und der Propaganda
Im Dschungel der westlichen Werte und der Propaganda
Einer der letzten Beiträge – „Selenskyjs Welt“, nachzuhören bzw. zu lesen auf cba.media, Podcast „Kein Kommentar“ – hat Kritik auf sich gezogen. Die Kritik besteht im Wesentlichen darin, dass es sich um Putin-Propaganda handle, damit ist nach Meinung des Kritikers alles gesagt – vor allem, dass sich so etwas nicht gehört. Deswegen hat sich der Kritiker gar nicht erst bei mir beschwert, sondern gleich beim Radio; und der Vorwurf der verkehrten Propaganda hat so etwas wie eine inhaltliche Wiederlegung natürlich nicht nötig.
Zur Erinnerung: Das Thema war nicht primär der Krieg, sondern die hiesige Berichterstattung, und zwar anhand eines Selenskyj-Porträts in der Schweizer „Weltwoche“, in dem einige durchaus bekannte Facetten über die Person Selenskyj und die Ukraine zusammengefasst wurden – die allerdings in der hiesigen Mainstream-Berichterstattung gleich verschwiegen oder zumindest dermaßen vernachlässigt werden, dass man glatt denken könnte, es gäbe hier Zensur oder ein Propagandaministerium oder als sei die Berichterstattung staatlich gelenkt. Also etwa das, was diese Kritik an meinem Beitrag einfordert. Eine Langfassung des Vorwurfs Putin-Propaganda geht so:
„Ukraine ist keine Demokratie, Ukraine ist korrupt, Ukraine wird von rechtsextremen Allianzen regiert, in der Ukraine wird Zensur praktiziert, Ukraine ist für Folter und Tod an russischer Minderheit bzw. Soldaten schuld, Ukraine wird benutzt und Ukraine lässt sich benutzen. Das alles (und einiges mehr) wird nebeneinander aufgezählt und mit etwas Sarkasmus aufgegossen, ohne an irgendeiner Stelle auf den breiteren Kontext und tatsächlichen Verhältnis(se) im aktuellen Krieg genauer einzugehen. … Ist das wirklich die richtige Art, einen Politiker und ein Land schonungslos an den Pranger zu stellen, deren Existenzrecht gerade mit massiven militärischen Mitteln bekämpft wird?“
Stichwort Demokratie: Diesbezüglich habe ich den Bruch diverser Wahlversprechen durch Selenskyj als „stinknormale Demokratie“ und als die normale „Abfolge von Hoffnung und Enttäuschung“ charakterisiert. Es war auch nicht davon die Rede, die Ukraine würde von rechtsextremen Allianzen regiert, die Rede war von einer Allianz des „flamboyanten“ Selenskyj mit rechtsextremen Milizen.
Ansonsten ist eine bloße Wiederholung diverser Auskünfte – in der Ukraine wird Zensur praktiziert, es gibt Folter und Mord an russischen Soldaten und an Regimekritikern, die Ukraine wird benutzt und lässt sich benutzen – natürlich nicht geeignet, etwas zu widerlegen. Es sei denn, Widerlegung ist nicht das Thema, sondern diese Nacherzählung allein soll das Nacherzählte als Abweichung markieren, und damit als ungehörig! – Soweit es mich betrifft, ist diese Abweichung Absicht, und die Behauptung, dass da etwas Wichtiges fehle, nämlich der „breitere Kontext“ und die „tatsächlichen Verhältnisse“ – diese Behauptung hängt in der Luft, solange dieser „Kontext“ und besagte „Verhältnisse“ nicht nachgeliefert werden: Also, her damit!
Stichwort Korruption: Vor dem Krieg Dauerthema in der Ukraine
Sortieren wir das Ganze noch auseinander: Der Vorwurf „Korruption“, der gehört nämlich nicht zur Putin-Propaganda. Als Zweck der ursprünglichen sog. „Spezialoperation“ zwecks Regimewechsel in Kiew hat Putin die Entmilitarisierung und Entnazifizierung angegeben; zur Entnazifizierung später. Korruptionsbekämpfung war da nicht dabei, wäre auch absurd. Denn Korruption war erstens einmal ein ständiges Thema innerhalb der ukrainischen politischen Debatte. Die dortige Bevölkerung hat die dortige politische Klasse aus ganzem Herzen als eine Ansammlung von Dieben verachtet; Selenskyj hat diese Verachtung seinerzeit aufgegriffen und in seiner Sitcom „Diener des Volkes“ zur Darstellung gebracht; darüber ist er populär geworden; das und die Unterstützung durch den Oligarchen Kolomojskyj und dessen Medien war die Startrampe zu seiner Kandidatur. Und nachdem sich bloß durch seine Wahl die ukrainischen polit-ökonomischen Verhältnisse nicht geändert haben, sind nach der Wahl bald in seinem Umfeld die üblichen Korruptionsvorwürfe laut geworden. Wie jeder anständige Steuerhinterzieher hat auch Selenskyj ein paar Millionen auf Offshore-Konten gebunkert: Korruption, das war bis zum Krieg ein Dauerthema der ukrainischen Innenpolitik!
Zweitens gehört der Vorwurf „Korruption“ zum außenpolitischen Standardrepertoire des Westens, wenn in diesen Kreisen das Bedürfnis aufkommt, auswärtige Regimes zu delegitimieren, also zu mehr Unterordnung unter eigene Bedürfnisse zu nötigen! Insofern war „Korruption“ jahrelang der westliche Anwurf gegen die Ukraine schlechthin, der vor allem von den USA unter Biden (als Vize sowie in Opposition) ebenso wie unter Trump gepflegt wurde. Der damalige Vizepräsident Biden hielt regelmäßig Kontakt mit dem damaligen ukrainischen Staatschef Poroschenko, Thema: „Corruption has been the topic of almost all of our calls.“ (https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/unsere-ukraine-einziger-grosser-fall-korruption)
„Ukraine is a corrupt country. We are pissing away our money (Trump, New York Times, 29.12.19) – „I would like them to agree. If they got along with each other, it would be wonderful for the whole world.“ (Trump wants Ukraine and Russia to reconcile,112.ua, 23.2.20)
(https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/ukraine-den-zeiten-corona#section15)
Wenn jetzt so getan wird, als wären in Sachen Korruption hauptsächlich die sog. Putin-Trolle oder die Putin-Versteher am Werk, dann bewältigt die Journaille damit die Vergangenheit der westlichen, und damit ihre eigenen Ukraine-Darstellungen. Soweit es mich betrifft, war die Erinnerung an diese Zustände dafür gedacht, um die aktuellen geschönten Berichte der Verantwortungspresse zu kontrastieren, und deren Intention zu kennzeichnen. Dazu noch später.
Rechtsextremismus und Faschismus in der Ukraine: Das Asow-Regiment
Auch der andere Vorwurf – „Rechtsextremismus und Faschismus“ – ist primär ein Standardgesichtspunkt der etablierten und alleweil besorgten hiesigen Öffentlichkeit; wenn etwa in Frankreich der „Front National“ oder in Italien die „Lega“ oder die „Fratelli“ vor einem Wahlerfolg stehen. So wurde bis neulich auch die Ukraine begutachtet. Da trifft es sich vorzüglich, dass der „Standard“ vergangenes Wochenende einen Berichterstatter referieren ließ, der vor Ort „unterwegs mit den Kämpfern des Asow-Regiments“ war, und der authentisch, brandaktuell und aus erster Hand informiert, ob es sich wirklich „um eine Bande von Nazis“ handelt. Der wesentliche Befund lautet: „Generation Asow“! Mehr ein demographisches, also viel robusteres, als ein bloß politisches Phänomen!
„Die zwielichtige Vergangenheit Asows, sie scheint keine Rolle zu spielen.“ Daschauher! Also die Kämpfer der Truppe selber stören sich nicht am Asow-Faschismus, für den sie sich entschieden haben, und der vom Berichterstatter höflich als „vergangene Zwielichtigkeit“ umschrieben wird – der spielt für die Teilnehmer keine negative Rolle. Aber, ausgewogener Journalismus verschweigt nichts: „Dabei gibt es sie: Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen, Misshandlung von Kriegsgefangenen, Angriffe auf Sinti und Roma. Die USA wollten die Gruppe einst auf die Terrorliste setzen. Heute präsentiert sich Asow bedachter, vorsichtiger. Die Aufmachung, die Präsenz in den sozialen Medien: hochprofessionell.“ Das wird schon stimmen, zumindest gegenüber westlichen Berichterstattern – die vergangene Vergangenheit unterscheidet sich von der heutigen Gegenwart also durch die Präsentation: „bedachter, vorsichtiger, hochprofessionell“. Man beachte überhaupt den subtilen Wechsel von Gegenwart und Vergangenheit … „Die hohe Anzahl neuer Mitglieder, die nichts mit dem politischen Kader zu tun haben, sowie die vielen Heldengeschichten haben dazu geführt, dass Asow in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.“ (Standard 23.7.2022)
Dass die neuen Mitglieder nichts mit den alten Mitgliedern zu tun haben, ist ein wenig blauäugig, aber eines stimmt sicher: Asow mitsamt seiner politischen Ausrichtung ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen: Der ewige Kampf der Nationen ist ohnehin das Lebenselixier des Faschismus, der den Schönwetterperioden des Friedens immer misstraut; der je schon die totale, heldische Aufopferung des Individuums für das nationale Kollektiv fordert, und der im Krieg für die Nation die Erfüllung des menschlichen Daseins sieht. Also das, was die Ukraine nun ihrem Volk abverlangt und als Befehl und Gehorsam organisiert, speziell für Männer bis sechzig. Wenn das ganze Volk für den Krieg eingespannt wird, ist die Unterscheidung demokratisch vs. faschistisch ohnehin obsolet, Asow ist in der Mitte und die Mitte ist Asow!
Der Standard-Berichterstatter ist nun keineswegs blind, ihm entgeht nichts: „Der Hang zu rechtsextremer Symbolik und Ästhetik ist trotzdem da …“ Nein, dieser Hang ist nicht trotzdem da, sondern deswegen! „Arme sind mit Tattoos dekoriert. Zwischen den farbigen Bildern, Schnörkeln … schwebt ein rotes Logo. Ein Hakenkreuz. Auf seinem Finger prangt ein „S“. Der gleiche Stil wie der der Sturmstaffel. Darüber kann (der Träger) nur lachen. „Das Hakenkreuz ist ein altes Symbol, viel älter als die Nazis, und das ‚S‘ ist eine Sonnen-Rune. Wir stehen auf die alten Sachen. Auf germanische, slawische Tradition. Das sind unsere Vorfahren.““ Stimmt, das Nazi-Symbol Hakenkreuz wurde nicht vom Nationalsozialismus erfunden. Die Nazis haben es zu ihrem Symbol gemacht, und darum ist es nun das Symbol des Nationalsozialismus – darüber täuscht sich niemand, weder in der Ukraine noch in Österreich. Es sei denn, man möchte sich mit Wonne verarschen lassen. Abschließende, ausgewogene Resignation des „Standard“: „Was wirklich dahintersteht, wissen nur die Kämpfer selbst.“ (ebd.) Nun, das wissen sie nicht nur, das zeigen sie auch …
[Ich hab’ mir den Spaß erlaubt, die sog. „zwielichtige“ Vergangenheit des damaligen Asow-Bataillons durch ein Interview eines ukrainischen Politologen, ebenfalls im Standard, vom 23.8.2014 zu illustrieren, der hat damals Asow für demokratiegefährdend gehalten:
Schechowzow: Die SNA spielt eine große Rolle. Es handelt sich um eine neonazistische Bewegung mit totalitärer Ideologie, die für eine rassenreine Ukraine eintritt. Die SNA war zunächst Teil des Rechten Sektors, arbeitet nun aber mit Ljaschko zusammen. Außerdem leiten die SNA-Chefs das sogenannte Asow-Bataillon. Ich kritisiere häufig, dass der ukrainische Staat seinen Einsatz bei den Antiterror-Operationen (ATO) in der Ostukraine erlaubt und es mit Waffen versorgt; schließlich könnte sich die SNA gegen eine demokratische Ukraine richten. Für einen militärischen Umsturz ist die Organisation zwar zu klein, und auch für eine Regierungspartei fehlt die Unterstützung, aber unter den Umständen – der Krieg, eine geschwächte Regierung, Instabilität – könnte sie die Lage weiter destabilisieren.
STANDARD: Viele Freiwilligen-Bataillone fallen durch gewaltbereites Verhalten in der Ostukraine auf …
Schechowzow: Die Freiwilligen-Bataillone unterstehen dem Innenministerium und sind eine Unterstützung der regulären Armee im Kampf gegen die Separatisten. Wenngleich es wie in jeder Armee in den meisten Bataillonen Rechtsextreme gibt, hebt sich das Asow-Bataillon durch offenen Rechtsextremismus ab, dessen Mitglieder keine demokratischen Ansichten vertreten. Die derzeitige Regierung ist für sie nach wie vor ein Feind. Im Augenblick stehen zwar größere Probleme im Vordergrund, aber sobald der Krieg zu Ende ist, werden sie sich dem für sie kleineren Übel widmen: der demokratisch gewählten Regierung. Ich erwarte mir vom Asow-Bataillon Provokation und Destabilisierung. Hinzu kommt, dass die SNA, die schließlich hinter dem Asow-Bataillon steht, politische Ambitionen hat. Auch wenn sie kaum Chancen hat, regierungsfähig zu werden, wird die SNA große Probleme verursachen: Angriffe auf sexuelle und ethnische Minderheiten sowie Unruhen und Proteste gegen die Regierung.“ Diese Freiwilligen-Bataillone mit dem „gewaltbereiten Verhalten“ haben auf eigene Faust und damals teilweise gegen die Intentionen der Regierung in Kiew den Waffenstillstand im Donbass gebrochen und den Krieg gegen die Separatisten auf eigene Faust vorweggenommen, um die Regierung unter Druck zu setzen.]
Rechtsextremismus und Faschismus in der Ukraine: Der Bandera-Kult
Besagter Stepan Bandera war ein ukrainischer Nationalist, der seinerzeit im Krieg der deutschen Wehrmacht gegen die damalige UdSSR die Chance gesehen hat, sein ukrainisches Staatsgründungsprojekt voranzubringen, woraus sich konsequent eine Kooperation mit der Wehrmacht ergeben hat, bei der Ausrottung von Juden, Polen, Russen. Nachdem andere Mitglieder der OUN (Organisation Ukrainischer Nationalisten, wurde übrigens in Wien gegründet) eine unabhängige Ukraine ausriefen, was damals noch nicht ins deutsche Konzept passte, kam Bandera als „Ehrenhäftling“ ins KZ Sachsenhausen, also zu besseren Haftbedingungen.
Aus einer Biographie, nach Wikipedia: „Vor dem Krieg machte er (Bandera) kein Geheimnis daraus, dass ‚nicht nur Hunderte, sondern Tausende Menschenleben geopfert werden müssen‘, damit die OUN ihre Ziele realisieren und ein ukrainischer Staat entstehen könne. Die Massengewalt beziehungsweise die ‚Säuberung‘ der Ukraine von Juden, Polen, Russen und anderen ‚Feinden‘ der Organisation war ein zentraler Bestandteil seiner Ziele.“ … Vor allem im Westen der Ukraine wird Bandera heute von breiteren Bevölkerungsschichten als Nationalheld verehrt, dort gibt es auch Hunderte nach ihm benannte Straßen, viele lebensgroße Statuen und Büsten, einige monumentale Denkmäler sowie mehrere Museen zu seinen Ehren. … In der Ostukraine, aber auch in Polen, Russland und Israel gilt Bandera hingegen überwiegend als Verbrecher und NS-Kollaborateur. … Am 22. Januar 2010 verlieh der damalige ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko Bandera postum den Ehrentitel Held der Ukraine. … Die polnische und russische Regierung sowie einige andere Institutionen protestierten gegen diese Ehrung. Das Europäische Parlament äußerte die Hoffnung, dass der neue Präsident der Ukraine diesen Präsidialerlass revidiere. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum verurteilte die Ehrung und wies darauf hin, dass Bandera Mitschuld am Tod von Tausenden Juden trage. … Von russischer Seite wird seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine der Bandera-Kult staatlicher ukrainischer Stellen dazu genutzt, die durch die Revolution 2014 an die Macht gekommenen demokratischen Parteien und Politiker pauschal als „Faschisten“ zu verunglimpfen.“ (wikipedia 24.4.2022)
Nun, diese Figur passt halt ganz hervorragend auf den aktuellen Krieg der Ukraine; die hat es ja mit einem oder mehreren Bevölkerungsteilen zu tun, die sich nicht unbedingt als fanatische heldenhafte Ukrainer verstehen, die dementsprechend als verdächtig bis feindlich angesehen werden, und dementsprechend bespitzelt und schikaniert und drangsaliert werden. Mit der Bandera-Verehrung selbst kommt die westliche Presse schon klar, durch kleinreden oder verschweigen, oder höchstens durch das Aufwerfen der Frage nach der Glaubwürdigkeit ihrer Darstellung der Ukraine als demokratischer Leuchtturm in der Wüste der Finsternis mitsamt der Forderung, dort drüben könnte man sich mehr Mühe geben, bei der Unterstützung der hiesigen Presse und ihres gefälligen Ukraine-Bildes.
Dabei ist es nicht geblieben, weil ein gewisser Herr Melnyk, früher Botschafter der Ukraine in Deutschland, sich wiederholt und trotz mehrfacher Abmahnungen mitten in Deutschland als glühender Bandera-Fan geoutet hatte. Das ist einerseits sehr verständlich, seine Aufgabe besteht eben darin, im Land, in das er entsandt wurde, mit allen propagandistischen Schikanen um Unterstützung zu werben, wobei die Intransigenz, mit der manche Botschafter sich in Westeuropa aufführen – so als hätten sie hier den Regierungen Vorgaben und Vorschriften zu machen – auch durchaus wohlwollende Kommentatoren einen gewissen Größenwahn dieser Typen diagnostizieren lässt … Wie auch immer, sogar das kann noch als verständlicher Eifer oder als Verzweiflung durchgehen. Wenn aber ein Botschafter, also der offizielle Vertreter eines Auslands, auf der Verehrung einer Figur besteht, die sich damals aus Leidenschaft für die Ukraine den Nazis an den Hals geworfen hat, dann zettelt er damit einen kleinen Kulturkampf an, und zwar mitten in Deutschland – einen Kampf um die höchsten, die gültigen Werte nämlich, denen man zu huldigen und an denen sich alles politische Handeln auszurichten und zu rechtfertigen hat. Er verlangt nämlich, dass sich am fanatischen Standpunkt „Ukraine first“ durch die Verehrung dieses Bandera auch der deutsche Höchstwert, das deutsche Gütesiegel schlechthin, ein Stück relativiert: Gemeint ist die Darstellung der Überwindung der „unseligen Vergangenheit“, die unhintergehbare Distanz dazu – gerade wenn es wieder gegen die Russen geht! – und ebenso der kompromisslose Anti-Antisemitismus, als absolutes gültiges deutsches Kulturgut. Das alles wird durch einen Bandera-Kult in Deutschland brüskiert. Zwar spielt sich das Getöber bloß im Reich der moralischen Werte ab, der gültigen Narrative, gern auch in der Sphäre verbindlicher nationaler Wahnvorstellungen, aber dort tobt sich der Streit aus. Und wenn Botschafter Melnyk dann auf bewährte Weise nachlegt – „’Bandera war kein Massenmörder von Juden und Polen‘, so Melnyk, es gebe für entsprechende Vorwürfe keine Belege.“ (Online-Magazin Telepolis, 06. 07. 2022) – dann ist er damit schon in der Nähe der Auschwitz-Leugnung angekommen, spätestens dann, wenn Israel protestiert. Eine Notiz im „Standard“:
„Dass Melnyk jüngst den ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera verbal verteidigte, der im Zweiten Weltkrieg mit den Nazis kollaboriert hatte und für den Tod tausender jüdischer und polnischer Zivilisten verantwortlich gemacht wird, schlug dem Fass der Diplomatie aber den Boden aus. Das russische Narrativ zu befeuern, dem zufolge in Kiew eine Nazi-Bande am Ruder sei, und damit gleichzeitig Polen und Israel auf die Palme zu bringen war ein Kunststück der Antidiplomatie.“ (Standard 10.07.2022)
Die toten Russen auf dem Konto der OUN kommen in dieser Zusammenfassung nicht mehr vor. Dass Bandera sich heute hervorragend als Nationalheld eignet, wie Melnyk vertritt, kommt offenbar auch niemandem in den Sinn – aber Deutschland provozieren und Putins Propaganda das Material zu liefern, das geht nicht. Da muss der Botschafter abgezogen werden, und insofern ist diese kleine Affäre dann doch für etwas gut, nämlich für die Klarstellung, wer in diesem delikaten Verhältnis welche Rolle spielt, wer da Bittsteller ist, und wer (auch) darüber entscheidet, was die Ukraine überhaupt an Waffen und Kredit spendiert bekommt, und was nicht. In diese Rubrik gehört auch ein noch kleinerer Mikro-Sturm im deutschen Wasserglas, die flapsige Bemerkung eines Beraters (Plötner) von Kanzler Scholz, der den inbrünstigen Wunsch von Selenskyj nach dem beschleunigten EU-Beitritt der Ukraine mit den Worten kommentierte: „Nur weil man angegriffen wird, wird man nicht automatisch ein besserer Rechtsstaat“. Da wurde ihm mangelnde „Sensibilität“ vorgeworfen …
Soweit einmal eine Antwort auf den Vorwurf der Propaganda, entlang der Sichtworte „Korruption“ bzw. „Rechtsextremismus“ und „Faschismus“. Der zusammenfassende Befund lautet, dass solche Vorwürfe aus dem umfangreichen westlichen Arsenal der Legitimation bzw. Delegitimation ausländischer Herrschaften sehr berechnend hochgespielt und skandalisiert, je nach Anlass dann auch wieder zurückgestuft, vernachlässigt oder schlicht geleugnet werden, wenn sie nicht mehr zur sogenannten „Realpolitik“ passen, wie bei der Ukraine. Gegenstand ist also wieder der verlogene, berechnende, selektive Umgang mit den viel besungenen „westlichen Werten“. Habe mich an einen Text im GegenStandpunkt erinnert, der sich zwar einem anderen Thema widmet, der im ersten Teil nichtsdestotrotz das Verhältnis machtvoller moralischer Vorwürfe zu machtvoller „Realpolitik“ vorzüglich kommentiert:
„Die heuchlerische Übersetzung der materiellen politischen Ansprüche, die eine US-Regierung an fremde Herrschaften erhebt und mehr oder weniger schlecht bedient sieht, in ideelle Maßstäbe guten Regierens, vor denen die inkriminierte Mannschaft mehr oder weniger versagt, ist andererseits so passend, dass sie geradezu als sachgerecht zu bezeichnen ist. … Abweichungen von den in Anschlag gebrachten Idealen guten Regierens werden je nach dem als verzeihliche Versäumnisse, temporäre Schwierigkeiten, gravierende Verfehlungen oder systematische Webfehler rubriziert – da können zur falschen Zeit am falschen Ort frei gewählte sozialdemokratische Reformer das Menschenrecht auf produktives Eigentum in derart nicht wiedergutzumachender Weise mit Füßen treten, dass ihr Volk von ihnen befreit werden muss; nötigenfalls durch Militärdiktaturen, die mit ihren blutigsten Manövern allemal ‘zur Demokratie unterwegs’ sind.“ (GegenStandpunkt 4-04)
(https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/demokratie-den-nahen-osten)