I. YA YA oder die Kunst des Sapeurs, sich selbst zu führen

04.05.2017

Nachdem wir in der letzten Sendung die Pervertierung der Identitätsbildung im Glauben an die Demokratie diskutiert haben, wollen wir heute der konstitutiven Bedeutung der „wirklich Wahren“, der/ des Authentischen auf die Spur kommen.

Wenn wir diese globalisierte Welt nicht nur als Idee der Gleichheit, sondern auch als pluralistische Wirklichkeit wahrnehmen, dann befinden wir uns an einer Wende von der Demokratie der Authentischen hin zur demokratischen Differenz und Diversität. Selbstverständlich können wir uns in eine selbstgefällige Konzeption der Autonomie zurückziehen, nationale Identitätsbildung aktualisieren, künstliche Grenzen herbeisehnen, die wir nie erlebt haben und die „Außengrenzen“ noch weiter und weiter gegen den fremden Himmel dehnen, bis sie in uns zerplatzen.

Doch der Siegeszug des „Authentischen“ ist nicht neu und dennoch scheint es in den letzten Jahren einen Konsens in allen Politikfeldern zu geben, dass es schlichtweg „gut“ sei, authentisch zu sein bzw. zu erscheinen. Entscheidend hierbei ist etwa nicht die innere und äußere Reflexion der „Seinsweise“, sondern das Urteil über die Echtheit der/ des Anderen.

Authentizität, ein Begriff der im deutschen Sprachraum ab dem 16. Jhdt. nachgewiesen ist, stammt hier aus der Kanzleisprache und bezeichnete die rechtliche Bestätigung eines juridisch nachvollziehbaren Tatbestandes durch eine Art Notar. Meist handelte es sich dabei um die Bestätigung der „wahren Identität“ einer Person oder ihrer/seiner Unterschrift. Dies entspricht einer authentischen Konzeption von Herrschafts- und Machtbeziehungen, wie sie in der Praxis und den Diskursen der heutigen Asylpolitik  gang und gäbe sind.

Wie sagte doch der „politische Flüchtling“ Wolf Biermann: „Ich lüge nur mit der Wahrheit, ich bin doch ein Profi.“

Gegen die Subjektivierungsformen der Moderne plädiert beispielsweise Foucault in seiner „l’art de se conduire“ für eine Vielheit von Formen und Praktiken der Selbstbeziehung und des Selbstentwurfs.

In seiner Vorrede zur „Fröhlichen Wissenschaft“ macht sich Nietzsche über die Schamlosigkeit von Jünglingen lustig, „die alles, was mit guten Gründen verdeckt gehalten wird, entschleiern, aufdecken, in helles Licht stellen wollen“. Er gibt der Wahrheit einen anderen Namen und den Namen der/des Anderen und folgert: „Vielleicht ist die Wahrheit ein Weib, das Gründe hat, ihre Gründe nicht sehen zu lassen?“

Die Sapeurs, vom französischen Begriff „sape“ für Anzug, entstanden als soziale Protestbewegung Mitte der 1970er Jahre in Brazzaville. Wichtige äußere Merkmale sind die modische Eleganz und Individualität des Kleidungsstils, welche den Kontrast zwischen der inneren Freiheit und den äußeren Lebensumständen verdeutlichen. Der Sapeur spielt mit dem Auge des Betrachters und dekonstruiert die authentischen Zuweisungen wie etwa Arm und Reich, Kolonisierte und Kolonisten. Diese Lebenskünstler der Selbstermächtigung bilden eine „Gesellschaft der Unterhalter und eleganten Personen“ ( Société des Ambianceurs et des Personnes Élégantes)- wie sie sich später umformulierten- und stehen gleichzeitig in der Tradition der „großen Brüder und Schwestern“, den Yayas.

Im Publikum der Demokratie klatschen wir Beifall oder äußern Buhrufe, wenn sich der Vorhang hebt. Müssten wir nicht vor den Vorhang der Demokratie treten?

Zu Gast: Rainer Klien

Weiters diskutieren: Gilbert Moyen, Hubert Mvogo, Cyril Chima Ozoekwe, Simone Prenner und Sintayehu Tsehay.

Moderation: Di-Tutu Bukasa

II. Widmung des Matches Vienna City FC : FC Sans Papiers

So, 02.04.2017, 15:00 Uhr, Nachwuchszentrum Vienna, Spielmanngasse 8, 1200 Wien

Wir, der FC Sans Papiers, widmen das morgige Match allen Menschen, die Gründe haben ihre Wahrheit nicht sehen zu lassen, wie den Baubos und Schleierträgerinnen, den Yayas und der intellektuellen Guerilla und allen Sans Papiers.

Wie es unsere Tradition ist, werden wir vor dem Match islamisch, christlich und animistisch für alle Menschen beten, die Gründe haben ihre Wahrheit sehen zu lassen, wie– nach dem internationalen Orientierungsprinzip „You are here“ üblich-, den Sobotkas, Straches, Vilimskys, Le Pens, Petrys, Wilders, Trumps … und dem sonstigen Rauschen der Namen.

Pour que le monde avance!

Dr. Ditutu Bukasa

Tell: +43 664 2603129 

Email: ditutu.bukasa@chello.at

April 1, 2017, 16:30-17:30 Uhr, Radio Orange 94.0

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Thema:Society
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