Glimmerbilder und Fotorealismus, der nicht Fotorealismus genannt werden will
Franz Gertsch & Luciano Castelli ist eine große Ausstellung im Lentos gewidmet. Kunsthistorikerin Elisabeth Nowak-Thaller im Interview über schweizer Kunstpositionen der 70er Jahre.
Der moderate Gertsch und seine Godmother of Punk
Im März 2020 feierte der international berühmte Schweizer Künstler Franz Gertsch seinen 90. Geburtstag. Aus diesem Anlass zeigt das Lentos Kunstmuseum Linz eine Ausstellung mit monumentalen, beeindruckenden Gemälden, die sich im Wesentlichen auf Gertschs entscheidende Schaffensphase der 1970er-Jahre konzentriert.
Franz Gertsch erlebte 1972 an der documenta 5 in Kassel (D) seinen internationalen Durchbruch als der Schweizer Vertreter des Fotorealismus. Drei Jahre zuvor hatte er das Medium der Fotografie als Basis für seine Arbeiten entdeckt. Seitdem bildet die Fotografie – fast immer eine selbst gefertigte – den Ausgangspunkt für sein Wirken. Indem er die Farbe mit dem Pinsel direkt auf ungrundierten Stoff aufträgt, erhalten seine riesigen Gemälde, nicht zuletzt durch den langen Schaffensprozess, eine vibrierend malerische Qualität.
Gertschs Familie sowie der Künstler und Performer Luciano Castelli sind neben der Rockpoetin Patti Smith, der «Godmother of Punk», die wichtigsten ProtagonistInnen in Franz Gertschs betörenden Gemälden der 1970er-Jahre. Tauchen Sie mit uns in das Zeitgefühl der wilden Siebziger ein!
Fetisch in Luzern
Luciano Castelli (*1951) lädt im Lentos-Kabinett in die Jugendstilvilla Reckenbühl in Luzern ein, wo der Künstler mit seinen Mitbewohnern das Leben als kunstvoll gestaltete Party feierte. Die Räume der Villa dienten als Kulisse für seine Fotoserien, die er meist mit dem Selbstauslöser machte und damit früh Gender-Grenzen sprengte.
Castelli porträtierte sich selbst und seine Freunde in den sogenannten Glimmerbildern, auch schuf er erotisch aufgeladene Objekte, die zum ersten Mal in Österreich ausgestellt sind. Die Mitglieder dieser Wohngemeinschaft verkörperten den jugendlichen Auf- und Umbruch der 1970er-Jahre. Der Schweizer Konzeptkünstler, Maler, Fotograf, Punkmusiker und Performer prägte in Berlin ab 1978 die Neuen Wilden mit. Er ist neben Patti Smith der wichtigste Protagonist in Franz Gertschs Gemälden der 1970er-Jahre, denen das Lentos Kunstmuseum zeitgleich eine Ausstellung im Großen Saal widmet.
Das Lentos ist momentan geschlossen. Die nächste geplante Kunstvermittlung zur Ausstellung ist unter dem Motto „Und nun zu den Bildern“ am 17.12. geplant:
Die Führung durch die Ausstellung von Elisabeth Nowak-Thaller und Karin Schneider wird begleitet von einer Lesung von poetischen, subjektiven und kunsthistorischen Bildbeschreibungen aus dem Katalog durch den Schauspieler David Baldessari.
Führungskarte € 3 zzgl. Eintritt
Anmeldung erforderlich
Webinar: Beziehungsweise Revolution
Über Liebe, Ware und Kapitalverhältnissen und wie Dinge anders werden könnten. Was bedeutet Liebe im Kapitalismus? Wie politische ist Liebe und wie beziehungsreich sind Ware und Geld? Wie können und wie wollen wir lieben unter diesen Bedingungen?
Die Künstlerin Linda Bilda beschäftigt sich damit, was Waren, Geldflüsse, neoliberale Ökonomien, Arbeit, Geschlechtervehältnisse und unsere Identitäten und Persönlichkeiten miteinander zutun haben. Sie kritisiert auf vielfältige Weisen den Kapitalismus. Parallel zu ihrer bildnerischen Arbeit organisierte Linda Bilda immer wieder Diskussions- und Lesezirkel. Daran knüpfen wir mit diesem Webinar an: Wir nutzen ihre (zur Zeit noch geschlossene) Ausstellung im Lentos Museum als Forum, um mit der Philosophin und Autorin Bini Adamczak genau darüber nachzudenken.
Bini Adamczak lebt in Berlin und arbeitet als Autorin und Künstlerin zu politischer Theorie, queerfeministischer Politik und der vergangenen Zukunft von Revolutionen.
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