Jochen Rindts Tod und die Folgen
Mitte Dezember 2020 ist die 70. Formel 1-Saison zu Ende gegangen. Begonnen hat die, aufgrund von der Corona-Pandemie ungewöhnliche Saison Anfang Juli in Spielberg. Dass am Red Bull Ring überhaupt ein Rennen gestartet werden konnte, war vor allem auch Verdienst von Franz Schreiner. Der Linzer Zivilingenieur half mit seinem Gutachten, dass nach langer Zeit bei einer Motorsportveranstaltung die Ampel wieder auf Grün geschaltet werden konnte. In Zeiten von Corona habe die Formel 1 keinen Qualitätsverlust erlitten, meint Franz Schreiner, der seit vielen Jahren für den internationalen Dachverband des Automobils (FIA) arbeitet. Es hätten sich auch in der abgelaufenen Saison die besten Fahrer durchgesetzt.
Alonso kommt zurück
Interessant waren für Schreiner in der sogenannten Corona-Saison 2020 die Comebacks einiger klassischer Rennstrecken, wie Imola, die wieder in den Rennkalender zurückgefunden haben. Mit Zandvoord in Holland wird 2021 ein weiteres Traditionsrennen zurückkommen. Und auch in Saudi-Arabien wird gefahren. Die vielen Rennen in der Formel 1, 2021 sollen es 23 sein, lehnt Schreiner allerdings ab.
Die Saison 2021 soll dank einiger Veränderungen am Fahrersektor wieder etwas spannender werden, so Schreiner. Der Rennstall Renault zum Beispiel fährt in der kommenden Saison unter dem Namen „Alpine“. Gemeinsam mit Rückkehrer Fernando Alonso will man wieder permanent aufs Podest. Alonso kommt also zu jenem Team zurück, mit dem er einst seine beiden Weltmeistertitel feiern konnte.
Debüt von Mick Schumacher
2021 wird auch der Name Schumacher wieder im Formel 1-Klassement stehen. Mick Schumacher, Sohn des 7-fachen Weltmeisters Michael Schumacher, wird für den Rennstall HAAS in der kommenden Saison an den Start gehen. Schade findet Schreiner, dass Mick Schumacher in einem vermeintlich schwächeren Auto sitzen wird. Der 21-Jährige Mick Schumacher ist amtierender Formel 2-Champion und wird schon jetzt als kommender Ferrari-Star gehandelt. Haas arbeitet eng mit Ferrari zusammen. Gemeinsam mit seinem Talent und dem Know How von Ferrari könnte Mick Schumacher allerdings seinen Rennstall HAAS nach vorne bringen. Besonders gelitten unter der schlechten Performance der roten Renner aus Maranello hat Sebastian Vettel. 2020 war für ihn die wohl schwierigste Saison seiner Karriere. Lediglich in Istanbul schaffte er es aufs Stockerl. Auch der 4fach-Champion hat für 2021 eine neue Herausforderung gefunden. Er wechselt von Ferrari zu Aston Martin.
Aus dem Feuer befreit
Ganz knapp am Tod vorbeigeschrammt ist in diesem Jahr der Franzose Romain Grosjean. Und zwar beim Grand Prix von Bahrain Ende November. In der ersten Runde des Rennens durchstieß sein Bolide nach einer Kollision mit dem AlphaTauri von Daniil Kwjat bei einer Geschwindigkeit von etwa 220 km/h die Leitplanke. Das Auto wurde durch den Aufprall in zwei Teile gerissen und ging in Flammen auf. Grosjean befand sich für etwa 26 Sekunden im vorderen Teil des brennenden Wracks. Er erlitt hierbei Verbrennungen an beiden Händen. Grosjean konnte sich aus eigener Kraft befreien. Grosjean musste es gleichzeitig selbst auch schaffen, den Sicherheitsgurt öffnen. Schreiner sieht es als großen Glücksfall an, dass der Unfall zu Beginn des Rennens war. Die Rettungskräfte befanden sich noch unmittelbar hinter dem Starterfeld und konnten deshalb sofort eingreifen. Absoluter Schutzengel war aber kein Mensch, sondern das HALO-System, das vorwiegend den Kopf des Fahrers schützt. Es wurde 2018 eingeführt. Ohne HALO hätte Grosjean nicht überlebt, so Schreiner.
Insgesamt besteht die Rettungskette aus einem Bündel von Maßnahmen. Vor allem müssen die Ersthelfer, also die Streckenposten ständig für einen Einsatz bereits sein. Sie sind bestens ausgebildet und üben regelmäßig. Aber auch Grosjeans Fitness hat dazu beigetragen, dass er überleben konnte. Mittels Sensoren in der Renn-Bekleidung des Fahrers bekam die Box sofort biometrische Daten überliefert. Dazu kommt ein Beschleunigungsmesser im Ohr, kombiniert mit einer Highspeed-Kamera. Dank Beschleunigungsmesser und Highspeed-Kamera war es laut Schreiner bis jetzt zu 99 Prozent möglich, die Hintergründe von Unfällen zu erforschen.
WM-Start 2020 war erst im Juli
Die WM-Saison 2020 konnte aufgrund der Corona-Pandemie erst im Juli, also mit einigen Monaten Verspätung, gestartet werden. Auftakt war am Red Bull Ring in Spielberg. Franz Schreiner erstellte das Corona-Maßnahmen-Gutachten. Erst mit dem Gutachten war es den Organisatoren erlaubt, die Veranstaltung durchzuziehen. Anfang Juli sprachen wir bereits mit dem Linzer Gutachter. Besonders gut habe die Einteilung in sogenannte Blasen funktioniert. Lediglich in Ungarn lief nicht alles optimal. Insgesamt hätten sich die einzelnen Veranstalter aber sehr bemüht, um Ansteckungen zu verhindern. Vorwiegend war Schreiner für die Sicherheit abseits der Strecke am Red Bull Ring verantwortlich. Auch wenn keine Zuschauer zugelassen waren, gab es dennoch im Vorfeld viele Fragen, auf die Antworten gefunden werden mussten, erinnert sich der Zivilingenieur. Vorwiegend war Schreiner für die Sicherheit abseits der Strecke am Red Bull Ring verantwortlich. Diese Aufgabe sollte ja 2020 kein Problem sein, da keine Zuschauer zugelassen waren. Es gab dennoch im Vorfeld viele Fragen, auf die Antworten gefunden werden mussten, erinnert sich der Zivilingenieur.
Als Gutachter ist Schreiner Bindeglied zwischen den regionalen Behörden, die Gesetze und Regeln vorgeben und dem Renn-Veranstalter am Red Bull Ring. Der Linzer muss kontrollieren, ob die Vorgaben auch eingehalten werden. Vorwiegend ist der 76jährige für die Sicherheit abseits der Strecke verantwortlich. Auch wenn an beiden Rennwochenenden 2020 in Spielberg keine Zuschauer zugelassen sind, waren im Vorfeld der Rennen viele Fragen zu klären, erinnert sich der Gutachter.
Gravierende Unterschiede
Der gravierendste Unterschied war 2020 neben den leeren Rängen, dass alle am Ring Beschäftigten eine Maske tragen und einen 2-Meter-Abstand einhalten mussten. Dies sei besonders in den Boxen schwierig gewesen, erklärt Schreiner. Die Teams waren getrennt untergebracht, damit keine Cluster-Bildungen entstehen konnte. Logistisch wurde darauf geachtet, dass sämtliche Arbeitsschritte auf kürzestem Weg zu erledigen waren und somit auch die Kontakte auf ein Minimum reduziert wurden. Die Versorgung erfolgte über ein zentrales Catering. Am 24. Juni war die Genehmigung für beide Rennwochenenden am Red Bull Ring erteilt worden. Die Formel 1 baute 2020 auf jene Erkenntnisse auf, die in Spielberg gewonnen wurden. Hier wurde zwei Monate lang intensiv daran gearbeitet, um Rennen zu ermöglichen. Die Situation habe alle Beteiligten ins Schwitzen gebracht, so Schreiner. An einem gewöhnlichen Rennwochenende in Spielberg sorgt der Ziviltechniker Schreiner vorwiegend für die Sicherheit abseits der Rennstrecke. Es gibt Regeln, Verordnungen und Richtlinien, die überprüft werden.
Jochen Rindt – mit Enthusiasmus und Ausstrahlung zum Erfolg
Im August 1970, also vor 50 Jahren, wurde das erste Rennen am Österreichring ausgetragen. Es war eine Zeit, in der jährlich mehrere Todesopfer unter den Fahrern zu beklagen waren, weiß Schreiner. Dennoch scheuten die Piloten das Risiko nicht. Einer der jungen Wilden von damals war der Österreicher Jochen Rindt. Aufgrund seiner Ausstrahlung wurde er zum Idol einer ganzen Generation. Die Verbreitung der Formel 1 war früher bei weitem nicht so groß wie heute, weiß Schreiner, aber es entstand dennoch eine große Begeisterung für diesen Sport.
Im September 2020 jährte sich der tödliche Unfall von Jochen Rindt bereits zum 50. Mal. Er war der erste Österreicher in der Formel 1 und wurde posthum zum Weltmeister. Im Abschlusstraining zum Grand Prix von Italien in Monza, am 5. September 1970, brach bei seinem Lotus die vordere rechte Bremswelle und der Wagen prallte mit voller Geschwindigkeit in die Leitplanke. Rindts Tod erschütterte eine ganze Nation. Der Lotus-Pilot hatte den damals neuen 6-Punkt-Sicherheitsgurt nicht korrekt angelegt, da er befürchtete, bei einem Feuerunfall nicht rechtzeitig aus dem Auto kommen zu können. Sein Wagen brach in zwei Teile, deshalb ragten Rindts Beine ins Freie. Die Wucht des Aufpralls hat ihn gegen das Lenkrad geschleudert. Laut Aussagen von Ärzten starb der Rennfahrer an einer zerrissenen Luftröhre und einem eingedrückten Brustkorb.
„Unfälle lösen Lerneffekt aus“
Heute ist ein Formel 1 – Auto dank Kohlefaser-Cockpit derart stabil und die Sicherheitsmaßnahmen für die hohen Geschwindigkeiten so berechnet, dass der Fahrer unter normalen Bedingungen selbst schwerste Unfälle übersteht. Seit 1963 überprüft der Dachverband des Automobilsports, kurz FIA, die Sicherheit der Rennstrecken, allerdings nicht in dem Ausmaß von heute, erklärt Schreiner, der seit den späten 1950er Jahren den Motorsport verfolgt. Damals gab es noch keine Sicherheitsbestimmungen.
Laut Schreiner hätten Unfälle, wie jene von Jochen Rindt, Niki Lauda oder Ayrton Senna einen Lerneffekt ausgelöst. Bereits Ende der 1960er Jahre führte die FIA Überrollbügel und feuerfeste Rennanzüge ein. Nach dem Rindt-Unfall wurden die Cockpits ständig verstärkt und ein medizinischer Dienst an der Strecke vorgeschrieben. In den 1980er Jahren setzten dann Konstrukteure nach und nach Kohlefaser ein und auch die ersten Crashtests wurden gemacht. Datenschreiber waren dann die große Errungenschaft der 1990er Jahre. Nun gibt es auch Sensoren in Renn-Anzügen, mit denen während des Rennens der körperliche Zustand des Fahrers überwacht wird. Außerdem ist der Kopfschutz stetig verbessert worden. Als den Brasilianer Felipe Massa 2009 beim Qualifying zum GP von Ungarn eine Stahlfeder unmittelbar über dem linken Auge traf, wurde der Cockpitschutz HALO eingeführt, der verhindern soll, dass Gegenstände in das Cockpit hineinfliegen können.
Sicherheitsmaßnahmen am Red Bull Ring
1987 wurde der Grand Prix von Österreich aufgrund von mehreren Startkarambolagen aus dem Rennkalender gestrichen. Auf Basis der vielen Erkenntnisse, die im Laufe der Zeit gewonnen und umgesetzt wurden, ist der Red Bull Ring heute wieder eine sehr sichere Strecke. Eine große Hilfe bei der Weiterentwicklung von Sicherheitsmaßnahmen seien seit rund 30 Jahren Computersimulationen, so Schreiner. Die Simulationen geben vorwiegend Auskunft darüber, wie lange das Fahrzeug benötigt, bis es zum Stillstand kommt. Außerdem wird gemessen, wie groß die Aufprallgeschwindigkeit an den Schutzvorrichtungen, also den Barrieren ist. Heute dürfen die Piloten in den Boxen nur mehr 60 Km/h fahren. Schutz für Zuschauer bieten die FIA-Zäune, die nach oben hin mit einer Abschrägung versehen sind. Somit können Reifen, Autoteile oder ganze Autos nicht in den Zuschauer-Bereich fliegen. Es gibt auch eine Draht-Konstruktion welche die Räder mit dem Auto verbindet und sie somit am Wegfliegen hindert. Ein Herzstück modernster Technik ist in Spielberg das Race Control Center. Hier werden auf rund 20 Bildschirmen die Aufnahmen der zahlreichen Kameras entlang der Strecke gesichtet. Es ist möglich, den gesamten Kurs einzusehen. Nicht mehr wegzudenken sind auch die verpflichtende Anwesenheit von Hubschraubern, sowie ein Krankenhaus mit Not-Operationsmöglichkeit an Ort und Stelle. Verbesserungen im Bereich Sicherheit können nur im Kollektiv entschieden werden. In den diversen Gremien befinden sich sowohl Hersteller als auch Gutachter sowie Vertreter der Landesverbände.
Neben dem Sicherheitsdenken haben sich auch die Fahrertypen verändert: Aus den Gladiatoren von einst sind mehr und mehr „Taktik-Tüftler“ geworden. Wegen des minimierten Risikos und den neuen Fahrertypen verliere die Formel 1 an Attraktivität, so Schreiner. In den 1970er Jahren ist es dem britischen Manager Bernie Ecclestone gelungen, die Königsklasse des Motorsports an die Spitze zu bringen. Den Zuschauer-Schwund der letzten Jahre konnte Ecclestone allerdings nicht verhindern. Auch die aktuelle Vermarktungsfirma Liberty Media habe noch kein Rezept gegen die nachlassende Attraktivität gefunden.
„Formel E kann Formel 1 nicht überholen“
In der Formel E stehen noch weniger die Fahrer als Gladiatoren im Mittelpunkt, denn auch Fans können ins Renn-Geschehen eingreifen. Laut Schreiner nehme die elektronische Rennformel eine wichtige Rolle in der Weiterentwicklung von E-Autos ein. Der Zivilingenieur geht davon aus, dass in den nächsten Jahren, in punkto Attraktivität, keine Parallelformel die Formel 1 verdrängen kann. Das sehe man alleine schon an den Zuschauerzahlen. Welcher Antriebsstrang nun das Rennen in der Zukunft machen wird, ist noch lange nicht entschieden, schätzt Schreiner. Auch wenn Verbrennungsmotoren aufgrund des Umweltgedankens rückläufig sind, habe die Formel 1 noch immer ihre Berechtigung. War es zu Beginn der Formel 1 der reine Enthusiasmus, der Konstrukteure und Fahrer Kopf und Kragen riskieren ließ, so können heute durchwegs viele Erkenntnisse für den Personenkraftwagen genutzt werden.
Steht nun die Technik im Vordergrund der Formel 1, waren es noch bis in die 1990er Jahre eher die Fahrer, die von den Fans unter anderem aufgrund der körperlichen Anstrengung zu Helden wurden. Immer wieder kam es vor, dass sie völlig erschöpft vom Siegertreppchen stürzten. Ein aktueller Formel 1-Fahrer müsse dafür konzentrierter sein als damals, weil er mehr geistige Aufgaben zu bewältigen habe, erklärt Schreiner. Der Reiz am Piloten geht allerdings mehr und mehr verloren. Wenn heutige Fahrer aussteigen, sind sie nicht verschwitzt. Im Grunde sieht man es ihnen nicht an, dass sie eineinhalb Stunden unter vollster Anspannung ihre Runden gedreht haben.
Auch die Möglichkeiten, in die Formel 1 zu kommen, haben sich verändert. Heute ist hauptsächlich das Sponsor-Geld entscheidend, mit dem sich ein junges Talent von anderen abheben kann. Um wieder mehr Fahrern eine Chance zu geben, wurde von der FIA eine Stiftung gegründet. Bereits anfangs der 1990er Jahre, als Schreiners Söhne Christian und Michael im Kartsport mit späteren Formel 1-Größen wie Fernando Alonso oder Lewis Hamilton gefahren sind, standen sie vor der Entscheidung, ob sie in die Königsklasse des Motorsports kommen wollen. Sie entschieden sich für eine risiko-ärmere Berufs-Laufbahn, in der sie auch erfolgreich wurden.
Schreiner selbst war ab 1972 30 Jahre lang als Fahrer im Rennsport tätig. Seine Karriere begann in Italien, wo er studierte und danach Schritt für Schritt die Rennsport-Stufenleiter hinaufgestiegen war. Mitte der 1990er Jahre, kurz vor Beendigung seiner aktiven Rennfahrerlaufbahn, wurde Schreiner Fahrervertreter und fand dadurch den Weg zur FIA. Besonders engagierte sich Schreiner für die Sicherheit im Kartsport, denn hier legen bereits Kinder den Grundstein ihrer Karriere, betont der Zivilingenieur. Fasziniert am Motorsport hat den Linzer neben der Technik vor allem die Geschwindigkeit. Der Gefahr, der sich ein Motorsportler aussetzen muss, war sich Schreiner stets bewusst, sagt er.
(Peter Pohn)
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