Femizide in Österreich
Am Dienstag, 4. Juli wurde die Studie “Untersuchung Frauenmorde – eine quantitative und qualitative Analyse” vorgestellt. Das Institut für Konfliktforschung (IKF) der Universität Wien hat die polizeiliche Kriminalstatistik von 2010 bis 2020, sowie Justizakten von Frauenmorden zwischen 2016 bis 2020 untersucht. Die Studie gibt Aufschluss über die Verhältnisse zwischen Opfer und Täter und über die Motive der Männer. Brigitte Temel vom IKF war an der Studie beteiligt und spricht im Interview mit Aylin Yilmaz über Details der Studie und welche gesellschaftlichen Änderungen es bräuchte, um Femizide zu stoppen.
Der Unterschied zwischen einem Femizid und einem Frauenmord ist jener, das im ersteren Fall das Geschlecht eine entscheidende Rolle spielt. Femizid bedeutet, dass eine Frau aufgrund ihres Geschlechts von einem Mann getötet wird. Während bei einem Frauenmord sich die Frau „zur falschen Zeit am falschen Ort“ befindet und ihr Geschlecht keine Rolle spielt.
Die Studie hat alle Frauenmorde in Österreicht im gegeben Zeitraum untersucht und dann geschaut, welche davon als Femizide klassifiziert werden können. Dann wurde das Verhältnis zwischen den Frauen und Tätern untersucht, auch auf Gemeinsamkeiten bei den Taten. Daraus wurden dann Handlungsstrategien abgeleitet für die Prävention von Morden.
Temel betont, dass die Studie nicht beantworten kann, warum die Zahlen der Femizide nach oben geht, da nur mit den vorhandenen Daten gearbeitet werden kann. Auch kann man aus den Akten nicht mehr herauslesen, warum nur die wenigsten Frauen vor der Tat Hilfsangebote in Anspruch genommen haben oder nur selten die Polizei gerufen haben. Laut Temel müsse sich das Bild der Polizei verschieben, damit sie als Ressource gesehen würde, auf die Frauen zurückgreifen können wenn es zu Gewalt in der Beziehung kommt. In einem Fünftel der Fälle gab es ein Betretungsverbot für den Mann.
Faktoren, die Männer töten lassen
Dreiviertel der Männer waren in einem Beziehungsverhältnis mit dem Opfer, sie waren Partner oder Ex-Partner. “In einem Drittel dieser Fälle war auch die Trennung des Opfers vom Täter eben Anlass zum Femizid. Das heißt, hier spielen Sachen wie Kontrollverhalten eine ganz große Rolle. Patriarchales Denken spielt eine große Rolle.”, sagt Brigitte Temel.
Eine ganze Gruppe von Männern, die bis jetzt nicht im Fokus standen, sind ältere. Da gab es Fälle, wo sie die Frau umgebracht haben und danach Suizid begingen. Laut den Abschiedsbriefen, die wieder nur von Männern stammten, hat es sich um eine einvernehmliche Tat gehandelt. Hier haben laut Temel oft chronische Krankheiten, hohes Alter und Pflegebedürftigkeit eine Rolle gespielt. Bei diesen Morden spiele die gesellschaftliche Sicht auf Rollenverteilung eine Rolle, so Temel. Frauen wird mehrheitlich Fürsorgearbeit zugeschrieben und es wird von ihnen erwartet, sich um kranke Kinder, Partner*innen, Familienangehörige zu kümmern. Männer hingegen würden sich überfordert fühlen. Das Problem müsse man sich gesamtgesellschaftlich ansehen. Temel meint, dass es wichtig wäre, den Pflegeberuf endlich aufzuwerten und so mehr Angebote zu schaffen, damit Personen besser unterstützt werden können.
Es würde nichts bringen, sich diese Femizide nur ganz singulär anzuschauen. Man müsse sich gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen oder Strukturen anschauen ist sich Temel sicher.
Was halt alle Täter gemeinsam haben: Sie waren Männer. Das heißt, man muss auch generell über Männlichkeit sprechen. Es gibt, würde ich mal behaupten, sehr viele Frauen, die auch mit Pflegetätigkeiten überfordert sind. Die bringen aber trotzdem in der Regel die Pflegebedürftigen nicht um.
Temel geht auch auf den psychischen Zustand der Täter ein. Manche wurden laut Paragraph 21 verurteilt. Das bedeutet, sie waren unzurechnungsfähig zum Zeitpunkt der Tat. Diese Täter werden in forensisch-therapeutische Zentren untergebracht. Temel ist es äußerst wichtig zu betonen, dass sie keine Stereotype zu psychischen Krankheiten und Gewalttätigkeit produzieren will. Die meisten psychisch kranken Menschen sind nicht gewalttätig, darum müsse genau benannt werden, welche psychische Krankheiten die Täter hatten. Im Bereich der der Versorgung und Angebote für psychisch kranke Menschen sieht Temel noch eine große Versorgungslücke, gerade im ländlichen Bereich hätten Männer wenig Möglichkeiten, sich Hilfte zu holen. Dies haben sie laut Akten überhaupt kaum getan. Bei manchen Fällen dachte sich Brigitte Temel, dass diese leicht zu verhindern gewesen wären. Wenn die Täter sich Hilfe gesucht hätten, oder nur mal im Freund*innenkreis über ihre Probleme gesprochen hätten. Hier spielen wieder Geschlechterstereotype eine Rolle: Es darf nicht mehr als schwach angesehen werden, dass Männer sich Hilfe holen.
Brigitte Temel beschäftigt sich in ihrer Forschung mit dem gesellschaftlichen Umgang mit psychischen Krankheiten.
Sie arbeitet auch an Projekten zu politischer Bildungsarbeit. Sie hat das Projekt #girlscan gestartet, bei dem es um Arbeit zu Gewaltpräventation mit Mädchen und jungen Frauen geht. Ihnen wird gezeigt, wie sie Grenzen setzen können. Diese Auseinandersetzung wird dann künstlerisch verarbeitet und als Graffiti dargestellt. Das wäre auch eine Antwort auf die Frage „Was kann man tun?“ Solche niederschwelligen Präventionsangebote könnten schon helfen.
Wenn wir an unserern eigenen Alltag denken, wie oft sagen wir wirklich ganz klar und laut Stopp? Das sind Sachen, die man üben muss. Und zu verstehen, wo meine Grenzen sind. Wenn jetzt eine Person auf mich zukommt, ab wann fühlt sich das nicht mehr gut an? Wann möchte ich Stopp sagen?
Links:
Die vollständige Studie zum Nachlesen
#girlscan auf Instagram
Hilfe für Frauen:
Frauenhelpline: 0800 / 222 555
Gewaltschutzzentren: 0800 / 700 217
Für Männer:
Männerberatung: 0800 / 400 777
Moderation: Aylin Yilmaz
CC-Musik:
Terremoto – Of Your Love
Headerbild: Markus Winkler @pixabay
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