Ethische Aspekte zur Gentherapie

07.04.2025

Gentherapeutische Methoden haben in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung erfahren und ihren Weg in den klinischen Alltag gefunden. Diese Entwicklung macht eine Neupositionierung der Gentherapie und der damit verbundenen Diskussion über die ethischen Aspekte dieser Therapieform dringend notwendig. Werden genetische Manipulationen beim Menschen salonfähig und wird dabei sogar die Tür zum embryonalen Gentransfer geöffnet? Studierende der Medizinischen Universität Innsbruck haben sich im Rahmen der Lehrveranstaltung „Ethische Aspekte zur Gentherapie“ mit diesen Fragen beschäftigt und präsentieren in dieser Sendung ihre Arbeiten.

Lisa Bergmeister: Die erste zugelassene Gentherapie gegen Krebserkrankungen – Gendicine: Durchbruch in der Krebstherapie oder leeres Versprechen?

Claudia Mittelberger: Die Gentechnik – ein Bereich der in Zukunft einen immer größeren Platz einnehmen wird. Mit CRISPR-Cas9 gibt es bereits eine Technologie mit der man in der Medizin revolutionäre und bahnbrechende Ergebnisse erzielen könnte. Doch wie weit kann man gehen? Und zu welchem Preis?

Alexander Schützeneder: Wie können wir es schaffen, dass der am stärksten von Sichelzellkrankheit betroffene Kontinent Afrika gerechten Zugang zur lebensrettenden Gentherapie erhält? Ist die globale Zusammenarbeit schon stark genug?

Lorenz Lampl: Dürfen Menschen Tiere als Ersatzteillager verwenden

Martin Scherer: Züchtung von Superathleten durch Genmanipulation! Wird die Gentherapie zukünftig den Sport revolutionieren und wo ist die Grenze zwischen Innovation und Doping?

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Lisa Bergmeister: Die erste zugelassene Gentherapie gegen Krebserkrankungen – Gendicine: Durchbruch in der Krebstherapie oder leeres Versprechen?

Gendicine ist die weltweit erste Gentherapie, die zur Behandlung von Krebserkrankungen zugelassen wurde. Die Zulassung erfolgte 2003 in China, und bis heute bleibt diese Therapieoption ausschließlich dort erhältlich.

Die Therapie basiert auf einem Adenovirus, das gezielt Krebszellen infiziert und die genetische Information für das TP53-Gen in die Zellen einbringt. TP53 codiert für das p53Protein, das als „Wächter des Genoms“ bekannt ist. In Tumorzellen ist p53 häufig mutiert und dadurch funktionslos, was den Krebszellen einen Überlebensvorteil verschafft und sie resistenter gegenüber Chemo- und Strahlentherapie macht. Durch die Wiederherstellung von TP53 in den Krebszellen soll Gendicine deren Zelltod fördern und die Wirksamkeit konventioneller Krebstherapien steigern.

Bis 2013 wurden in China bereits etwa 30.000 Patienten behandelt, vor allem mit Plattenepithelkarzinomen im Kopf- und Halsbereich, Eierstockkrebs, Leberkrebs und Lungenkrebs. Die Ergebnisse erscheinen vielversprechend, mit einer angegebenen Ansprechrate von 90 %. Wissenschaftler stufen die Therapie als weitgehend sicher ein. Die häufigste Nebenwirkung war selbstlimitierendes Fieber, jedoch wurden auch schwerwiegendere Komplikationen wie Knochenmarkssuppression beobachtet.

Kritik gibt es insbesondere an der beschleunigten Zulassung: Gendicine erhielt seine Marktzulassung ohne abgeschlossene Phase-III-Studien, wie sie in vielen westlichen Ländern vorgeschrieben sind. Dies wirft Fragen zur Sicherheit und Wirksamkeit der Therapie auf. Wurden die Patienten ausreichend über potenzielle Risiken aufgeklärt? Konnten sie eine wirklich informierte Entscheidung treffen? Haben die behandelnden Ärzte tatsächlich im besten Interesse der Patienten gehandelt?

Bis heute gibt es keine eindeutigen Daten zur Lebensverlängerung oder Heilungsrate durch Gendicine. Zudem führt die exklusive Verfügbarkeit in China zu einer ungerechten Verteilung, da verzweifelte Patienten aus aller Welt dorthin reisen und sich einer extrem teuren Behandlung unterziehen – ohne gesicherte Beweise für deren tatsächliche Wirksamkeit. Besteht die Gefahr, dass hier lediglich falsche Hoffnungen geweckt werden?

Claudia Mittelberger: Die Gentechnik – ein Bereich der in Zukunft einen immer größeren Platz einnehmen wird. Mit CRISPR-Cas9 gibt es bereits eine Technologie mit der man in der Medizin revolutionäre und bahnbrechende Ergebnisse erzielen könnte. Doch wie weit kann man gehen? Und zu welchem Preis?

CRISPR-Cas9 hat im Bereich der Gentechnik zu fundamentalen Veränderungen geführt. Es ist eine Technologie, mit der man das Erbgut von Organismen gezielt verändern kann: und das relativ einfach, mit hoher Genauigkeit und im Verhältnis zu anderen Technologien mit geringen Kosten. Dabei geht es aber um so viele Bereiche, an die man anfangs gar nicht zu denken vermag. Man spricht von industrieller Verwendung, wie zum Beispiel Pestizid-resistente Insekten wieder darauf empfindlich zu machen, oder von militärischen Zwecken, um Soldaten eine höhere Toleranzgrenze gegenüber biologischen und chemischen Waffen zu verschaffen. Am umstrittensten ist jedoch die Benutzung von CRISPR-Cas9 zur Modifizierung von DNA des menschlichen Embryos. Die Rede ist von sogenannten “Designer Babys”. Man könnte Gene entfernen, die mit einer Krankheit in Verbindung stehen oder eben Eigenschaften, wie Haarfarbe, Augenfarbe, Größe und IQ bestimmen. Die bioethischen Fragen und Risiken, die CRISPR-Cas9 allerdings aufwirft sind enorm und dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Es geht um ökologische Imbalance, Patentrecht und Gesetzgebung ebenso wie um Sicherheit, Tierschutz, Würde der Tiere und Menschen und die Bedrohung deren Identität. Auch die Gleichberechtigung / soziale Ungleichheit ist ein Thema, über das gesprochen wird, da man glaubt, dass reiche Familien Zugang zu genannten Technologien haben könnten, während ärmeren dies nicht möglich wäre. Ein großer Faktor sind ebenso unvorhersehbare Langzeitfolgen, da man möglicherweise mit unerwünschten Effekten rechnen muss.

Alexander Schützeneder: Wie können wir es schaffen, dass der am stärksten von Sichelzellkrankheit betroffene Kontinent Afrika gerechten Zugang zur lebensrettenden Gentherapie erhält? Ist die globale Zusammenarbeit schon stark genug?

Weltweit kommen jährlich 515.000 Babys mit Sichelzellkrankheit zur Welt, wobei Afrika mit über 75% der Fälle mit Abstand am stärksten betroffen ist. Ohne Behandlung sterben 30% der Kinder in Afrika vor dem 5. Lebensjahr. Hydroxyurea, ein Pharmakon, ist nur in wenigen afrikanischen Ländern erhältlich und die monatlichen Kosten sind für die meisten unerschwinglich. Auch die Akzeptanz des Medikaments litt unter Bedenken bezüglich Nebenwirkungen. Die somatische Gentherapie wird als vielversprechende Heilungschance angesehen und verspricht den Betroffenen ein „neues Leben“, jedoch werden hier die Kosten auf über 1,5 Millionen USD pro Patient geschätzt. Da es in vielen afrikanischen Ländern keine Krankenversicherung gibt, sind sie besonders von externen Spenden abhängig. Die Kosten der Gentherapie umfassen nicht nur die Produktionskosten, sondern auch klinische Verfahren, wie Chemotherapie, Knochenmarktransplantation & Patientenüberwachung, welche oft nicht verfügbar sind. Dies wird bei Wohlhabenden zum sogenannten „genetischen Tourismus“ führen. Obendrein ist eine langfristige Nachsorge erforderlich, um Risiken und verzögerte Nebenwirkungen festzustellen. Eine weitere Herausforderung ist, dass viele afrikanische Länder noch keine nationalen Richtlinien haben, die menschliche Gentherapieversuche betreffen. Die hohen Erwartungen der Patienten in die Gentherapie führen zu einer Unterschätzung der tatsächlichen Risiken. Es ist daher extrem wichtig, dass der Optimismus der Wissenschaftler die Entscheidung der Patienten nicht beeinflusst. Die Aufklärung umfasst daher potenzielle Vorteile, Risiken, die Möglichkeit des Rücktritts & die Verfahren zur langfristigen Überwachung, gefolgt von der Beurteilung der Lese- und Verständnisfähigkeiten. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Gentherapiestudien in Afrika im nächsten Jahrzehnt verfügbar werden. In den USA werden Kinder aus diesen ausgeschlossen. In Afrika dagegen könnten die Kinder von einer Teilnahme stark profitieren. Zudem würde es Daten liefern, wie sich die Gentherapie im Vergleich zu anderen Behandlungsmöglichkeiten in afrikanischen Ländern schlägt. Ein Mann aus Nigeria nahm 2020 an einer SCD-Gentherapiestudie in den USA teil. Ein Jahr darauf hat er seine Lebensfreude zurückerlangt, Intensivstationen gehören der Vergangenheit an.

Lorenz Lampl: Dürfen Menschen Tiere als Ersatzteillager verwenden

Aufgrund des derzeitig in vielen industrialisierten Ländern herrschenden Mangels an Spenderorganen, stellt sich zunehmend die Frage, ob genetisch modifizierte Tiere als Spender in Frage kommen. Aufgrund der wachsenden Möglichkeiten der genetischen Modifizierung würde Xenotransplant dazu führen, dass weniger Patient:innen versterben, da sie nicht rechtzeitig ein Spendeorgan erhalten haben, Abstoßreaktion würden durch Verwendung körpereigener Zellen vermieden werden und aufwendige, kostenintensive Untersuchung zur Kompatibilität des Spenders und des Empfängers würden entfallen, da das Spenderorgan lediglich den genetischen Code des Empfängers enthält. Es gibt jedoch auch berechtigte Zweifel an diesen Überlegungen: die Transplantation von menschlichen Zellen in den Körper eines Tieres kann zu ungewollten Mutationen bekannter Virusstämme führen, welche zu potenziell tödlichen Pandemien führen. Es stellt sich auch die Frage, ob das menschliche Leben mehr Wert ist und wir dadurch berechtigt sind, Tiere zu modifizieren, züchten und töten, nur um unser eigenes Überleben zu sichern. Zuletzt ist der gesamten Debatte noch hinzuzufügen, dass wir mit dem Stand der heutigen Forschung noch nicht in der Lage sind, unbegrenzte Mengen an für Xenotransplantationen geeigneten Organen zu erschaffen, wodurch nur hochentwickelte Länder und in diesen im speziellen die reiche Oberschicht in der Lage ist, sich ein solches experimentelles Verfahren zu leisten, wodurch sich die weiterführende Frage ergibt, ist das Leben eines reichen Menschen aus einem hochentwickelten, resourcenreichen Land mehr Wert, als das Leben eines armen Menschen aus dem geografischen Süden.

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Thema:Medical science Radiomacher_in:Andreas Ritsch, FREIRAD - Freies Radio Innsbruck
Sprache: German
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