Ein Kind ist kein Kübel (Perlentaucher CLI)
Ist das nicht eine seltsame Vorstellung, ein Kind als eine Art leeres Gefäß zu begreifen, das man mit allerlei “Bildung” befüllen müsse, damit es als Erwachsener “richtig” funktioniert? Eine sehr einseitige Sichtweise. Denn wiewohl jedes Menschenkind im Verlauf seiner Entwicklung die unterschiedlichsten Künste erlernen kann, um später einmal gutes Essen zuzubereiten (um hier nur ein Beispiel zu nennen), so ist doch das Vollstopfen mit den unerfüllten Wünschen seiner Vorfahren gelinde gesagt grober Missbrauch. Ein Kind nimmt von Anfang an alles wahr, was da ist. Damit umzugehen lernt es ein Leben lang. Es irgendwie “abrichten” zu wollen, auf dass es willenlos “gehorcht”, das entlarvt vor allem die Absicht seiner “Erziehenden”, es “besitzen” zu wollen.
Hubert von Goisern erzählt von einer Fronleichnamsprozession auf dem Hallstätter See, zu der er mit seinen Kindern zusammen in einem Boot hinfuhr. Plötzlich wendete sich die Aufmerksamkeit der Leute auf den “berühmten” Musiker und es wurde ihm so unangenehm, dass er sich lieber wieder zurückgezogen hätte. Sein Sohn hingegen, der das Geschehen gern weiter beobachten wollte, schrie den Vater im Verlauf des nun folgenden Interessenskonflikts lauthals an: “Du wolltest doch immer berühmt sein, und jetzt ist dir das auch nicht recht!” Diese so gnadenlos offen zum Ausdruck gebrachte und, wie er sagt kompromisslose Wahrheit (die ihm zunächst einfach nur peinlich war), versteht Hubert von Goisern mittlerweile als wesentlichen Beitrag zu seiner eigenen Lebendigkeit. Als “Mitteilung”, die ihn zugleich auf dem Boden der Tatsachen hält und eben auch befreit, bereichert und zu neuen Einsichten inspiriert. Erlösende Selbsterkenntnis aus dem Mund eines Kindes kann die Welt verwandeln.
Und wenn es uns überraschend aus dem Schatten heraus anfällt und uns das vernichtende Urteil “nicht mit uns selbst überein zu stimmen” ins Gesicht schmeißt? Halten wir dem stand? Halten wir das aus? Wofür halten wir uns? Unsere Kinder (und damit sind auch unsere inneren gemeint) haben das Recht, zornig zu sein, verzweifelt, wütend und kompliziert. Und wir haben genau zwei Möglichkeiten: Kommen wir in Bewegung oder erstarren wir vor Angst. Entwickeln wir uns weiter oder verharren wir im erreichten Stillstand. Es gibt wirklich nur zwei Richtungen. Zum Leben – oder zum Tod. Solang wir aber leben, warum sollten wir dem, was unsere Zukunft ist, den Tod auferlegen, den wir selbst verdrängen, etwa weil wir ihn nicht wahrhaben wollen? Vielleicht ist ja “das vernichtende Urteil”, das da in uns steckt und das unsere Kinder unbefangener ausdrücken können als wir selbst, ein “vermeintlich vernichtendes” und wir sind verfangen in einem Gespinst aus falschen Vorstellungen vom Leben?
Und wenn diese Vorstellungen in uns zusammenbrechen, wenn “die Welt, wie wir sie kennen” plötzlich aufhört zu existieren – was dann? Können wir scheitern? Können wir danach, damit weiter leben? Arno Gruen übersetzt aus John Colliers 1947 erschienenem Buch Indians of the Americas: “Der Indianer hatte das Ziel, ein volles Leben – trotz materieller Not – zu haben – und dies aus einer tiefen Unsicherheit heraus, welche er in seiner Weisheit gar nicht aufgeben wollte. Diese Unsicherheit wohnte nicht im Inneren seiner Seele oder in seinem gesellschaftlichen Leben. Sie entstand durch Kriege, Stürme und Krankheiten. Seine Bräuche und der kreative Umgang halfen ihm, äußere Unsicherheit in einen Zustand nach innen gerichteter Sicherheit zu verwandeln. Die weißen Invasoren kamen, es gab Krieg und die Unsicherheiten der Indianer nahmen zu. Aber ihr Gleichmut brach nie zusammen.
Freunde … das Leben ist lebenswert
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