Die Familie (10) – Zusammenfassung: Familientragödie und Ehrenmord
Die Familie
Ort des Glücks,
Ort der unbezahlten Arbeit,
Ort des Psychoterrors,
Ort des Amoklaufs
Nach jedem Frauenmord ertönt der Ruf nach der starken Hand von Vater Staat. Der hätte die Frauen zu schützen. Die Politik greift diesen Ruf liebend gern auf und nutzt ihn zur Inszenierung von Tatkraft, da wird einiges angekündigt: Mehr Geld für Opferbetreuung, bessere Zusammenarbeit der Behörden untereinander und mit diesen Betreuungsorganisationen. Es fällt nicht weiter auf bzw. stört den tatkräftigen Eindruck offenbar nicht, dass von Schutz oder Verhinderung nicht die Rede sein kann: Diese Maßnahmen und deren Ankündigung unterstellen, dass weiterhin laufend Opfer anfallen werden. Auch der Ruf nach der Härte des Gesetzes oder einem neuen Delikt namens „Femizid“ hat mit Schutz oder Verhinderung nichts zu tun. Die Verurteilung eines Täters verhindert bekanntlich keine Verbrechen, sondern setzt sie voraus; die Strafe folgt eben auf die Untat. Insofern ist das Strafgesetzbuch eine ausführliche Liste von Gemeinheiten, Übergriffen und Schweinereien, die ständig stattfinden und die routinemäßig von den zuständigen Behörden abgearbeitet werden. Was die „Beziehungstaten“, „Familientragödien“, „Trennungstötungen“, „Ehrenmorde“ oder „Femizide“ betrifft, ist die Vorstellung einer Verhinderung durch anschließende Bestrafung noch absurder als bei anderen Verbrechen: Regelmäßig stellen sich die Täter selbst, oder sie rufen die Polizei an, oder sie lassen sich „widerstandslos festnehmen“. Die Typen wissen also, dass sie bestraft werden, sie werden durch „null Toleranz“ nicht abgeschreckt, sondern wirken öfter an ihrer rechtsförmlichen Behandlung mit. Sobald es um sie selbst geht, wissen die MachthaberInnen übrigens genau, dass Schutz vor und Verhinderung von Mord und Totschlag ganz anders geht: Mit „Personenschutz“ durch Leibwächter, Überwachung von Verdächtigen und einigem Aufwand an Polizei.
Was die Meinungsbildung durch die hohe Politik betrifft, so fällt die Frauenministerin vor allem durch ihre Anstrengungen zur Ehrenrettung einheimischer Täter auf: Sie folgt einem bekannten Spruch des Bundespräsidenten aus einem anderen Zusammenhang – „So sind wir nicht!“ –, und ergänzt das um die Sicherheit: Die anderen sind aber so. Daher will sie die Motive der Täter erforschen lassen, auch wenn sie diese schon gut kennt: „psychische Störungen, Alkohol- oder Drogenmissbrauch und … patriarchale Ehrkulturen, die wir in Österreich nicht haben wollen“. (Der Standard 04.05.2021) Wenn einer von uns „seine“ Frau umbringt, ist er gestört oder besoffen, die anderen hingegen, die sind einfach so! Oder diese anderen werden imitiert, wie von der Kollegin Edtstadler vor zwei Jahren herausgefunden – die ganze Debatte ist ohnehin über weite Strecken die Reprise einer älteren Aufführung. Edtstadler musste der Moderatorin damals erklären, „ob sie folgende Aussage tatsächlich ernst meint: ‘Man gewinnt den Eindruck, dass hier Nachahmungstäter am Wort (sic) sind, Menschen, die sich in dieser schrecklichen Wertehaltung wohl bestätigt fühlen. Offensichtlich ist die Hemmung, gegen Frauen vorzugehen, bis hin zum Mord, gesunken.’ Reiterer fragte nach: ‘Meinen Sie das ernst, dass ein Österreicher eine Frau ermordet, weil Flüchtlinge hier sind?’ Edtstadler meint es ernst. Sie schwurbelte über Erkenntnisse der Kriminologie und über den Werther-Effekt. Was hängenblieb: In Osterreich gibt es keine patriarchalen Strukturen, alles ist importiert.“ (Der Standard 21.01.2019). Der Vollständigkeit halber: Die ordinäre Denkfigur „Nachahmungstäter“ – europäischer Mann nimmt sich ein schlechtes Beispiel und lässt sich von kulturfremden Praktiken inspirieren – ist leicht zu durchschauen. Der Nachahmungstäter muss schon die Problemstellung teilen, wenn er dann angeblich jemanden aus einer anderen Kultur bloß imitiert: Wer nichts gegen seine Frau oder gegen die „Ex“ hat, warum sollte der sie umbringen? Schlicht und ergreifend, weil ein anderer es tut? Umgekehrt – wer sich schon bis zum Hass gegen die Frau oder gegen die „Ex“ vorgearbeitet hat, der braucht auch kein Vorbild. Es handelt sich um einen billigen, verlogenen Versuch, die hiesige Leitkultur vor ihren Konsequenzen in Schutz zu nehmen. Allein die öffentliche Einrichtung von „Frauenhäusern“ beweist, dass Gewalt gegen Frauen deren fester Bestandteil ist. „In Österreich müssen jährlich mehr als 3.000 Frauen und Kinder vor gewalttätigen Männern – meistens sind es die eigenen Ehemänner oder Lebensgefährten – in ein Frauenhaus fliehen.“ (Der Standard 21.01.2019). Insofern ist die Untersuchung der „ehrkulturellen“ ausländischen Motive das praktizierte nationalistische „Vorurteil“ gegenüber der „eigenen“ Kultur.
Die eine, die entscheidende Frage wird in der Debatte nicht einmal gestellt: Was läuft eigentlich in der Familie bzw. in modernen „Beziehungen“? Wieso gehört da Gewalt gar nicht selten dazu, und ab und an am Ende ein Mord? Wieso ist das einerseits quasi naturwüchsig unterstellt, und andererseits so uninteressant, dass bei der Erforschung der Täter und ihrer Motive die Familie und die „Beziehung“ gar nicht thematisiert werden? Kein Mann geht mit dem Vorsatz in den Ehestand, über kurz oder lang seine Frau umzubringen – oder doch?! Keine Frau antizipiert das, und macht dennoch mit, oder?! Was passiert da?
Die Familie, objektiv:
Reproduktion der Arbeitskraft durch „unbezahlte“ Arbeit
Soweit die Auskunft des Marxismus. Damit die Arbeitsleute jeden Tag und jede Woche wieder antreten können, müssen sie eigeninitiativ die Wiederherstellung ihrer Leistungsfähigkeit bewerkstelligen. Dabei machen sich die Resultate ihrer Berufstätigkeit als Schranken bemerkbar: Sie müssen mit dem verdienten Geld das Wohnen, die Heizung, Kleidung, Nahrung finanzieren – alles keineswegs Selbstverständlichkeiten –; sie müssen ihre Angelegenheiten in der ihnen verbliebenen Zeit hinkriegen; und sie müssen das mit der ihnen verbleibenden Lebenskraft nach einem stressigen Arbeitstag schaffen, der manchmal schon das „Abschalten“ zu einer Zusatzaufgabe macht, weil die Aufgaben und Konflikte in der Arbeit auch nachher die Psyche belasten. Das Leben außerhalb der Arbeit ist funktionale Reproduktion für die Arbeit, es ist geradezu deren Anhängsel. An der Fortsetzung dieser Notwendigkeiten des Arbeitslebens nach der Arbeit ändert sich auch nichts, wenn zwei Leute sich mögen und sich zusammentun, um sich das verbleibende Leben gemeinsam einzurichten und nach Kräften zu erleichtern, indem sie sich eine Arbeitsteilung organisieren und auch ihre Kinder betreuen.
Die Familie, subjektiv:
Das „Nest“ des Glücks zu zweit in einer kalten Welt
In der modernen bürgerlichen Kultur gilt die Familie bzw. das Privatleben nicht als das, was es ist, nämlich als die Fortsetzung des Reichs der Notwendigkeiten, die den Gelderwerb bestimmen, durch die Notwendigkeit, sich genau dafür zu reproduzieren. Die Privatsphäre gilt als das Gegenteil, nämlich als ein Reich der Freiheit, in dem jeder tun und lassen kann, was er will, wo jeder nach seiner Fasson selig werden kann, wo jeder lieben kann, wen er will und wie er will. Sich den Notwendigkeiten des Geldverdienens zu unterwerfen, das gilt als das bloße Mittel für diesen jenseits davon angesiedelten Zweck – nämlich die Selbstverwirklichung oder Selbstentfaltung des Individuums ganz nach eigenem Geschmack und Gusto. Familie und Privatheit soll nicht die Verlängerung der Erfordernisse des „Alltags“ sein, sondern sind geradezu als Gegenwelt zu Leistung und Konkurrenz gedacht, zumindest erträumt.
Damit erhält die Privatsphäre zumindest implizit – meist auch explizit und ausformuliert –, einen radikalen Auftrag: Das Reich der Freiheit, das muss es dann aber auch bringen, das muss den Ausgleich, mehr noch, die entscheidende Belohnung, die überkompensierende Rechtfertigung für all die Mühen liefern, die sich der bürgerliche Mensch in seiner ziemlich fremdbestimmten Arbeitsumgebung antut und gefallen lässt. Das beliebte Schlagwort von der Work-Life-Balance drückt auf seine Weise aus, dass das eigentliche Leben nach der Arbeit beginnt, und dass dieses Leben nach der Arbeit – zur Erinnerung: wird faktisch bestimmt von der Reproduktion für die Arbeit –, dafür zu sorgen hat, dass das ganze Leben insgesamt und überhaupt einen Sinn bekommt, und das Individuum zu einer Befriedigung und Erfüllung gelangt, die es ein gelungenes Leben bilanzieren lassen. Die Privatsphäre gilt in diesem Sinn als die Sphäre des Glücks.
Die Ausgestaltung des Glücks gerät – aller Freiheit, allem Bedürfnis nach Individualität und Originalität zum Trotz – ziemlich gleichförmig, um nicht zu sagen: standardisiert. Eine Frau / einen Mann an Land ziehen und behalten, ev. zur Familie mit Kindern weiterentwickeln, darin fasst sich das Glück normalerweise zusammen. Allerdings, endlich so jemanden „zu haben“, also jemanden, der „für einen da ist“, und damit „nicht mehr länger allein zu sein“, das bedeutet, der / die Auserwählte bekommt den oben erwähnten Auftrag, für das gelungene Leben zu sorgen, er / sie soll eben nicht eine bloße „Affäre“ oder „Liebschaft“ darstellen, was schließlich auch vorkommt. Die „Beziehung“ bzw. die Familie soll „dem Leben“ insgesamt und überhaupt eine entscheidende Wende geben: Aus dem Reich der Notwendigkeiten heraus, an dem sich nichts ändert – und hinein ins Glück, ins „happy End“, womit der triste Alltag und die anstrengende Suche nach dem oder der Geeigneten endlich ein „Ende“ hat. Das können naturgemäß nicht alle, für diesen Knochenjob braucht es dann schon den oder die „Richtige(n)“, die „Traumfrau“ oder „Mr. Märchenprinz“. Der weibliche Teil ist da gern die Trophäe, die den Erfolgsmenschen beglaubigt, oder mehr noch der Triumph selbst, der Beleg, es zu dem gebracht zu haben, was das Leben ausmacht. Wenn zwei Leute nun beschließen, sie seien diese „Richtigen“ füreinander, neigen sie unter Umständen zu sehr hartgesottenen Versprechungen:
„Ich verspreche, dich nicht zu verlassen, weder in guten noch in schlechten Tagen, weder in Reichtum noch in Armut, weder in Gesundheit noch in Krankheit, und dir die Treue zu halten, bis dass der Tod uns scheidet.“ (www.weddingstyle.de)
Bei regelmäßigen Umfragen, in denen die heranwachsende Jugend befragt wird, ob sie sich eh ordentlich einzufügen gedenkt, wird immer mit Befriedigung erhoben, dass Familie und Treue hoch im Kurs stehen, was sich u.U. in Gelöbnissen dieser Art niederschlägt. Da wird durch die je eigene Willigkeit ein gleichberechtigtes, wechselseitiges Niveau von Ansprüchen definiert, das sich gewaschen hat, und damit eine dementsprechende Fallhöhe für die kommenden Enttäuschungen. Das Gelöbnis selbst ist ebenso brutal ignorant wie totalitär – es sind immerhin gute und schlechte, arme und reiche, gesunde und kranke Phasen erwähnt. In der Tat, das Leben im Kapitalismus birgt einige sogenannte Wechselfälle, auch schon vor Pandemie und Lockdown – und dafür ist charakteristisch, dass die Eheleute in der Regel weder als Verursacher etwas dafür können, noch die passenden Mittel haben, um damit fertig zu werden, aber ausbaden sollen sie das alles miteinander, aneinander, und eventuell dann gegeneinander! Diese Versprechen sind die subjektive Fassung dessen, was im Eherecht staatlich fixiert ist, sie definieren die Familie als Not- und Elendsgemeinschaft, wo die Beteiligten immer füreinander da sind, auch wenn sie einander nicht viel nützen können. Als eine Art Superkleber in allen Lebenslagen, als Allheilmittel für jedes kleine Wehwehchen ebenso wie für die große Katastrophe!
Das ist keine individuelle Spinnerei, sondern das gesellschaftlich erwünschte, das staatlich geförderte, rechtlich vorgegebene und daher moralisch hochwertige Lebensbewältigungsprogramm. Das Gelöbnis, so individuell es neuerdings auch gestaltet sein mag, ist die freiwillige Unterwerfung unter das Eherecht, auch wenn das manche angeblich erst bei der Scheidung merken. Denn die vom Gesetz definierten Betreuungspflichten und die finanziellen Ansprüche gegeneinander, auch diejenigen der Kinder – die bleiben bekanntlich gültig und werden vom Staat eingetrieben, auch wenn die Lebensgemeinschaft längst verschlissen ist.
Allerdings: Wenn es den Beteiligten tatsächlich nur auf die Bewältigung von materiellen Notlagen ankäme, dann ist schwer nachvollziehbar, wie es zu den berühmten „Tragödien“ und zu Mord und Totschlag kommt. Denn dann würde eben die gemeinsam organisierte Aufgabenbewältigung ab und an bilanziert, als mehr oder weniger zufriedenstellend abgerechnet, und dann diese Zweckgemeinschaft umgestellt oder aufgelöst, je nachdem. Da wäre eine Trennung zwar mit einigem Aufwand verbunden, wie im Geschäftsleben üblich, oder bei der Auflösung einer Wohngemeinschaft, aber woher da das Bedürfnis nach Rache kommt, und warum dieser Schrei nach Gerechtigkeit so oft nach der Todesstrafe verlangt, das bleibt von daher völlig unerfindlich …
Aber genau diese Zweckgemeinschaft zur gemeinsamen Bewirtschaftung von Reproduktionsnotwendigkeiten, zur Wiederherstellung der Arbeitskraft und zur Produktion des Nachwuchses – die soll es gerade nicht sein. Darin soll die Lebensgemeinschaft nicht aufgehen. Die Beteiligten wollen das Reich der Notwendigkeit, im Wesentlichen bestehend aus den Mühen des Geldverdienens und des Bewährens im alltäglichen Lebenskampf, diese Tretmühle wollen sie gerade nicht verlängern und fortsetzen, sondern dazu wollen sie eine Gegenwelt einrichten, ein „Nest“ bauen, wie es so schön heißt: Es sich gemütlich machen in einem Refugium und darin alles Mögliche nachholen oder überhaupt erst erlangen, was außerhalb nicht zu haben ist. Im Rahmen der Leitkultur hat das Privatleben die Aufgabe, das Individuum für die Anstrengungen außerhalb zu entschädigen. Da steht deswegen viel mehr auf dem Spiel als eine Interessengemeinschaft.
So eine Bindung aus freien Stücken – von Zwangsheirat ist hier nicht die Rede – kontrastiert allerdings gewaltig mit anderen anerkannten Werten der Leitkultur. Denn wer, als Mann oder Frau, so ein Versprechen abgibt wie das eben gewürdigte, die oder der verzichtet auf ein gehöriges Stück an Selbstbestimmung. So eine umfassende Bindung einzugehen, und dann ganz individualistisch und frei eigener Wege gehen zu wollen – das beißt sich. Klar, eine Scheidung ist möglich, aber unter Bedingungen und mit fortdauernden Rechtsfolgen. Auf dieses Versprechen kann sich der Teil, der sich im Fall des Falles nicht trennen will, allemal berufen, explizit oder implizit, materiell oder moralisch. So ein Versprechen der Treue, das legitimiert allemal das wechselseitige Anspruchsdenken, das dann ab und an als „Besitzdenken“ interpretiert, und als „patriarchalisch“ und völlig unzeitgemäß abgetan wird; auch wenn es nicht wörtlich um „Besitz“ geht, denn auch die sich langsam einstimmenden künftigen „Beziehungstäter“, die wollen nicht die Sklaverei einführen und ihre Frau verkaufen. Sie pochen bloß auf die versprochene Treue, die sie sich als ihr Recht einbilden, und mit dieser Einbildung befinden sie sich im Mainstream der Leitkultur.
Eines ist damit auch gesetzt: Sollte es dem Teil, der sich nicht trennen will, gelingen, auf dem Versprechen zu bestehen, sei es durch moralische Erpressung oder durch materielle Abhängigkeit oder durch Gewalt, auch nachdem das Gegenüber es sich anders überlegt hat und sich trennen will – dann ist dieses Resultat dem Ansinnen adäquat. Durch den widerstrebenden Willen des trennungsbedürftigen Teils, der nur mehr widerwillig bleibt und notgedrungen weitermachen muss, ist das Verhältnis nun einmal zerrüttet. Da ist nichts mehr zu machen, und vor allem mit dem „wechselseitigen Genuss der Geschlechtseigenschaften“, nach einem klassischen Diktum von Kant, ist es aus und vorbei. Der Genuss dessen, der sein Recht bekommt oder behält, ist eben ein Genuss sui generis – er besteht darin, sein Recht bekommen zu haben, als Recht-Haber erfolgreich zu sein, jenseits früherer Gemeinsamkeiten und darauf basierender Harmonie. Das alles hat sich erledigt.
Insofern steht bei einem sich schrittweise entwickelnden Beziehungs- bzw. Trennungstäter weniger der tatsächliche Zustand einer längst kaputten Beziehung im Vordergrund, sondern die Treue selbst: Der Teil des Versprechens, der auf das nicht-verlassen-werden-dürfen abhebt. Denn mit der Familie scheitert – in seinem Verständnis und in dem der Leitkultur – nicht nur ein wichtiges Anliegen, sondern alles. Wenn „die Familie das wichtigste“ ist, dann macht sie eben „alles kaputt“, wenn sie geht oder gehen will, und ihm vielleicht sogar „die Kinder wegnimmt“. Die Vergötzung der Familie ist der Grund der „Familientragödie“, indem aus der Sicht des Täters „sein Leben zerstört“ wird …
„Es ist unfassbar, dass sich eine Zeitung traut, das Zitat eines Mannes abzudrucken: ‘Hätte sie mich die Kinder sehen lassen, hätte ich sie auch nicht umgebracht.’ Es rechtfertigt doch sonst nichts einen Mord, und so etwas schon?“ (Kurier 25.11.2019, Interview mit Schauspielerin Franziska Weisz)
Warum so etwas verschweigen? Es ist doch eine wichtige Information für Frauen in einer ähnlichen Situation – dass nämlich die verbalen Drohungen, die diese Typen in der Regel vorher auskotzen, bitterernst zu nehmen sind! Es ist eine wichtige Warnung, dass eine Frau, die sich trennen will, u.U. in großer Gefahr ist! Klar, der Täter hält sein Motiv – sie nimmt ihm die Familie! – für eine nachvollziehbare Rechtfertigung. Aber die Forderung nach Verschweigen drückt sich um die Auseinandersetzung, will der Kritik an der Vergötzung der Familie aus dem Weg gehen, plädiert lieber für Zensur. Die Frage wäre doch: Wofür um Gottes willen stehen da „Familie“ und „Kinder“? Mit welcher Bedeutung sind sie aufgeladen? Die Vorstellung, dass Kinder die „seinen“ sind, und ihm der Zugriff nicht verweigert werden darf – diese Vorstellung kommt doch nicht aus der Berichterstattung!
Es kann schon sein, dass der Verteidiger vor Gericht so wie sein Mandant mit einer „allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung“ argumentiert. Der § 76 des öst. StGB legt nämlich fest: „Wer sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lässt, einen anderen zu töten, ist mit Freiheitsstrafe von fünf bis zu zehn Jahren zu bestrafen.“ Dieser Paragraph heißt zwar nicht so, er ist aber der Sache nach die juristisch gültige Definition von Ehrenmord. Nicht jede Tötung ist bekanntlich Mord, das kommt auf das Motiv an. Die „allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung“ des § 76 besagt, dass da nicht ein sog. niedriger oder verwerflicher Beweggrund das Motiv der Tötung ist – dann wäre es Mord –, sondern dass da ein fanatischer Anhänger der guten Sitten und des Anstands „sich hinreißen lässt“ und zur allgemein begreiflichen Tat schreitet, weil er persönlich durch die Treulosigkeit seiner „Ex“ einem skandalösen Anschlag auf den allgemeinen Sittenkodex zum Opfer gefallen ist! Kein Verächter oder Gegner des Gesetzes ist da am Werk, sondern ein Fanatiker von Recht und Ordnung, der sich deswegen vielleicht auch nachher selbst stellt. Das ist gemeint mit der „allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung“, die einen Otto Normalmoralisten oder Otto Normalmoralverbraucher schon mal so heftig überkommt, dass er sich einfach nicht mehr beherrschen kann …