Die Ansprüche eines Volkskanzlers an sein geliebtes Volk

24.07.2024

Die Ansprüche eines Volkskanzlers an sein geliebtes Volk

Aus aktuellem Anlass wieder mal die Frage nach der Besonderheit der FPÖ, gewissermaßen ihrem Alleinstellungsmerkmal. Denn dass die FPÖ abweicht und abweichen will von dem, was sie „das System“ nennt, das bedarf keiner Entlarvung, das beteuert sie selbst unermüdlich. Was ist da dran, oder handelt es sich bloß um Rhetorik zwecks Wählerbetörung? Der bislang letzte Hinweis stammt wieder mal von der „Freiheitlichen Jugend“, die parteiintern geradezu den Auftrag hat, die Grenzen des „Sagbaren“ zu verschieben, und sich dafür ab und an eine wohlwollende Nicht-Distanzierung etablierter Funktionäre einhandelt. Im aktuellen Video:

„Du bist patriotisch während der EM. Ich auch. Aber wir von der Freiheitlichen Jugend, wir arbeiten das ganze Jahr für Österreich und nicht nur alle vier Jahre. Wir sorgen dafür, dass die österreichische Nationalmannschaft nicht aussieht wie die französische, in wenigen Jahren.“
https://www.derstandard.at/story/3000000227728/video-der-freiheitlichen-jugend-zum-nationalteam-sorgt-fuer-empoerung
„FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker räumte auf STANDARD-Nachfrage ein, dass die ‘gewählte Form der Kritik ungeschickt und unglücklich’ sei.“
https://www.derstandard.at/story/3000000227819/hafenecker-sieht-video-der-fpoe-jugend-zur-nationalelf-als-ungeschickt-und-ungluecklich?ref=rss

Gut, so sieht also eine freiheitliche „Kritik“ aus; eine „glückliche“ und „geschickte“ Formulierung derselben Position hat der Generalsekretär nicht nachgereicht – wozu auch. Es wäre nun verkehrt, den freiheitlichen Rotzbuben darauf hinzuweisen, er solle wohl weniger Videos drehen und mehr trainieren, um bald einmal samt Ariernachweis beim ÖFB und Teamchef Rangnick anzuklopfen – denn der freiheitlichen Jugend geht es doch nicht um die Leistung, sondern um die Frage, wer ist wirklich qualifiziert, das Österreichertum, den österreichischen Menschen, bei internationalen Wettkämpfen zu repräsentieren. Und da liegt für den FPÖ-Nachwuchs auf der Hand, dass jeder autochthone, in der Heimat fest verwurzelte Antikicker dafür besser geeignet ist als ein Fussballgott mit der verkehrten Hautfarbe. Einerseits. (Übrigens: Die Legislaturperiode dauert in Österreich fünf Jahre.)

Andererseits geht es bei den diversen „friedlichen Wettbewerben der Völker“ schon um den Erfolg. Bei solchen Gelegenheiten renommieren die Nationen schließlich mit den physischen Qualitäten des nationalen Menschenmaterials – eben im friedlichen Wettstreit mit anderen: „Wir“ haben die Höheren, die Schnelleren und die Weiteren, die Magersüchtigen wie die Anabolika-Monster, je nach Disziplin. Internationale Großereignisse wie Europameisterschaften oder Olympische Spiele sind bekanntlich wochenlange Trainingslager für die Zuschauer daheim. Die werden in der Sicht, die ihnen eh’ schon in Fleisch und Blut übergegangen ist, noch einmal gehörig gedrillt: Sie üben bis zum Abwinken die wichtigste Frage samt Antwort auf der großen weiten Welt – nämlich erstens, gehört ein Athlet oder eine Mannschaft zu „uns“, oder zu irgendwelchen „anderen“. Und zweitens, „wir“ zuhause haben schon ein natürliches Recht auf den Erfolg unserer Burschen und Madeln, vielleicht nicht immer und überall, aber bei ausgewählten Ereignissen und bestimmten Sportarten schon; „wir“ wollen schließlich endlich auch im Sommer so ausgelassen randalieren, wie „wir“ das von den naturbelassenen Völkern aus dem Balkan so herrlich demonstriert kriegen, was „wir“ aber ansonsten höchstens aus dem winterlichen „Kitzbühel“ kennen: „Immer wieder“ …

Falls der sportliche Erfolg ausbleibt, stellen sich dementsprechend sehr ernste Fragen, bzw. werden sie von den Sittenwächtern in den Medien gestellt: Waren die „anderen“ womöglich unfair, hat „uns“ der Schiedsrichter benachteiligt, oder, das wäre der schlimmste Fall – haben „unsere“ Aushängeschilder womöglich versagt, leistungsmäßig und von der Kampfmoral her, und dadurch Schande über „uns“ gebracht und uns die nationale Berauschung vermiest. Das übersetzen die publizistischen Erfolgsfanatiker in den staatstragenden Medien nicht selten in ebenso bescheuerte wie bierernste Problematisierungen der Lage der Nation insgesamt: Verweist das Versagen auf dem Sportplatz nicht auf ein Versagen der Verantwortlichen bei der moralischen Führung wie bei der sachlichen Ausstattung der nationalen Wettbewerbsfähigkeit, überhaupt? Aber wie dem auch im Anlassfall sei, um des schnöden Erfolges willen akzeptiert der normale Fan inzwischen auch Sportskanonen als Österreicher, denen er den Migrationshintergrund von weitem ansieht …

Mit der Waffe für die Heimat gegen Migranten

Die FPÖ sieht das eher nicht so. Warum? Ja weil gewisse Leute einfach nicht hierher gehören. Da werden Erinnerungen wach:

„Waldhäusl-Sager: Entsetzen nach rechtsextremer Aktion bei Schule. Der niederösterreichische Landesrat Gottfried Waldhäusl hatte eine Schulklasse vor laufenden Kameras rassistisch beleidigt. Nun verteilten die rechtsextremen Identitären dort Flugzettel mit Parolen vor der Schule. … Anlass für die massive Kritik an Waldhäusl sind Aussagen, die er am Dienstagabend in der Puls 4-Sendung ‘Pro und Contra’ getätigt hat. Eine Schülerin hatte auf den Migrationshintergrund von sich und Personen aus ihrer Klasse verwiesen und betont, dass sie nicht in Wien wären, wenn Waldhäusls Vorstellungen zum Thema Asyl umgesetzt worden wären. Die Antwort des Freiheitlichen: ‘Auf die Frage, wenn das schon geschehen wäre, dass hier sehr viele nicht in der Schule wären: Dann wäre Wien noch Wien.‘“
https://www.tt.com/artikel/30845084/waldhaeusl-sager-entsetzen-nach-rechtsextremer-aktion-bei-schule

Gemeint ist, dann wäre „Wien“ – wer immer das sein mag – besser dran. Nun, Waldhäusl hat damals nachgelegt, und die Ansage eines – kommenden – Bürgerkriegs gegen Migranten wurde bemerkenswerterweise nicht als skandalös empfunden:

„Nach dem Wirbel … betonte er am Donnerstag: ‘Ich stehe zu 100 Prozent zu dieser Aussage, denn die Wahrheit ist verträglich.’ Wenn die FPÖ-Asylpolitik vor 20 bis 30 Jahren umgesetzt worden wäre, ‘wäre Wien noch Wien’. Weiters äußerte er im Gespräch mit der APA erneut die ‘Angst, dass meine Enkelkinder einmal unsere Heimat Österreich mit der Waffe verteidigen müssen’. Waldhäusl sprach sich gegen ‘illegale Massenzuwanderung’ etwa aus der Türkei, aus Syrien und Afghanistan aus. ‘Wir werden um unsere Heimat kämpfen müssen, wenn wir dem nicht Einhalt gebieten’, meinte der Freiheitliche. Er sprach von einem ‘Anschlag auf unser christliches Abendland’. Hätte die FPÖ unter Jörg Haider ihre Asylpolitik tatsächlich umgesetzt, ‘hätten wir viele Straftaten im Ausländerbereich nicht’ und einen geringeren Anteil an ausländischen Häftlingen in den Strafanstalten.“ (Standard 02.02.2023)

Die völkische Weltanschauung

Für diesen eindeutigen Befund braucht der routinierte völkische Beobachter keine nähere Erhebung, ob denn die Eltern der angesprochenen Schüler tatsächlich „illegal“ nach Österreich eingereist wären, auch keine Informationen über allfällige „Straftaten“ aus diesem Personenkreis, und auch nicht über allfällige religiöse Bekenntnisse; er weiß es einfach, denn es ist „die Wahrheit“ – völkisch gesehen: Zuwanderer sind nun einmal kriminelle Sozialschädlinge und potentielle Feinde, und zwar völlig unabhängig davon, wie die angesprochenen Individuen beieinander sind, was sie in Österreich wollen und wie sie sich betätigen. Mit ihrer Herkunft ist alles wesentliche entschieden, und das gilt auch für die Kinder – ja, die gute alte Sippenhaftung ist da am Werk. Zuwanderer sind feindliche Eroberer, sogar wenn sie aufgrund einer volksfeindlichen Politik legal nach Österreich gekommen sind, und nach Meinung des völkischen Prognostikers sind spätestens seine Enkel gezwungen, den bewaffneten Kampf aufzunehmen, wenn Zuwanderung – die per se illegal ist, unabhängig von der Rechtslage – weiter geht. In einer Publikation, in der man solche Auskünfte nicht unbedingt vermutet hätte, nämlich im österreichischen Verfassungsschutzbericht des Jahres 2018, findet sich dazu folgender Hinweis:

„Von Teilen rechtsextremer Szenen, Bewegungen und Gruppierungen wird u.a. die Position vertreten, dass das ‘eigene Volk’ zu keinen Verbrechen fähig ist. Dagegen werden Gewalt- oder Sexualverbrechen, die beispielsweise von Migranten oder Personen mit Asylstatus begangen werden, in einschlägigen (Online-)Publikationen bzw. in sozialen Medien soweit instrumentalisiert, dass strafrechtsrelevante Tathandlungen ausnahmslos von diesen verübt werden können.“ (BM für Inneres, Verfassungsschutzbericht 2018. Wien 2019, S. 31)

Wie kommen diese rechtsextremen Szenen, Bewegungen und Gruppierungen bloß auf ihre Idee? Die ist im rassistischen Weltbild eingeschlossen: Aus der Zugehörigkeit zur Heimat über ein paar Generationen folgt – zwar nur im Rassenwahn, dort aber konsequent – dass die homogene Volksgemeinschaft aus Individuen besteht, die einander kulturell gleichen und die deswegen mental und moralisch verbunden sind, was vielleicht sogar optisch an der Hautfarbe und am Gewand kenntlich sein mag, die daher jedenfalls „alle an einem Strang ziehend“ eine „Gemeinschaft“ bilden. Diese Vorstellung passt zwar nicht wirklich gut zur kapitalistischen Konkurrenz- oder „Ellenbogengesellschaft“, sie besteht aber auf dem Imperativ, dass die Volksgenossen von ihrer Identität her gar nicht anders können, als zwangsläufig und ganz generell ein umfassendes positives soziales Miteinander auszuleben – das ist das Dogma von der sozialen, harmonischen Volksgemeinschaft, auch ohne „Klassenspaltung“, übrigens. Übergriffe, Gemeinheiten, Vergewaltigungen bis zu Mord und Totschlag müssen daher irgendwie „von außen“ kommen; aus diesem Weltbild kommt sie nämlich, die „Ausländerkriminalität“. Eine damalige Staatssekretärin im Innenministerium hat in diesem Sinn mit der rassistischen Konstruktion des „Nachahmungstäters“ assistiert – es ging angesichts einer Häufung einschlägiger Ereignisse um die nicht zu leugnende Tatsache, dass waschechte österreichische (Ehe)Männer ihre Partnerinnen umbringen. Gemeint war, mit „Nachahmungstäter“: Brave Einheimische bringen „ihre“ Frauen um, weil sie sich ein schlechtes, nämlich „kulturfremdes“ Beispiel nehmen – das rassistische Weltbild ist wasserdicht.

Das Szenario, in dem Waldhäusl seine Enkel zur Waffe greifen sieht, ist keine originelle Kreation des damaligen Landesrates oder der Identitären oder freiheitlicher Jugendlicher, die vom aktuellen FPÖ-Chef bei mancher Gelegenheit ausdrücklich gelobt werden. Mr. Branton Tarrant, der als Terrorist in Christchurch 51 wehrlose Leute umbrachte; der mutmaßliche Terrorist Franco A., der sich eine gefakte Identität als Flüchtling beschaffte und am Wiener Flughafen beim Ausheben einer Waffe erwischt wurde; der oder die Mörder des deutschen Politikers Lübcke; die Terroristen des „National-sozialistischen Untergrunds“; Teile der AfD; viele andere, darunter signifikant Mitglieder bewaffneter Staatsorgane; auch Terrorzellen, die Todeslisten anlegen – sie alle verbindet ein und dasselbe „Narrativ“, wie das heutzutage heißt, nämlich die Erzählung vom „großen Austausch“ der Bevölkerung, und vom deswegen anstehenden „Bürgerkrieg“. Der Terrorist von Halle – dessen Angriff auf die dortige Synagoge gescheitert ist; und der ersatzweise zwei Zufallsopfer getötet hat: „‘Nach 2015 habe ich entschieden, nichts mehr für diese Gesellschaft zu tun, die mich mit Muslimen und Schwarzen ersetzt’, sagte er beim Prozessauftakt …“ (Kurier 22.7.2020) Dieser „Austausch“ wäre bekanntlich gerade noch durch einen anderen „Austausch“ zu verhindern, nämlich durch „Remigration“, also durch die Deportation von Migranten.

Zum rechten Bürgerkrieg noch ein Literaturhinweis:
https://www.magazin-auswege.de/data/2019/09/Bernhardt_El-Paso_Gewalt_die_einer_Liebe_entspringt.pdf

Die Wertvollen und die Minderwertigen

Da sind wesentliche weltanschauliche Fortschritte zu verzeichnen. Ein Jörg Haider hat es vor mittlerweile über 30 Jahren noch für notwendig gehalten, die Minderwertigkeit von Migranten ausführlich zu erläutern, inzwischen ist der Standpunkt wohl vielerorts ein fixer Bestandteil des Gefühlslebens, des nationalen „Wir-Gefühls“, das sich u.a. bei sportlichen Höhepunkten austobt.

„Und man muss ja auch ganz ehrlich sagen, es hat sich ja auch als richtig herausgestellt, dass es nicht immer die Besten sind, die zuerst von zu Hause weglaufen. Dadurch haben wir eine riesige Kriminalität in diesen Einwanderungsbereichen bekommen. … Es gilt letztlich das sicherzustellen, was man auch unseren Eltern und Großeltern im Jahre 1945 nach dem Krieg gesagt hat. Als die vor dem Trümmerhaufen dieser Republik gestanden sind, hat man ihnen auch gesagt: Nicht abhauen von Österreich heißt die Devise, sondern die Ärmel aufkrempeln, fleißig arbeiten und dieses Land aufbauen. Und sie haben dieses Österreich hervorragend aufgebaut, aber das gilt auch für die Osteuropäer: Nicht abhauen von daheim, sondern selbst fest arbeiten und das Land aufbauen, und die reichen Länder werden euch ein bisschen behilflich sein.“ (Jörg Haider, Wahlkampfrede in St. Filippen am 24.9.1990, zitiert nach Goldmann / Krall / Ottomeyer, Jörg Haider und sein Publikum. Kla-genfurt/Celovec 1992, S. 139)

So hat sich der Altmeister anlässlich der Migrationswelle nach der Auflösung des Ostblocks verbreitet. Die damaligen Minderwertigen stammten durch die Bank aus dem christlichen osteuropäischen Abendland, damals war der Islam noch kein Thema. Dem kann man immerhin entnehmen, dass die nationsbildenden Momente wie die Sprache oder auch die Religion oder auch die Hautfarbe als Index der Einstellung zur Nation relevant sind: Die Wertvollen zeichnen sich praktisch dadurch aus, dass sie alles mitmachen, sich alles gefallen lassen, im Krieg wie im Frieden. Sie sind die bedingungslos Zuverlässigen, die fraglos für alles zu Verfügung stehen, was das Land – das ihnen als „ihr“ Land gilt – gerade verlangt. Unverwüstlich jedenfalls, sogar wenn das Land, dem sie ergeben sind, eine kriegsbedingte Transsubstantiation durchmacht, vom faschistischen Dritten deutschen Reich zur demokratischen Zweiten österreichischen Republik. Die Wertvollen fragen nicht, was ihr Land für sie tun kann und was sie davon haben, sie tun alles für ihr Land, sie sind unverbrüchlich dabei und bis zum Exzess dafür. Sie sind treu – in schlechten Tagen, in Armut und Krankheit, bis dass der Tod usw. Darauf dürfen die „Eltern und Großeltern“ dann richtig stolz sein, weil sie tun, was „man ihnen gesagt hat“, nach Meinung der Machthaber, die ihnen sagen, was sie in Krieg und Frieden, in Faschismus und Demokratie alles zu tun haben.

Von zu Hause wegzugehen und im Ausland kriminell zu werden, das ist komplementär eine schlüssige, naheliegende Laufbahn; aus völkischer Sicht. Nicht etwa, weil öfter der legale Erwerb in Österreich diskriminiert oder verboten wird – sondern weil schon das Fortgehen den Charakter demaskiert. Wer an sich denkt, wem seine Interessen wichtiger sind als das Vaterland, der hat sich quasi als „Deserteur“ betätigt. Ein wirklich anständiger Mensch geht mit und für die Heimat durch dick und dünn, macht unbeirrbar alle guten und schlechten Zeiten mit, wie die Politik sie ihm auferlegt. Wer hingegen die Frage nach seinem Nutzen oder Schaden stellt, wer berechnend für den persönlichen Vorteil ins Ausland unterwegs ist, der wird vermutlich in Österreich zum Verbrecher, denn alle ökonomischen Mechanismen und Momente der Lohnarbeit für Kapital, so wie nicht nur Haider sie geschätzt hat, die zeitigen nach Art eines Sachzwangs das Ergebnis, nicht für sich zu schuften, sondern für Kapital und Staat, um „das Land aufzubauen“. Und der Respekt vor dem Gesetz kommt in diesem Weltbild aus der Heimatliebe, ein eher kärgliches Leben lässt sich der Patriot naturgemäß einleuchten, weil er so seinem Land dient. Wer diese praktische Selbstlosigkeit gegenüber der Heimat nicht aufbringt, weil er an sich denkt, wird auch im Ausland mit dieser Form der Arbeit Probleme kriegen, weil er damit garantiert nicht reich und glücklich wird, er ist daher ein potenzieller Krimineller.

„Wir sind das Volk!

Die Ansprüche an das Volk, die Haider damals formuliert hat, die gibt es übrigens auch als Echo oder gleich als Forderung von „unten“, sie lautet: Wir sind das Volk! Das ist im Klartext die Aufforderung an die Machthaber: „Macht mit uns alles, was notwendig ist, für die Nation, aber eben mit uns, und nicht mit den Fremden!“

Woran ein Volkskanzler diese einzig wahre Gesinnung der Volksgenossen festmacht – Hautfarbe, Religion, Abstammung … – das bleibt ihm überlassen. Die österreichische Staatsbürgerschaft schützt übrigens nicht unbedingt vor dem obrigkeitlichen Befund, nicht hierher zu gehören. Was Anfang des Jahres auf einer zum Skandal aufgeblasenen Konferenz in Potsdam als „Remigration“ nur diskutiert wurde, dazu gab es in Österreich, unter der vorigen türkis-blauen Koalition, einen Probelauf.

Ergänzung: Once upon a time in Österreich

Die damalige österreichische Regierung – zur Erinnerung: türkis-blau, ÖVP und FPÖ, Kurz und Kickl – war 2017/2018 unzufrieden mit ihrem Volk, und wollte sich ein neues zurechtschustern, nach rassischen Kriterien, mit dem Entzug der Staatsbürgerschaft als Vorbedingung zur „Remigration“: Die (türkischen) Minderwertigen raus, die (südtiroler) Wertvollen herein. So war er angedacht, so wurde er ein Stück weit umgesetzt, der gewünschte Austausch. Gescheitert, zumindest als ganz großer Wurf, ist das Vorhaben am österreichischen Verfassungsgerichtshof und an Italien. Das „Narrativ“, durch ordentliche Integration und sorgfältige Aneignung hiesiger Werte oder gar einer „Leitkultur“ könnten sich Ausländer die Existenzberechtigung in Österreich schon verdienen, hat sich wieder mal als erstunken und erlogen erwiesen – was in solchen Fällen zählt, ist die Rechtslage, und die kümmert sich nicht um die individuellen Anliegen, Interessen, Verhaltensweisen, politische Einstellungen etc., da wird der Mensch gnadenlos unter die für sein jeweiliges Kollektiv gültige Judikatur subsumiert. Woran man ebenfalls erinnert wird, das ist die Abneigung von Populisten aller Couleur gegen die Gewaltentrennung – dass also ein Verfassungsgericht einer Regierung gewisse Maßnahmen untersagt, und in der Position auch einem „Volkskanzler“ in die Parade fahren kann.

Der Anlass bzw. Vorwand dieses „Austauschs“ war ein Verfassungsreferendum in der Türkei im Jahr 2017 über die Kompetenzen des Staatspräsidenten; dieses hat, wie so oft bei türkischen Abstimmungen, ein grundverkehrtes Ergebnis gebracht, aus „unserer“ europäischer Sicht jedenfalls. Die wahlberechtigten Türken in Österreich haben ebenfalls grundverkehrt abgestimmt, aber „unsere“ Türken haben zu wählen, wie „wir“ wollen, und falls nicht, sind sie dran! Nachdem sich das individuelle Wahlverhalten nicht kontrollieren lässt, sind mit dem Ergebnis die Türken in Österreich generell in der Ziehung. Staatsbürgerschaft hin oder her, wer falsch votet, muss wohl illegal hier sein; der Verdacht gegen alle erreichbaren Betroffenen steht:

„Die Überprüfung illegaler österreichisch-türkischer Doppelstaatsbürgerschaften wird in Tirol nun zu einer ersten Aberkennung führen. In den nächsten Tagen soll der erste Aberkennungsbescheid ausgefertigt werden, bestätigte das Land einen entsprechenden Bericht der ‘Tiroler Tageszeitung’. Das Land möchte ein Musterverfahren durchführen, um Rechtssicherheit zu schaffen. Der Fall soll bis zu den Höchstgerichten durchgefochten werden, hieß es. Der Bescheid kann zunächst beim Landesverwaltungsgericht und danach beim Verwaltungsgerichtshof bekämpft werden. … In dem aktuellen Fall soll es zwar deutliche Hinweise beziehungsweise Indizien auf eine illegale Doppelstaatsbürgerschaft geben, ein endgültiger Beweis fehle aber, berichtete die ‘TT’. Denn die türkischen Behörden würden jegliche Auskunft verweigern. Ob die vorliegenden Hinweise und Indizien für eine Aberkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft ausreichen, müssen letztendlich die Gerichte entscheiden. Nach dem türkischen Verfassungsreferendum im März hatte die FPÖ einen Datenstick mit rund 100.000 Namen von Türken in Österreich an das Innenministerium übermittelt. Anfang August sprach Parteichef Heinz-Christian Strache dann von 20.000 ‘Scheinstaatsbürgern’, die wegen der Teilnahme an dem Referendum die österreichische Staatsbürgerschaft verlieren müssten. In Tirol gibt es nach Sichtung der vom Innenministerium übermittelten Daten 1.838 Verdachtsfälle.“ (Standard 23.11.2017, https://www.derstandard.at/story/2000068333166/erste-tuerkisch-oesterreichische-doppelstaatsbuergerschaft-in-tirol-aberkannt)

Die zuständigen Behörden begannen also mit ihren Amtshandlungen, das hat vielen Betroffenen schlaflose Nächte und etliche Anwaltskosten beschert, bis das Verfassungsgericht die Daten der FPÖ – aus dubioser Quelle unklarer Herkunft – als unzureichende Grundlage für Ausbürgerungsverfahren befand. Wie um den gegen Türken unermüdlich wiederholten Stehsatz – In Österreich ist die doppelte Staatsbürgerschaft rechtlich nicht möglich! – zu dementieren, hat dieselbe Regierung nachgelegt, aber der staatsrechtlich anvisierte Import von Italienern war deren Vaterland gar nicht recht:

„Ein Zeitungsbericht über den Gesetzesentwurf zur Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler hat für Verwirrung gesorgt. … Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft würden ‘frühestens 2019/2020 gegeben sein’“… Ein Sprecher des Innenministeriums „betonte hingegen erneut, dass Wien keine Schritte ohne die Zustimmung Roms und Bozens setzen wird. … Die italienische Regierung reagierte empört auf den Bericht.“ (Standard 23.07.2018, https://www.derstandard.at/story/2000083992394/doppelstaatsbuergerschaft-regierung-dementiert-gesetzesentwurf)

Komisch? Unter türkis-blau wird 2017/2018 so ein „großer Austausch“ ein paar Monate lang angegangen, und alles ist ruhig auf Österreichs Straßen. Anfang 2024 gibt es kurzzeitig Aufregung in Deutschland, und schon wird auch in der Ostmark aus Demokratieverliebtheit das Bedürfnis nach einem geistigen Anschluss ans Altreich auf die Straße getragen – weswegen nochmal?

Dazu der link: https://cba.media/651055

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