Der „Watzmann“-Kult 1972-2022

28.09.2022

„Groß und mächtig, schicksalsträchtig, um seinen Gipfel ragen Nebelschwaden.“ Bis November 2022 wird Wolfgang Ambros diese Zeilen aus dem Lied „Der Berg“ noch einmal durch Konzertsäle sowie Veranstaltungszentren in Österreich und Deutschland schallen lassen. „Am 13. November in Graz wird es aber zu 100 Prozent das letzte Mal sein, dass ich dabei bin“, sagt Wolfgang Ambros im Gespräch mit den Salzburger Nachrichten. Im Bunde mit Joesi Prokopetz als Vater und Knecht, Christoph Fälbl als Bub und Klaus Eberhartinger als Gailtalerin, der „leibhaftigen Sünd“, spielt der Sänger in der gewohnten Besetzung. „Wenn alle dabei sind, machen wir es noch einmal, hat Wolfgang im Vorfeld der Tour gesagt“, erklärt Manager Peter Fröstl.

Alles begann als Hörspiel

Das sogenannte Rustical „Der Watzmann ruft“ ist eine Mischung aus Bauernstück und Musical. Erzählt wird die Geschichte eines Bauernbuben, der den Watzmann erklimmen will, weil ihn die Gailtalerin dazu überredet. Die Warnungen seines Vaters ignoriert er und stürzt schlussendlich in den Tod. Laut Theaterwissenschafter Herbert Eigner-Kobenz stehe das Rustical „Der Watzmann ruft“ in der österreichischen Popular-Musikgeschichte wie der Berg selbst als Monolith da. Schließlich fasse es zusammen, was viele Song-Texte Anfang der 1970er Jahre, als der „Watzmann“ entstand, ausmachen, nämlich die Rebellion: „Ein Bub lehnt sich gegen seinen Vater auf, folgt geisterhaften, letzten Endes tödlichen Rufen.“ Da stecke viel Identifikationspotential drinnen. „Auch in den Traditionen, in dem Ewiggestrigen, das parodiert wird: Vermeintlich rückständiges Provinzleben, alpenländische Klischees, Parodien auf Heimatfilme und Heimatkitsch.“ Als Bühnenstück ist das Rustical eine unterhaltsame Mischung aus rockigen Liedern, witzigen Dialogen und Tanzeinlagen. Im Laufe der Zeit habe das Stück weite Kreise gezogen und wir haben es immer weiterentwickelt“, erklärt Ambros.

Ambros und Prokopetz haben  bereits 1971 mit dem Hit „Da Hofa“ aufgezeigt. 1972 folgt das düstere Debüt-Album „Alles andere zählt ned mehr…“.Dazwischen gibt es aber immer wieder Zeit zum Blödeln. Gemeinsam mit Manfred O. Tauchen kreieren sie das Rustical „Der Watzmann ruft“. Entstanden sei die Idee zum „Watzmann“ aus einer Laune heraus, erinnert sich Prokopetz: „Wir haben damals oft Filme von Luis Trenker gesehen und danach den Dialekt, der in den Dialogen gesprochen wurde, karikiert, weil er uns übertrieben und gekünstelt vorkam. Ebenso die Darstellung der heilen Welt in Heimatfilmen.“ 1972 entsteht eine Ur-Fassung des „Watzmann“. Es handelt sich dabei um eine 15minütige Hörspielfassung, die für die Ö1-Reihe „Beispiele“ produziert wird.

Das Angebot von Sendungsleiter Alfred Treiber sei natürlich sofort angenommen worden, erinnert sich Ambros: „Damals ist es ja sehr teuer gewesen, Songs aufnehmen zu können. Da hat man jede Chance genutzt.“ Alfred Treiber und sein Team haben Wolfgang Ambros Karriere von Anfang an mitverfolgt: „Sie waren jung, unverbraucht aber vor allem  hatten sie keine Starallüren und eine Riesenhetz bei der Arbeit“, erklärt Treiber.

Nach der Ausstrahlung des Hörspiels wird das Werk in der Arena 72, der damaligen Jugend-Alternativspielstätte der Wiener Festwochen, aufgeführt, später um die Rolle der Gailtalerin erweitert und 1974 auf Platte gepresst. Doch das Album ist nicht von Anfang an ein Renner, wie sich Prokopetz erinnert: „Um Gottes willen, jetzt ziehe ich meine Lederhose an und das soll nun lächerlich sein, ärgerten sich sicher viele Männer.“ Das Rustical habe sich also vor 50 Jahren dagegen gewendet,  wodurch es vielleicht in letzter Zeit wieder fröhliche Urstände feiert: Die Renaissance der Volkstümlichkeit in der Musik.

Anfang der 1980er Jahre wird die Idee geboren, das Rustical auf die Bühne zu bringen und dafür ein abendfüllendes Stück erarbeitet. Als ein Tänzer ausfällt, bekommt der spätere Tourneeleiter Karl Maria Drexler die Chance, mitzumachen. Damals sei die Show noch ein Laientheater gewesen, erzählt er: „In einem kleinen LKW wurden der Berg, die Licht- und Tonanlage sowie Kostüme transportiert.“ Gespielt wird 14 Tage im Schwabinger Bräuhof. Nach weiteren Aufführungen in Stuttgart, Frankfurt und Nürnberg ist dann die erste, sehr erfolgreiche „Watzmann“-Tournee, vorbei. Ambros-Tauchen-Prokopetz widmen sich danach anderen Projekten und für das Rustical bleibt keine Zeit mehr.

Eine neue Show zum Jubiläum

1991 tritt eine besondere Wende ein: Wolfgang Ambros feiert sein 20-jähriges Bühnenjubiläum. Und wie könnte dieser Karrierehöhepunkt besser begangen werden als mit einer neuen „Watzmann“-Show?, sind gewiefte Manager in Österreich und Bayern überzeugt, die schon seit Jahren mit diesbezüglichen Anfragen überhäuft werden. Es gilt aber ein großes Problem zu überwinden: Prokopetz und Tauchen liegen im Streit. Ambros Versuche, die beiden wieder zu vereinen, scheitern. So steigt Prokopetz vorerst aus der „Watzmannschaft“ aus. Tauchen bleibt, übernimmt die Rolle des Vaters, eines Knechts und schlüpft in die feuerroten Unterröcke der Gailtalerin. Mittels Casting muss noch ein neuer „Bua“ gefunden werden: Die Wahl fällt auf den Kabarettisten und Schauspieler Christoph Fälbl, der einschlägt und zum Publikumsliebling wird. „Mit dieser Produktion ging es dann richtig los, wir haben vor tausenden Menschen gespielt“, erinnert sich Fälbl. Speziell die Szene „Walpurgisnacht“ wird äußerst opulent inszeniert: Da gibt es einen Opernsänger, eine Stripperin, Knechte streiten sich um Frauen und dazu spielen die Alpinkatzen Hubert von Goisern und Wolfgang Staribacher das „Hiatamadl“.

Es vergehen dann wieder einige Jahre, bis der „Watzmann“ ein weiteres Mal zu rufen beginnt. 2004 gastiert das Rustical für mehrere Wochen am Chiemsee. Diesmal wird Musikvideo-Regisseur Rudi Dolezal engagiert und Klaus Eberhartinger gibt die Gailtalerin. Der Ex-EAV-Frontman stellt das leichte Mädchen etwas nachdenklicher dar. So verrät es im Lied „In meinem Herzen“ den Wunsch nach einer festen Beziehung.

Nach Sturz gibt´s Schnaps

Bis auf kleine Textänderungen werde die Chiemsee-Inszenierung noch heute gespielt, erklärt die aktuelle Regisseurin Gitti Guggenbichler. Auch die Requisiten seien die gleichen: „Wir hätten zwar Videowalls und Projektionen installieren können, sind aber immer davon ausgegangen, dass die gerade laufende Tour auch die letzte sein würde und verzichteten daher auf Änderungen.“ Was WoIfgang Ambros betrifft, musste allerdings Wesentliches umgestellt werden. Nach schweren Wirbelsäulenoperationen sind die Zeiten, als sich der Sänger nach Lust und Laune auf der Bühne bewegen konnte, vorbei. „Ich bin zu 80 Prozent körperbehindert und lehne mich daher an einen Hocker“, sagt Ambros. Auch die Rhythmusgitarre hat er an Roland Vogl, der seit heuer die Nr. 1 vom Wienerwald verstärkt, weitergegeben. Vogl hilft zusätzlich beim Bühnenaufbau. Eine wichtige Aufgabe dabei sei es, Für Fälbls Sturz in die Tiefe die Matte zu platzieren. Bei den letzten Vorstellungen jeder Tour erwarten Fälbl auch Überraschungen, verrät Vogl: „Manchmal auch unangenehme, wie nasse Handtücher, die wir zum Spaß hinlegen. Als Belohnung für seinen Wagemut bekommt Christoph aber immer einen Schnaps.“ Fälbl nimmt´s locker, denn jede Watzmann-Tour sei für ihn wie ein Familienausflug: „Schließlich habe ich zu keinem Mann auf der ganzen Welt so oft ‚Voda‘ gesagt, wie zu Joesi Prokopetz.“ Und Spaß gibt es nicht nur auf der Bühne, sondern auch dahinter, verrät Fälbl, der sich mit Klaus Eberhartinger eine Garderobe teilt. Gemeinsam in einer Garderobe sind auch Prokopetz und Ambros. „Die beiden sind wie ein altes Ehepaar. Wenn zum Beispiel Wolfgang eine Geschichte beginnt, Joesi aber unterbricht und fertig erzählt, sagt  Wolfgang meist etwas genervt, dass er nun schon seit seinem 16. Lebensjahr von Prokopetz ausgebessert würde. Das hat schon etwas Liebenswürdiges und äußerst Vertrautes“, lacht Christoph Fälbl, der „Bua“.

Weitere Infos unter: www.wolfgangambros.at (Foto: Lukas Beck) 

(Peter Pohn)

 

 

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