Der Pluralismus in den Geistes und Gesellschaftswissenschaften, Teil 1

15.02.2015

DER PLURALISMUS DER GEISTES- UND GESELLSCHAFTSWISSENSCHAFTEN
Zitate und Gliederung

I. Ein Beispiel: Was die Disziplinen zum Geld zu sagen haben.

1. Die VWL:
„Als Geldfunktion bezeichnet man in der Volkswirtschaftslehre die verschiedenen Formen von Nutzen, die Geld stiften kann:
Geld hat Zahlungsmittelfunktion. Unter einem Tausch- oder Zahlungsmittel versteht man ein Objekt oder auch ein erwerbbares Recht, das ein Käufer einem Verkäufer übergibt, um Waren oder Dienstleistungen zu erwerben. Geld vereinfacht den Tausch von Gütern und die Aufnahme und Tilgung von Schulden.
Geld ist ein Wertaufbewahrungsmittel. Um diesen Zweck erfüllen zu können, muss es seinen Wert dauerhaft behalten können.
Geld ist Wertmaßstab und Recheneinheit. Der Wert einer Geldeinheit wird als Kaufkraft bezeichnet.“ (Wikipedia, Geldfunktion)
2. Die Soziologie
„Die neuere, über die Soziologie hinaus greifende Systemtheorie abstrahiert den Geldbegriff und sieht darin ein „symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium“. (Niklas Luhmann, 1988)
3. Philosophie – Beispiel: Georg Simmel, Philosophie des Geldes (1900)
„In Verbindung mit der Verstandesherrschaft (bei Max Weber der Zweckrationalität) ist die Geldwirtschaft prägend für die Moderne. Die Welt als gigantisches Rechenexempel der kalkulierenden Rationalität wird gemessen in Geld, wie die Zeit mit der Uhr. Diese beiden Maßstäbe machen die Moderne erst möglich. … Im Geld spiegelt sich der Wert der Dinge wider. … Der Sieg des Geldes ist einer der Quantität über die Qualität, des Mittels über den Zweck. Es ist nur das wertvoll, was einen Geldwert besitzt. Somit findet eine Verkehrung statt. Am Ende diktiert das Geld unsere Bedürfnisse, es kontrolliert uns, anstatt zu entlasten und zu vereinfachen. Indem das Geld mit seiner Farblosigkeit und Indifferenz sich zum Generalnenner aller Werte aufwirft, höhlt es den Kern der Dinge, ihre Unvergleichbarkeit aus.“ (Wiki. Stichwort: G. Simmel)
4. Die Geschichtswissenschaft
„Begehrte Güter wie Getreide, Muscheln, Kaurischnecken, Silber oder Gold wurden in der Vergangenheit als Zwischentauschmittel eingesetzt, hatten also eine Geldfunktion. Waren solche Güter allgemein geschätzt und in beschränkter aber ausreichender Menge verfügbar und nicht verderblich, konnten sie zu allgemein akzeptierten Tausch- und Zahlungsmitteln werden. Man spricht hier von Warengeld. Das Warengeld bestand entweder aus Naturgegenständen (Naturalgeld), Schmuckstücken (Schmuckgeld) oder allgemeinen Gebrauchs- und Nutzgegenständen sowie Nutztieren.“ (Wiki: Geld)
5. Die Psychologie
„Das Geld, in all seinen Formen, hat eine herausragende Wirkung auf den Menschen. Man kann Geld für manchen Inhaber schon fast als Ersatzdroge bezeichnen. Geld wirkt auf die gesamte Psychologie des Menschen ein. … Aber warum hat das Geld solch eine Wirkung auf uns? Dazu muss die Psychologie des Menschen näher betrachtet werden. Der Mensch möchte für seine Leistungen belohnt werden. Das Belohnungssystem des Gehirns ist extrem ausgeprägt. Eine Belohnung setzt im Gehirn des Menschen bestimmte chemische Vorgänge in Kraft, die dem Menschen einen Schub, hinsichtlich Verhalten und Motivation geben. Geld setzt solch einen Reiz im Gehirn des Menschen frei.“ (http://www.dgnr-dgnc2006.de/)
6. Literatur und Kulturwissenschaft
„Experten der Ethnografie und der Literatur sind gewohnt, behauptete Sachverhalte und vermeintlich Unverrückbares als Fiktion, als Narration wahrzunehmen und zu deuten. Darum provoziert sie der heutige Kapitalismus, der sich seit dem Fall des Kommunismus wie ein alternativloses Naturgesetz gibt. Dass sich hinter seinem unbedingten Geltungsanspruch eine gesellschaftliche Konvention verbirgt, die gemacht und gewollt und in einen tiefreichenden Sinnzusammenhang eingebettet ist, den es zu erfragen, auszulegen und in Kontexte zu setzen gilt, kommt dem angestammten Metier jener eigentlich fachfremden Exegeten nahe. Man muss den Kapitalismus auch zu „lesen“ verstehen. Wenn schließlich auch Geld nur eine Information ist, wenn auch eine ganz besondere, verdinglicht und virtuell zugleich und mit einer verbindlichen Wertaussage, dann verlangt es erst recht nach Interpreten, die mit vieldeutigen Zeichen und Sprachen umzugehen wissen.“ (SZ 16.2.13.)

II. Das Faktum des Pluralismus und der Umgang damit: Verkehrsformen des akademischen Diskurses

„Der Metaphysik … ist das Schicksal bisher noch so günstig nicht gewesen, dass sie den sicheren Gang einer Wissenschaft einzuschlagen vermocht hätte. … In ihr muss man unzählige Male den Weg zurück tun, weil man findet, dass er dahin nicht führt, wo man hin will, und was die Einhelligkeit ihrer Anhänger in Behauptungen betrifft, so ist sie noch so weit davon entfernt, dass sie vielmehr ein Kampfplatz ist, der ganz eigentlich dazu bestimmt zu sein scheint, seine Kräfte im Spiegelgefechte zu üben, auf dem noch niemals irgendein Fechter sich auch den kleinsten Platz hat erkämpfen und auf seinen Sieg einen dauerhaften Besitz gründen können. Es ist also kein Zweifel, dass ihr Verfahren ein bloßes Herumtappen und, was da Schlimmste ist, unter bloßen Begriffen sei.“(Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Einleitung, B XIVf)
Ein Streit zwischen konkurrierenden Erklärungen, der die Grundlage jedes Streites dementiert: Die Einheit des Gegenstands.
Statt um die Wahrheit der Erklärungen, sorgen sich die Wissenschaftler um die Einheit des Fachs: Mangel an Wissen bekämpfen sie als Mangel an Konsens.
„Ansatz“, „Aspekt“
Kompendien der Disziplinen: Integration widerstreitender Theorien, indem man jeder ihre Spitze abbricht.
Die Methodologisierung des Denkens – Theoriebildung wird selbstbewusst zum tautologischen Geschäft – Verlagerung des Streits um die Sache zu einem um die Methode.

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Thema:Wissenschaft
Sprache: Deutsch
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