Babylon Salzburg
Zwei Musikstücke mögen unseren heutigen Ausritt in den Abgrund umrahmen: “Apocalypse or Revolution” aus dem neuen Album von Ja, Panik – und “Zu Asche, zu Staub” aus der bemerkenswerten TV-Serie “Babylon Berlin”. Dazwischen liegen knapp 100 Jahre Weltgeschehen, in denen sich zahllose Schrecknisse, Verwundungen und Überlebensreflexe zu einer epigenetischen Kakophonie ungeheuren Ausmaßes ineinander türmen. Geborgen und verfolgt zugleich versuchen wir diesen unüberschaubaren Partituren unseres Generationenlebens irgend einen Sinn zu entreißen – und uns wieder zu entdecken in den durcheinander fliegenden Fragmenten von Ursache, Wirkung und Synthese. Und scheint auch Salzburg hier (vergleichbar) banal – zum Babylon reichts allemal.
So versinnbildlicht etwa der “Turmbau zu Babel” allerorts die Großmannsucht (womit wir nicht die großartige Mechthild meinen) sondern zwanghaftes Wachstum über die Grenzen der Natur hinaus. “Babylonische Sprachverwirrung” bezeichnet die sich unvermeidlich daraus ergebende Zerstörung der “menschlichen” Kommunikation. Und mit “menschlich” meinen wir hier durchaus “menschenwürdig”. “etwas wie babel” nennt Christopher Schmall folgerichtig sein lyrisch-akustisches Work in Progress, mit dem er das Scheitern zwischenmenschlicher Sprachform erforscht, und das er über die Jahre hinweg ständig weiter entwickelt, derzeit unter Einbeziehung einiger Ausschnitte aus “Fluchtstück” von PeterLicht. Das bildet die zweite Umrahmung (womit wir nicht das Milchprodukt meinen) sondern das Gewirr von inneren und äußeren Stimmen, die uns beeinflussen, Anklage und Verteidigung im inwendigen Strafgericht wie bei “Mea Culpa” von David Byrne und Brian Eno.
Kommen wir jetzt zu einem weiteren Sinnbild: “Die Hure Babylon” illustriert ein zum nicht mehr hinterfragbaren System gewordenes “Sich prostituieren”. Sich verkaufen, die eigene Haut zu Markte tragen, sich dem Meistbietenden andienen, sich für Geld ficken lassen – der Sprichwörtlichkeiten hierzu sind einige, und wir alle wissen, was damit gemeint ist. Globale Zwangswirtschaft und Arbeitsstrichservice sind weitere Wortentwicklungen zu diesem weltweiten Machtklotz, der uns allen aufsitzt und uns innen wie außen die Türen zur Freiheit zuhält. Der Zuhälter in vielerlei Gestalten…
Den letzten Rahmen (die finale Zwiebelschicht) einer Verbindung von Ja, Panik mit Babylon Berlin muss nun ein Großmeister des Dandytums herstellen: Bryan Ferry, dessen Roxy-Music-Klassiker “Bitter-Sweet” die einst auf DMD KIU LIDT gecovert haben, und der, nunmehr gepflegt gealtert, in besagter Serie den zeitlosen Song im Stil der 20er Jahre zum Allerbesten gibt. Nur, welche Version passt in die Sendung?
PS. Wir beglückwünschen unsere wackere Kollegin Mirjam Winter (bei der wir beide das Radiomachen gelernt haben) zum Ehrenschorsch der Radiofabrik – Alles Gute!
PPS. Das in der Sendung zum Fluchtstück von PeterLicht erwähnte Videoportrait aus unserer Anfangszeit gehört schon auch wieder mal gesehen!
Ähnliche Beiträge
- Gerald Fiebig – New Enamel aus der Sendereihe „artarium“ 10.11.2019 | Radiofabrik
- Grenzenlos Guter Geschmack (Perlentaucher CIX) aus der Sendereihe „Nachtfahrt Perlentaucher“ 09.11.2019 | Radiofabrik
- Jedermann Reloaded (Teil zwei) aus der Sendereihe „artarium“ 20.10.2019 | Radiofabrik
- Bemannte Traumfahrt (Perlentaucher CVIII) aus der Sendereihe „Nachtfahrt Perlentaucher“ 12.10.2019 | Radiofabrik
- Im Seppdämmer (Perlentaucher CVII) aus der Sendereihe „Nachtfahrt Perlentaucher“ 14.09.2019 | Radiofabrik
- Exquisite Corpse – Akustische Überraschungseier aus der Sendereihe „Das rote Mikro: Literatur“ 09.09.2019 | Radio Helsinki
- Die Menschheit schafft sich ab (Buchvorstellung) aus der Sendereihe „artarium“ 18.08.2019 | Radiofabrik
- Wallfahrt nach St. Moloch (Perlentaucher CVI) aus der Sendereihe „Nachtfahrt Perlentaucher“ 10.08.2019 | Radiofabrik
- Das große Rauschen (Perlentaucher CV) aus der Sendereihe „Nachtfahrt Perlentaucher“ 13.07.2019 | Radiofabrik
- Guten Morgen ihr Vögel aus der Sendereihe „artarium“ 30.06.2019 | Radiofabrik