Architektur baut Gemeinschaftlich
Eva Schmolmüller vom Architekturforum Oberösterreich war zu Gast im Radio FRO Studio. Sie leitet dort inhaltich das Projekt „Wie geht, Alter?“ in dem sich mit Wohnen im Alter beschäftigt wird. Sie spricht über gemeinschaftliches und nachbarschaftliches Wohnen und wie das baulich umgesetzt werden kann. Welche neuen Ideen gibt es? Warum sind Gemeinschaftsräume in Wohnbauten nicht Standard?
Von Aylin Yilmaz (Radio FRO)
Eva Schmolmüller meint, dass der Gemeinschaftsbegriff auch ausgrenzend sein kann. „Eine starke Gemeinschaft heißt vielleicht, dass sie mehr oder minder verschlossen ist gegen neue Menschen von außen.“ Für sie gehe es mehr um nachbarschaftliches Wohnen. Der bedeute, dass es einen Austausch mit der Umgebung und den Personen, die rund um einen wohnen gibt. Das Fördern von gemeinsamen Aktivitäten steht dabei im Vordergrund.
Gemeinschaftliche Wohnbauten, die Flächen beinhalten, die von allen genutzt werden können, entwickeln sich sind schon seit Ende der Achziger Jahre. Fritz Matzinger hat hierzu in Oberösterreich designt. Bekannt sind seine Atrienhäuser, wo alle Gebäude auf einen gemeinsamen Innenhof schauen. Dieser soll dem Austausch, spielen, reden dienen.
Architektonisch geht es darum, dass möglichst niederschwellig Möglichkeiten geschaffen werden, dass man Nachbar*innen treffen kann. Schmolmüller nennt als Beispiel den Laubengang. Darunter versteht man den Weg zur eigenen Wohnung, der außen oder im Innenhof liegt und an den anderen Wohnungen vorbei führt. Dieser Gang soll hell und freundlich gestaltet sein und auch zum Beispiel im Idealfall als Balkon benutzbar sein. Man kann ihn mit Möbeln dekorieren und einladend gestalten.
Räume für alle
Organisiertere Formen des Zusammenlebens sind dann spezielle Gemeinschaftsräume. Küchen, Bibliotheken am Dach, oder auch die Waschküchen die immer mehr aus den dunklen, nicht einladenden Kellerräumen hervorgeholt werden.
Neben den architektonischen Fakoren, die dazu beitragen sollen, dass Nachbar*innen mehr gemeinsam leben und erleben können, findet Schmolmüller die „weichen Faktoren“ besonders wichtig. Darunter fallen Fragen wie der der Organisation und Kommunikation zwischen den Bewohner*innen oder zur Hausverwaltung. Da spielt die Organisationsform der Soziokratie eine große Rolle. Darunter versteht man, wie Sitzungen organisiert werden, wie die gesamte Hausgemeinschaft organisiert wird. Einer der Grundsätze davon ist, dass Entscheidungen so getroffen werden, dass keine großen Einwände entstehen. Die Hausgemeinschaft entscheidet so, dass es für alle größtmöglich in Ordnung ist. Das braucht natürlich auch Zeit und Ressourcen. Es muss ausgemacht werden, wer wann für den Garten oder die Sauberkeit der Gemeinschaftsküche zuständig ist. Teilweise sind dann diese Flächen nur bis 20:00 oder 22:00 zugänglich, um Lärm zu minimieren. Die Küchen sind auch eher spärlich ausgestattet, damit nicht zu viel kaputt gehen kann.
Schmolmüller glaubt, dass es noch ein paar Jahre dauern wird, bis genug Vertrauen in diese Räumlichkeiten da ist, das solche wirklich gut funktionieren können und die Hausbewohner auch diese Strukturen verantwortungsvoll nutzen.
Warum nicht jedes Wohngebäude mit solchen Gemeischaftsflächen ausgestattet ist, ist leicht zu bewantworten: diese Flächen kosten Geld und müssen in Stand gehalten werden. Jeder Quadratmeter sollte für die Bauträger so wirtschaftlich wie möglich genutzt werden.
In ländlichen Gebieten lassen sich diese nachbarschaftlichen Konzepte auch umsetzen, durch Spielplätze oder das Modell der „Zeitbank“, wo Menschen Dinge anbieten können, die sie besonders gut können. Eine Person bietet zum Beispiel das Bäumeschneiden in der Nachbarschaft an, oder eine andere kann Menschen zu ärztlichen Untersuchungen fahren. Es werden Kompetenzen ausgetauscht.
Konflikte lösen
Wo viele unterschiedliche Menschen aufeinandertreffen kann es natürlich auch zu Unstimmigkeiten kommen. Um diese zu lösen gibt es unterschiedliche Ansätze. Ein monatliches Plenum zum Beispiel, wo Anliegen besprochen werden. Architektonisch kann auch auf einiges geachtet werden. Die Akustik in Innenhöfen ist wichtig, damit Schall sich nicht unangenehm ausbreitet. Bei glatten, harten Oberflächen wäre das der Fall. Sehr wichtig ist auch, dass die eigene Wohnung ein Rückzugsort ist und die Räume nicht von überall eingesehen werden können. Schmolmüller beschreibt das folgendermaßen: „Auch wenn ich sage, ich lebe nachbarschaftlich, heißt das nicht, dass ich immer alles teile. Ich glaube, es ist ein sehr wesentliches Element, dass man auch die Rückzugsorte braucht. Dass man nicht immer in Gemeinschaft oder Nachbarschaft wohnen will. Sondern, dass man manche Dinge selbst hat.“
In Gebäuden, wo nachbarschaftliches Wohnen beim Erbauen noch nicht mitbedacht wurde, können Bewohner*innen mit einfachen Mitteln gemeinsame Aktivitäten planen. Das klassische schwarze Brett, was normalerweise nur von der Hausverwaltung benutzt wird, kann dazu verwendet werden, um auf einen Kaffee im Innenhof einzuladen. Falls der nicht vorhanden ist, kann sich auch im Stiegenhaus, oder vor der eigenen Wohnungstür getroffen werden . Mit wenig Aufwand, können sich Personen treffen und ein anonymes Gebäude zu einer Nachbar*innenschaft umwandeln.
Ausgewählte Plattformen, wo man Projekte finden kann:
Leader Region Mühlvierter Kernland
Initiative Gemeinsam Bauen und Wohnen
Das Projekt „Wie geht’s, Alter?“ vom Architekturforum Oberösterreich (afo) startet im Februar 2024. Seit zwei Jahren arbeitet das afo mit Expert*innen am Themenkomplex des Älterwerdens im Zusammenhang mit Wohnen und Leben. Mit „Wie geht’s, Alter?“ soll eine öffentliche Debatte darüber angeregt werden, wie Räume für die Zukunft des Älterwerdens geschaffen werden können. Dabei wird auf die unterschiedlichen Strukturen in ländlichen Regionen sowie urbanen Zentren geblickt. Freigelegt werden Problemfelder die im engen Zusammenhang mit öffentlichem Wohnbau, Architektur, Raumordnung, Finanzierung, Politik und Pflege stehen. In den Vordergrund gerückt werden Best-Practice-Beispiele, die noch nicht breitenwirksam Einsatz finden, jedoch Potenzial für spürbare Veränderungen in einem größeren Rahmen entfalten.
Zwischen Einsamkeit und Zusammenhalt – Was schafft Gemeinschaft?
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