Almbesuche & Slutwalks

16.04.2024

Radiofeature #4 – Auf der Alm gemütlich zusammensitzen, beim Skifahren Familie und Freunde zusammenführen – eigentlich alles kein Problem, oder?

Der Geschichtsunterricht reichte in meinem Jahrgang grad noch bis zum Nationalsozialismus. Und auch dieses Terrorkapitel wurde nur dezent gestreift. Nach dem Motto: Besser unter den Tisch fallen lassen. Was nach 1945 geschah? Das wurde nicht einmal gestreift, sondern überhaupt nicht im  Lehrplan aufgenommen. Erst durch den Film GROSSE FREIHEIT wurde mir bewusst, was ich bereits viel früher hätte wissen müssen:

Dass die wenigen queeren Menschen, die das KZ überlebt hatten, zwar aus den bestialischen Fängen der Nazis befreit wurden, sie aber direkt ins Gefängnis kamen. Das Vergehen: Die Liebe zu einem anderen Menschen. Müsste man dafür nicht die ganze Menschheit einsperren?

Stephan Kirste, Rechtsphilosoph an der Universität Salzburg, ordnet das Gesetz, das sowohl in Österreich (§ 129 1b StGB) als auch in Deutschland ( §175 StGB) galt, folgendermaßen ein:

„Das ist extremes Unrecht, was hier Homosexuellen passiert ist. Sie sind strafrechtlich zum Teil zu massiven Freiheitsstrafen verurteilt worden. Diese Urteile waren grobes Unrecht.“
Stephan Kirste, Rechtsphilosoph Uni Salzburg

2023 stehe ich auf dem Salzburger Kommunalfriedhof und erfahre noch mehr über den grausamen Umgang mit queeren Menschen. Ich lausche der Eröffnungsrede von Christine Steger, KZ Verband Österreich und Salzburg. Zum ersten Mal wird an diesem Nationalfeiertag der queeren Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Warum hat das so lange gedauert?

„Da merkt man einfach diese Kontinuität in der Verfolgung der Menschen, die homosexuell sind, einfach von den Nazis noch tradiert und weitergetragen wurde.“
Christine Steger, KZ-Verband Österreich

Am leicht bewölkten Gedenktag auf dem Friedhof geht es aber weniger um das durchaus wichtige Kranzabwerfen. Für Christine Steger geht es vor allem darum, was im Sinne der Verantwortung im Jetzt zu tun ist. Im Sinne von Engagieren und Einmischen.

Engagieren und einmischen das ist auch Fixpunkt in Andreas Brunners Leben. Der Historiker beschäftigt sich schon seit Langem mit der queeren Geschichte Österreichs – insbesondere Wiens. Im Zentrum für queere Geschichte – QWIEN – sammelt er gemeinsam mit seinem Team Schriften, Comics, Romane und vieles mehr. Außerdem führt Andreas Brunner, wenn er nicht gerade an einem neuen Buch oder Artikel schreibt, Besucher:innen mit gut aufbereitetem geschichtlichen Hintergrund durch die Stadt. Und ja, auch durch diese Podcastreihe: Mit seinem rhetorischen Schwung ist der Wiener Historiker nicht nur im 1. Teil Schlagstöcke & Ochsenziemer von QUEERE BEWEGUNGEN UND BACKLASHES, sondern auch im 2. Teil Almbesuche & Slutwalks zu hören.

Apropos Engagement: Demos organisieren, Veranstaltungen planen, Artikel verfassen und in Diskussion gehen – das mussten auch viele Aktivist:innen in den 1960/70er Jahren, damit das Unrechtsrecht endlich abgeschafft wird. Als der § 129 1b des österreichischen Strafgesetzbuches 1971 tatsächlich fällt, folgen allerdings vier neue Straftatbestände dem alten Diskriminierungs- und Schikanierungsparagrafen. Etwa das Verbot der Werbung oder der Vereinsgründung. Letzteres kann 1979 vom damaligen Justizminister Christian Broder umgangen werden, da er das Verbot auf kommerzielle Vereine einschränkt. So kann in Wien die erste Homosexuellen Initiative (HOSI) gegründet werden.

Walter Klappacher strebt dies auch in seiner Heimatstadt an. Der Weg zum Verein ist beschwerlich. Doch das ist der Höhlenforscher schon von seiner Begeisterung zur Natur gewohnt. Als der Vereinsantrag abgelehnt wird, lässt er sich nicht einschüchtern. Auch zuvor bringen ihn Drohungen von Inserenten oder Gastwirten nicht aus der Ruhe. Bald schon wird die HOSI ab 1980 fixe Anlauf-, Vernetzungs- und Beratungsstelle in der etwas konservativen Erzbischofsstadt.

Was nicht heißt, dass alles problemlos verlief – etwa der Almbesuch mit Gästen aus Köln. Mehr dazu gibt’s im Podcast zu hören. Walter Klappacher zieht sich später zurück aus der HOSI, um sich anderen Interessen zu widmen. Sein Interesse an der Gesellschaft ist geblieben – und seine treffend-scharfe Kritik:

„Es gibt natürlich immer noch entsprechende Vorurteile und es bezieht sich normalerweise auf Männer. Männer sind nämlich Tabu. Bei Frauen, ob da irgendetwas läuft, das kann heute öffentlich gemacht werden. Weil Frauen werden immer noch nicht als gleichwertig angesehen, sondern als Spielgefährten für die Männer. Dazu braucht man nur das Fernsehen einschalten, wenn ich die Werbung sehe, wird mir schlecht.“
Walter Klappacher, Mitbegründer HOSI Salzburg

In der HOSI engagierte sich auch Fi. Für Fi steht im Vordergrund Begegnungsorte mit Crashkurs-Erfahrung zu schaffen und das nicht nur in der eigenen Familie. Es geht um den Abbau von Vorurteilen, um gegenseitiges Kennenlernen. Aber es gibt auch Dinge, die man sich nicht gefallen lassen muss. Hier wird die Begegnung zur Mahnung: Eure Aussagen und Handlungen sind menschenverachtend!

Mit anderen gründet Fi das FLITZ*-Kollektiv. Bald schon stehen sie gemeinsam vor dem Landeskrankenhaus, um die Verachtung der Abtreibungsgegner:innen gegenüber Frauen und ihren Körpern so nicht stehen zu lassen. Aber auch Demos, Lesungen und andere Veranstaltungen werden vom Flitz*Kollektiv umgesetzt – um die Themen und Rechte für FLINTA (Frauen, Lesben, Inter, Non-Binary, Trans und Agender) weiter in die Öffentlichkeit zu tragen.

Heute gibt es das Flitz*Kollektiv nicht mehr, aber das macht nichts. Denn: Neue Generationen gründen neue Bewegungen und setzen die Arbeit fort, die seit über 150 Jahren geleistet wird. Wichtig sind aber auch die Verbündeten. Etwa, wenn an Schimpf-und-Schund-Stammtischen gehetzt wird, weil in dem Dörfchen Unken eine kleine PRIDE stattfindet.

„Das wäre voll schön und wichtig, wenn nicht, der Mensch, der selber queer ist, immer und immer wieder entgegenhalten muss, sondern dass einfach die Elias, die Verbündeten sich trauen, den Mund aufzumachen und in die Diskussion zu gehen.“
Fi

Auch in diesem Jahr (2024) gab es einen weiteren, wenn auch zwiespältigen Fortschritt. Betroffene, die einen Teil ihres Lebens im Gefängnis verbringen mussten, weil sie nicht in das damalige Gesellschaftssystem passten, haben nun die Möglichkeit, eine Entschädigung zu erhalten. Allerdings sind die Entschädigungszahlungen sehr gering und die Betroffenen erhalten sie nicht automatisch, sondern müssen sie beim Landesgericht beantragen.

„Das ist ja quasi noch mal eine Demütigung obendrauf, so gesehen. Also ich sehe den symbolischen Akt, der mir unheimlich wichtig ist, der ein Zeichen ist in der breiten Öffentlichkeit, der auch medial sicher wirksam ist. Für die einzelnen Personen heruntergebrochen, ist es fast eine Verhöhnung. Die nächste Kränkung, die da gerade passiert.“
Conny Felice, HOSI Salzburg

Doch Conny Felice will vor allem das Positive sehen: Der Staat versucht, ein Zeichen zu setzen. Das sei wichtig.
Weitere Stimmen zum Thema Entschädigungszahlungen sind im Podcast zu hören.

Vereine wie die HOSI Salzburg bauen seit Jahrzehnten Brücken von einem Menschen zum anderen. Sind Anlaufstelle für Jugendliche, für Kinder und genauso für Eltern, für Partner:innen und für Lehrer:innen. In der HOSI gibt es Feste, Kinoabende, Lesungen und auch Workshops für Firmen und Schulen. Wenn es um Entschädigungszahlungen geht, kann man sich ebenfalls an das Team der HOSI wenden: Wer den Antragsweg nicht alleine gehen will, bekommt hier hilfreiche Unterstützung.

Und auch in der Stadt Salzburg tut sich etwas: Die queere Geschichte soll aufgearbeitet werden. Als erster Schritt wurde bereits im November 2023 historisches Material (Plakate, Fotos, Zeitungsartikel etc.) an das Stadtarchiv übergeben. Weitere Schritte sollen in Kürze folgen. Denn:

Die Geschichte ruhen zu lassen, bedeutet nicht eine freiere Gesellschaft, ein besseres Leben zu schaffen, sondern bedeutet Einschränkung und Diskriminierung weiterzutragen, bedeutet Verleugnung und Hass keimen und schließlich explodieren zu lassen. Deshalb muss vergangenes Unrecht aufgearbeitet, müssen Fehler korrigiert und gutgemacht werden. Nur so können wir alle gemeinsam auf ein offenes, wohlgesinntes Miteinander zusteuern – und müssen nicht erst viel später von Unrecht erfahren, dass zu Lebzeiten stattfand oder gerade hier und jetzt geschieht.

 

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Redaktion & Moderation: Veronika Aschenbrenner-Zezula
Facebook-Texte FLITZ*Kollektiv eingesprochen von Sara Lechthaler
Zeitungsartikel von Walter Klappacher, Spiegel-Artikel und Webseite des Bundesministeriums für Jusitz: eingesprochen von Philipp Zezula

Interviewpartner:innen

Walter Klappacher Fi Stefan Kirste, Rechtsphilosoph Andreas Brunner, Historiker Christine Steger, KZ-Verband Österreich & KZ-Verband Salzburg Conny Felice, Geschäftsführerin der HOSI Salzburg.

Filmempfehlung
Große Freiheit von Sebastian Meise mit Franz Rogowski & Georg Friedrich

PODCAST-Empfehlung
QUEER VOICES – hier zum Interview mit Walter Klappacher

Musik
Spliansky: The Lavender Song – Ute Lemper – Matrix Ensemble – Robert Ziegler, Belrin Cabaret Songs, 1996
Spliansky: Das Lila Lied – Ute Lemper – Matrix Ensemble – Robert Ziegler, Belrin Cabaret Songs, 1996
Tom Robinson – Glad To Be Gay

SPIEGEL-Artikel, 1969 Homosexualität. Späte Milde.

Hier kommst du zum 1. Teil von Queere Bewegungen und Backlashes – 1862 bis heute:

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Thema:Society Radiomacher_in:Veronika Aschenbrenner-Zezula
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