#46: Wer arbeitet dann noch?
Wer arbeitet noch, wenn er/sie ein BGE bekommt?
Wie wird sich das BGE auf den Arbeitsmarkt auswirken?
Eine der ersten Reaktionen, wenn wir mit Menschen sprechen, die das Prinzip des BGE kaum kennen, ist oft die Frage: „Und wer arbeitet dann noch?“.
Hinter der Frage verstecken sich zwei tief sitzende Annahmen: die erste ist jene, dass der Mensch von Grund auf ein faules Wesen ist, dass durch Druck dazu gebracht werden muss, tätig zu werden. Die zweite kommt aus der Überzeugung, dass Arbeit nur dann geleistet wird, wenn sie auch entlohnt wird.
Das Gabler Wirtschaftslexikon definiert den Begriff der Arbeit folgendermaßen: es ist eine „zielgerichtete, soziale, planmäßige und bewusste, körperliche und geistige Tätigkeit“. Wenn wir, Paul und ich, hier im Studio sitzen und einen Podcast aufnehmen, arbeiten wir also.
Wir haben das Ziel, eine Aufnahme zu machen = zielgerichtet. Wir arbeiten gemeinsam um unserem Publikum Informationen zu liefern = sozial. Wir haben uns im Vorfeld überlegt, welches Thema wir besprechen möchten = planmäßig. Wir haben uns inhaltlich darauf vorbereitet = bewusst. Wir sind hier ins Studio gekommen und sprechen unsere Gedanken und Überlegungen in ein Mikrofon = körperliche und geistige Tätigkeit.In dieser grundsätzlichen Definition ist also noch keine Rede von Geld. Und nebenbei bemerkt bekommen weder Paul noch ich eine Entlohnung für das, was wir hier tun. Genauso wenig wie die Eltern, die ihren Kindern zu Essen machen, die pflegende Angehörige, die ihrem Großvater die Windel wechselt oder die Feuerwehrleute, die Brände löschen. Und alle diese Menschen arbeiten im oben angeführten Sinne.
Was wir allerdings auf Basis des herrschenden Wirtschaftssystems von Politiker:innen und Medien oft „vorgebetet“ bekommen ist der Satz: „Leistung muss sich lohnen“ und wer kein sogenannter Leistungsträger oder keine Leistungsträgerin ist (wer immer sich dieses Urteil über eine Person anmaßt) wird abgewertet. Hier greift also ein Wertesystem, das wir als Gesellschaft verinnerlicht haben. Nicht der Mensch per se ist etwas wert, sondern seine Arbeitskraft.
Sehen wir uns diese Überlegung aus Sicht der Volkswirtschaftstheorie an. Der arbeitende Mensch wird heute als „Humankapital“ quasi anonymisiert und „entmenschlicht“. Auch im Gabler Wirtschaftslexikon wird kritisch angemerkt, dass es „Problematisch ist, dass die Untrennbarkeit von Mensch und Arbeitskraft unberücksichtigt bleibt; deshalb wird Arbeit als eigentlicher Produktionsfaktor (…) bezeichnet“. Wohin diese Definition führt, wenn der Mensch, der seine Arbeitskraft gegen Geld zur Verfügung stellt, mit seinen Bedürfnissen als fühlendes Wesen quasi negiert wird, das spiegelt sich in den Burnout-Raten, dem Phänomen des Boreout oder auch im Begriff der entfremdeten Arbeit wider. Laut einer Studie zeigen über 40% der Erwachsenen in Österreich Symptome eines Burnout-Syndroms[1]. Das sind alarmierende Zahlen. Der Druck, der auf uns lastet, ist offenbar viel zu hoch.
Aber zurück zu unserer Frage „Wer arbeitet dann noch?“. Meistens ist diese Frage mit dem moralischen Vorwurf ausgestattet, der Mensch sei grundsätzlich faul. Doch ist man wirklich faul, wenn man sich dem krankmachenden Diktat des Erfolgsdrucks entziehen möchte? Viele junge Menschen möchten nicht mehr wie ihre Vorgängergenerationen im Hamsterrad immer schneller laufen. Sie suchen Lebensqualität und erfüllende Beschäftigungen. Dahinter steckt nicht der Unwille etwas nicht zu tun, das getan werden muss, sondern die Sehnsucht nach sinnvollen Tätigkeiten und einem sinnvollen Leben.
Die Menschheit wäre nicht da, wo wir heute stehen, wenn der Mensch an sich faul wäre. Seit dem auftauchen der Spezies Homo vor etwa 7 Millionen Jahren auf diesem Planeten haben wir den Gebrauch von Werkzeugen erlernt, das Rad erfunden, die Staatsform der Demokratie aus der Taufe gehoben, das Kanalsystem gegraben, Maschinen das Fliegen gelernt und das Internet kreiert. Wenn Menschen faul wären, trotz ihrer massiven geistigen Potenziale, dann säßen wir vermutlich immer noch in Höhlen oder zögen durch die Savanne.
Also nochmal: „Wer arbeitet dann noch?“
Pilotprojekte und Experimente zum BGE haben bereits erwiesen, dass Menschen zwar kurzfristig weniger arbeiten (Mincome-Experiment in Canada, Podcast Nr. 7[2]), um sich zu erholen bzw. sich weiter zu bilden, dann aber mit mehr Kenntnissen wieder in den Arbeitsmarkt einsteigen. Das Experiment in Heidenreichstein (unser Podcast Nr. 4[3]) hat ergeben, dass Langzeitarbeitslose, die ein BGE erhielten, wieder in den ersten Arbeitsmarkt eingestiegen sind, weil sie gesünder und wieder leistungsfähiger waren. Sozusagen „fit2work“ durch BGE. In Kenia (GiveDirectly) haben Menschen Kleinunternehmen gegründet und damit den eigenen und den Wohlstand in ihrer Region erhöht. Und die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen. In Indien (Madhya Pradesh) wurde das Geld in Saatgut und Nähmaschinen investiert, was höheres Haushaltseinkommen brachte. Also durchwegs Resultate, die beweisen, dass Menschen durch das BGE nicht die Hände in den Schoß legen. Das wäre uns von Natur aus tätigen Wesen nicht gerecht.
Das BGE bringt Menschen ins Handeln, macht sie kreativ und ermöglicht Selbstermächtigung. Das wäre eine Antwort auf die Frage: „Und wer arbeitet dann noch?“
Und? Wie schaut es bei Dir aus? Was würdest du tun, wenn deine Existenz gesichert wäre? Würdest Du aufhören zu arbeiten?
[1] 18.11.2024: https://www.derstandard.at/story/3000000209202/40-prozent-der-erwachsenen-214sterreicher-mit-anzeichen-von-burn-out
[2] Link zum Podcast „Das Mincome-Experiment“: https://cba.media/651901
[3] Podcast über Heidenreichstein: https://cba.media/682483
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