19. Oktober 2006: Datenschutz im Hightech-Zeitalter: „Vom grossen Bruder und kleinen Schwestern“

24.10.2006

Experte: Hightech drängt Datenschutz zurück – BILD
„Kleine Schwester Wirtschaft holt gegenüber großem Bruder Staat
auf“ – Verantwortungsvoller Umgang mit Daten wird zum
Wettbewerbsfaktor
BILD zu OTS – Datenschutzexperten und Vertreter der Wirtschaft diskutierten im Rahmen der APA-E-Business-Community im Haus der Musik. V.l.n.r.: Thomas Stern (Braintrust/Moderator), Christian Schaumann (T-Mobile Austria), Gerhard Handler (diamond:dogs), Hannes Dünser (Österreichische Webanalyse), Walter Peissl (Institut für Technikfolgenabschätzung) und Erich Moechel (ORF Futurezone).

Wien (OTS) – Die Fortschritte im IT-Bereich locken nicht nur den
Staat, durch neue Anwendungen „für Sicherheit zu sorgen“, auch die
Wirtschaft wird sich des – für sie überaus lukrativen – Potenzials
von personenbezogenen Daten bewusst. „Das Grundrecht auf Privatsphäre
kommt dadurch zunehmend unter Druck“, erklärte Walter Peissl, stv.
Direktor des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung (ITA), bei einer
Podiumsdiskussion im Rahmen der APA-E-Business-Community gestern,
Donnerstag, Abend in Wien.

Es habe beim Datensammeln eine Verschiebung vom öffentlichen in
den privatwirtschaftlichen Bereich gegeben: „Nicht der große Bruder
Staat, sondern die kleine Schwester Wirtschaft ist in diesem Bereich
auf dem Vormarsch.“ Seit den Terroranschlägen vom 11. September trete
aber auch die staatliche Seite wieder vermehrt auf den Plan. Zurzeit
sei eine massive Asymmetrie zwischen den Interessen der Betriebe und
dem Bewusstsein der Kunden feststellbar. „Da ist man nicht auf
gleicher Augenhöhe“, so Peissl. Viele Daten würden aus Bequemlichkeit
oder Unwissenheit hergegeben. „Die Intransparenz der Technik hat zu
mangelndem Vertrauen geführt, wodurch sich auch Probleme für
E-Commerce und elektronisches Bezahlen ergeben“, konstatiert der
Experte.

Drei große technische Entwicklungen hätten diesen Trend verstärkt:
Digitalisierung, Miniaturisierung und Vernetzung. „Im Telekom-Bereich
können Kommunikationsprofile angelegt werden, beim Mobilfunk kommen
Bewegungsprofile und beim Internet Interessensprofile dazu. Die
zunehmende (Video-)Überwachung erlaubt die Identifikation im
öffentlichen Raum und Genanalyse sowie Diagnostik führen zu Aussagen
über mögliche zukünftige Lebens- oder Verhaltensweisen“, sagte
Peissl. Zusätzlich werde die Entwicklung durch „externe Schocks“,
etwa Terroranschläge, angeheizt.

„Sucht nach Öffentlichkeit“ vs. Privatsphäre

Entgegen wirken könne man dem nur durch Bewusstseinsbildung,
Technikgestaltung und der Anpassung des Datenschutzrechts. Notwendig
sei eine Behörde, „die Technik, Personal und ein Budget hat, mit dem
man auch proaktiv arbeiten kann“. In der Gesellschaft gebe es sich
widersprechende Trends: Einerseits die „Sucht nach Öffentlichkeit“ –
Beispiele dafür sind Talkshows, Blogs und Co. – sowie ein höheres
Sicherheitsbedürfnis, was schließlich zu mehr Überwachung führe.
Andererseits steige das Grundbedürfnis nach Privatsphäre und
Rückzugsmöglichkeiten.

Als mittelfristige gesellschaftliche Folgen sieht der Experte
beispielsweise eine soziale Segmentierung, etwa wenn virtuelle
Datenspuren zu Nachteilen im „echten Leben“ führen, oder angepasstes
Verhalten. „Früher oder später wird man nicht mehr tun, was man will,
sondern was man denkt, was von einem erwartet wird“, glaubt der
Wissenschafter. Die Einschränkung der Autonomie werde
gesellschaftlich und demokratiepolitisch fatale Folgen haben.
Langfristig sei ein „subtiler Zwang zum Konformismus“ absehbar: „Es
ist ein Unterschied, ob ich wie bei Amazon bestimmte Bücher
vorgeschlagen bekomme, oder im Geschäft die Regale durchforste. Durch
dieses ’Mainstreaming’ geht die Triebfeder für Entwicklung verloren“,
glaubt Peissl.

Datenschutz wird zum Wettbewerbsfaktor

„Neben der Tatsache, dass bestimmte Daten dazu benötigt werden, um
einen gewünschten Dienst überhaupt erst erbringen zu können, erlauben
Nutzerdaten auch, individuell auf die jeweiligen Kundenbedürfnisse
einzugehen“, relativierte Christian Schaumann von T-Mobile Austria.
Theoretisch gebe es zwar Missbrauchsmöglichkeiten, man bewege sich
aber nicht in einem rechtsfreien Raum. „Die rigorosen
Rahmenbedingungen werden auch genau kontrolliert“, so Schaumann.
Außerdem rücke der Datenschutz zunehmend ins Bewusstsein der Kunden.

„Wir haben beispielsweise einen Dienst, der die Ortung des
Teilnehmers voraussetzt, aufgrund der Reaktionen wieder eingestellt,
obwohl er datenschutzrechtlich völlig unbedenklich war“, erklärte der
Manager. Mittelfristig sei davon auszugehen, dass sich entsprechende
Datenschutz- und Datensicherheitskonzepte zu nicht zu
unterschätzenden Wettbewerbsfaktoren entwickeln würden.

Aber auch für Firmen als Betroffene spiele Datenschutz eine große
Rolle: „Früher war es viel Aufwand, etwas über einen Betrieb
herauszufinden. Heutzutage weiß der Mobilfunker, welches Unternehmen
wen im Außendienst hat, wann er aktiv und wo er unterwegs ist“,
erklärte Erich Moechel von der ORF Futurezone. Ein weiteres Beispiel
sei die Übermittlung der Passagierdaten an die USA: „Daraus lassen
sich viele Informationen über Unternehmen und ihre Mitarbeiter
ableiten – etwa Aktivitäts- und Bewegungsprofile.“ Im Privatbereich
sieht Moechel Grundrechte wie Unschuldsvermutung, Privatsphäre und
Datenschutz durch automatisierte Überwachungsprozesse in weiten
Teilen der Gesellschaft „de facto bereits jetzt außer Kraft gesetzt“.

Neue Technologien bergen auch Chancen

Von den Vorteilen für die Nutzer durch einen verantwortungsvollen
Umgang mit Daten ist hingegen Hannes Dünser, Geschäftsführer der
Österreichischen Webanalyse (ÖWA), überzeugt. „Die ÖWA erfasst seit
1998 Userdaten der Internetnutzer auf den Websites, um dem Markt
geprüfte Kennzahlen zur Verfügung stellen zu können. In Zukunft
möchte die ÖWA auch qualitative Daten erheben, wobei unter anderem
Data Mining-Techniken zum Einsatz kommen“, sagte Dünser. Allerdings
würde man darauf achten, stets den Datenschutzrichtlinien zu
entsprechen. „Personenbezogene Daten werden unverzüglich gelöscht,
sobald sie für statistische Zwecke nicht mehr gebraucht werden.
Verbesserte Technologien sehen wir nicht als Bedrohung, sondern als
Chance“, erklärte der ÖWA-Chef.

Eher kritisch steht Gerhard Handler, Geschäftsführer diamond:dogs,
den neuen „Schürf-Techniken“ gegenüber. „Was sind die Daten, die da
gesammelt werden, überhaupt wert? Ich glaube, dass die Qualität eher
schlecht ist. Außerdem wissen nur zehn Prozent der Unternehmen
überhaupt etwas damit anzufangen“, sieht Handler das Thema Data
Mining eher als Frage der Wirtschaftlichkeit. Auch wenn die Schublade
mit 25 Kundenkarten gefüllt sei, würden die Angebote beim User nicht
ankommen. „Das wird alles sehr eindimensional betrieben“, so Handler.

Bild(er) zu dieser Meldung finden Sie im AOM/Original Bild Service,
sowie im APA-OTS Bildarchiv unter http://bild.ots.at

Rückfragehinweis:
E-Business-Community
Barbara Rauchwarter
Tel.: (01) 36060 – 5700
mailto:ebc@apa.at

APA-EBC „Vom grossen Bruder und kleinen Schwestern“

Beteiligte:
Radio Netwatcher – Redaktionsteam (Verfasser/in oder Urheber/in)

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