06 – Elisabeth Dietrich-Daum (Innsbruck) Die Innsbrucker Kinderbeobachtungsstation von Maria Nowak-Vogl (1947–1987). Projektbericht
Die Innsbrucker Kinderbeobachtungsstation von Maria Nowak-Vogl (1947–1987). Projektbericht.
Elisabeth Dietrich-Daum (Innsbruck)
Der Beitrag beschäftigt sich mit der Innsbrucker Kinderbeobachtungsstation, die zwischen 1954 und 1987 von der Psychiaterin und Heilpädagogin Maria Nowak-Vogl geleitet wurde. Diese im Panorama funktionsgleicher bzw. funktionsähnlicher Einrichtungen zur psychiatrischen, heilpädagogischen und klinischen Beobachtung von als erziehungsschwierig oder „verhaltensauffällig“ geltenden Kindern und Jugendlichen kann als erste Nachkriegsgründung in Österreich betrachtet werden. Zwischen 1948 und 1996 wurden hier über 3650 Kinder und Jugendliche untersucht, behandelt und begutachtet. 1980 geriet die Innsbrucker Beobachtungsstation zum ersten Mal in den Fokus öffentlicher Kritik. Ein im ORF ausgestrahlter Dokumentarfilm von Claus Gatterer und Kurt Langbein zeigte eine Reihe von Missständen auf, insbesondere die Verabreichung des Hormonpräparates Epiphysan, die Behandlung enuretischer Kinder mittels Klingelmatratze und allgemein, den repressiven Kontroll- und Erziehungsstil des Leitungspersonals.1987 ging Nowak-Vogl in Pension, die Station gab sich unter neuer Führung ein klinisches, im Bereich der Behandlung familientherapeutisch ausgerichtetes Profil, die Aufnahmezahlen und die Verweildauer gingen stark zurück. 2010 wurde das Geschehen an der Kinderbeobachtungsstation erneut – dieses Mal von Betroffenen und einem Innsbrucker Historiker – thematisiert, was die Tiroler Landesregierung unter dem Vorzeichen der virulenten Heimdebatten veranlasste, eine Anlaufstelle für Opferschutz einzurichten (zwischen 2010 und 2016 hatten sich dort 167 Betroffene gemeldet) und zwei Jahre später die Medizinische Universität motivierte, eine interdisziplinäre Fachgruppe mit der Untersuchung der Vorwürfe zu befassen. Letztere legte 2013 ihre Ergebnisse vor: https://www.i-med.ac.at/pr/ presse/2013/Bericht-Medizin-Historische-ExpertInnenkommission_2013.pdf. In diesem Bericht, der die formulierten Vorkommnisse und Missstände bestätigte, empfahl die Kommission eine weitere Untersuchung in Form eines Forschungsprojektes. Dieses sollte die Einrichtung selbst und das dort Geschehene anhand der nun erstmals zugänglich gemachten Krankenakten rekonstruieren, im Wesentlichen die Gruppe der Betroffenen sowie die Gruppe der handelnden Akteure (Eltern, Schule, Behörden) präziser fassen und die Behandlungspraxis – vor allem die Verabreichung des Hormonpräparates Epiphysan – genauer untersuchen. Mittels Befragung weiterer Zeitzeug_innen und einer Analyse der Gutachtenspraxis sollte, bevorzugt mit Blick auf Nowak-Vogls Unterbringungsempfehlungen, eine Einschätzung der Funktion der Kinderbeobachtungsstation im regionalen Fürsorgesystem vorgenommen und die Relevanz der gutachterlichen Beurteilungen für das weitere Leben der Kinderpatient_innen näher bestimmt werden. Letztendlich wurde angeregt, die Denk- und Handlungsmuster der Leiterin darzulegen und in die Diskurse der Nachkriegsjahrzehnte über Erziehungsziele und Jugendarbeit, Familienpolitik und Familialisierung der marginalisierten Schichten, Geschlechterordnungen und Sexualität in Beziehung zu setzen. Die Ergebnisse dieses unter Leitung von Michaela Ralser, Dirk Rupnow und der Vortragenden zwischen 2014 und 2016 durchgeführten Forschungsprojektes wurden am 22. Juni 2017 veröffentlicht: https://www.uibk.ac.at/iezw/forschungen-zur-kinderbeobachtungsstation/. Der Vortrag selbst wird sich auf drei Fragen konzentrieren: Wie setzt sich die Gruppe der zugewiesenen Kinder zusammen? Welche Akteursgruppen waren im Zuweisungsprozess involviert? Wie ist die faktische Wirkmacht der an der Kinderbeobachtungsstation verfassten Gutachten einzuschätzen?
Moderation: Christina Antenhofer, Innsbruck
Medikalisierte Kindheiten – Die neue Sorge um das Kind vom ausgehenden 19. bis ins späte 20. Jahrhundert
Zur Sendereihe StationFREIRAD
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